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E X P L O R E R |

E S SAY

„BEI DEN SCHWEREN ÜBERSCHWEMMUNGEN IN

DEUTSCHLAND IM SOMMER 2021 WAR NICHT DER KLIMAWANDEL DER HAUPTGRUND FÜR DIE KATASTROPHE.“

Bebauung weitgehend versiegelt, sodass nur noch wenig Boden übrig blieb, der die Niederschläge hätte aufnehmen können. Es gab Hochwasserwarnungen, aber sie erreichten die Menschen nicht – oder die Menschen wussten nicht, was sie mit den Warnungen anfangen sollten. Es gab kein Informationssystem über Radio, Fernsehen oder Apps, das die Anwohner in der Gefahrenzone tatsächlich erreichte. Und als die Überschwemmungen kamen, gab es keine Informa- tionen darüber, was zu tun war oder welche Straßen sicher waren, um den Wassermassen zu entfliehen. DAMIT WIR UNS NICHT FALSCH VERSTEHEN: Natür- lich ist es wichtig, das Bewusstsein für die Gefah- ren des Klimawandels zu schärfen und deutlich zu machen, dass unsere sich erwärmende Welt Extrem- wetter verstärkt und damit auch zu Problemen in der Lebensmittelversorgung führen kann. Aber was im Allgemeinen korrekt ist, gilt nicht für alle Regio- nen und Extremereignisse gleichermaßen. Für den Regenmangel im Süden Madagaskars besteht kein kausaler Zusammenhang mit dem vom Menschen verursachten Klimawandel. Die im jüngsten IPCC-Bericht bewerteten wissen- schaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass Dürren in diesem Teil der Welt nicht intensiver oder häufiger wurden. Solange der Temperaturanstieg unter zwei Grad bleibt, erwarten die Experten das auch für die Zukunft nicht. Unsere Analyse speziell zur Dürre im Süden Madagaskars kam zum gleichen Ergebnis und stellte fest, dass ähnliche aufeinanderfolgende Aus- fälle von Regenzeiten bereits zuvor aufgetreten waren. Die weltweite Reduktion von Emissionen wird das Risiko von Dürrekatastrophen in Madagaskar also nicht ändern. Nur eine Verringerung der lokalen Verwundbarkeit kann hier etwas bewirken. Dafür müssen sich die lokale und regionale Politik und auch die internationale Entwicklungspolitik ändern. Die Bevölkerung ist angesichts der Schwankungen des Wetters zu sehr auf Regenfeldbau angewiesen, die Entwaldung hat diese Anfälligkeit noch ver- schlimmert. Anstatt jedes Mal Nahrungsmittelhilfe zu leisten, wenn der Regen ausbleibt, müssten NGOs kontinuierlich und langfristig mit lokalen Entschei- dungsträgern zusammenarbeiten, um verschiedene Ursachen der hohen Vulnerabilität zu beseitigen. 2014 habe ich mit anderen Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt die

Forschungsinitiative World Weather Attribution (WWA) gegründet. Es ging uns darum, Zusammen- hänge zwischen Extremwetter und Klimawandel präzise und unmittelbar nach ihrem Auftreten auf- zuzeigen. Wir wollen wissenschaftlich mit Fingern – echten, evidenzbasierten Fingern – auf die Ursachen von wetterbedingten Katastrophen hinweisen und zeigen, welche Rolle der Klimawandel spielt. Mit der WWA haben wir hart daran gearbeitet, Wetterkatastrophen schnell zu bewerten. Manch- mal konnten wir innerhalb von Tagen oder Wochen

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FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA​

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