NATIONAL GEOGRAPHIC

E X P L O R E R |

UNTERWASSERARCHÄOLOGIE

sabotiert hat. Geschichte, die lange untergetaucht war, hat begonnen, an die Oberfläche zu drängen. ICH SCHWAMM DURCH EINEN DUNKLEN KANAL in die Grabkammern. Sedimentwolken behinderten jede Sicht, und trotz der Enge war es erschreckend leicht, sich zu verirren und im Kreis zu schwimmen. Eine Hand berührte meine, und wir tauchten in der zweiten Kammer auf, wo die eingestürzte Decke eine Luftblase ermöglicht hatte. Beim Licht von Taschen- lampen begann die Arbeit. Unterwasserarchäologie ist heute ein spezialisier­ tes Gebiet; anfangs übernahmen die Experten um Creasman Methoden, die ihre Kollegen beim Bergen von Schiffswracks entwickelt hatten. Doch hier gab es nicht einmal Platz für Pressluftflaschen. Stattdes- sen atmeten wir durch gelbe Schläuche, die an die Oberfläche führten. Das Einsturzrisiko konnte nicht absolut ausgeschlossen werden, deshalb wurde der Eingang mit 15 Meter langen Stahlträgern verstärkt. Die Teammitglieder suchten nach allem Interessanten – Blattgold, Figuren, Töpferwaren – und notierten ihre Funde mit wasserfesten Tafeln und Stiften. Eine dünne Schnur war unser Führer durch die Dunkelheit. DIE ARBEIT NAHM EINEN RHYTHMUS AN. Creasman stieg in die letzte Kammer hinabsteigen, in der sich möglicherweise Nastasens ungeöffneter Sarkophag

In der teils überfluteten Nekropole tauchten Shabtis auf – Figuren, die dem König im Jenseits dienen sollten.

verwirrende Schwärze. Das 2300 Jahre alte Grab war die Ruhestätte von Nastasen, einem König, der Kush etwa zwei Jahrzehnte lang geführt hatte. Vor ihm waren einige der kuschitischen Könige, bekannt als Schwarze Pharaonen, so mächtig geworden, dass sie sowohl Nubien als auch Ägypten regiert hatten. Nas- tasen war der letzte von ihnen, der in Nuri begraben wurde, bevor die Kusch ihre Hauptstadt nach Süden verlegten. Sie hinterließen außergewöhnliche Tem- pel, Pyramiden – und ihre bestatteten Pharaonen.

befand. Ein paar Minuten später kam er mit einem vollen Eimer zurück, dessen Inhalt oben untersucht und sortiert wer- den würde. Etwa eine Stunde nach Beginn dieser Routine tauchte Creasman in der zweiten Kammer auf, holte tief Luft und rief: „Shabti!“ Zärtlich hob er die Grabfigur hoch, damit wir sie sehen konnten. Als ich sie in seiner Hand betrachtete,

DER BERLINER ARCHITEKT Friedrich Hinkel hatte in jahrzehntelanger Arbeit einige der Pyramiden vor dem Verfall gerettet. Die Ausgrabung von Nuri mit ihren unter Wasser verborgenen Schät- zen war eine andere Herausforderung. Vor einem Jahrhundert besuchte der Harvard-Ägyptologe George Reisner Nuri, um die Grabkammer von König

ÄGYPTEN

A F R I K A

SUDAN

Königliche Nekropole von Nuri

Nichole Sobecki ist Fotografin, Filmemacherin und NATIO- NAL-GEOGRAPHIC-Explorer in Nairobi, Kenia. Mehr über die Arbeit der National Geographic Society und ihre Explorer unter nationalgeographic.de/unsere-explorer. Bald würde ich in die oberirdische Welt mit ihrem unglaublich blauen Himmel zurückkehren. Aber noch nicht. Zuerst nahm ich Bild für Bild auf, fror diesen Ort in der Zeit ein und zwang mich dazu, mich an die Dinge zu erinnern, die ich nicht fest­ halten konnte. j bemerkte ich, dass mein Atem sich normalisiert hatte und mein Verstand klarer geworden war. Sie war in der Mitte zerbrochen, hatte aber ihren wür- devollen, pflichtbewussten Ausdruck behalten. Vor Tausenden von Jahren – eine Zeitspanne, die ich nicht wirklich begreifen kann – glaubte man, dass die Figuren wiederbelebt wurden, um ihren Herren im Jenseits zu dienen. Jetzt war ich hier, in der Unter- welt mit ihnen. Meine Angst wurde weggespült und Ehrfurcht durchströmte mich. Nastasen hatte hier zwei Jahrtausende lang in der Dunkelheit geruht, begleitet von Hunderten winziger Helfer.

Taharqa zu erkunden, der im siebten Jahrhundert v. Chr. ganz Ägypten regiert hatte und sogar im Alten Testament erwähnt wurde. Er hatte seine Truppen zur Verteidigung Jerusalems versammelt. Viele der anderen Nuri-Gräber blieben jedoch unerforscht. Das Wasser ist seitdem höher gestiegen, beeinflusst durch den Klimawandel, den wachsenden land- wirtschaftlichen Bedarf der Region und moderne Dämme, die den Nilpegel verändern. Seit Beginn der Arbeit von Creasman hat der Sudan einen Staatsstreich, eine globale Pandemie, rekordverdächtige Überschwemmungen und eine Revolution im Jahr 2019 erlebt. Als die Widerständler die 30-jährige Diktatur von Omar al Bashir stürzten – dessen Regierung versucht hatte, die vorislamische Geschichte des Sudan zu tilgen – riefen sie die Namen der nubischen Königsfamilie: „Mein Großvater ist Taharqa , meine Großmutter ist eine Kandaka (Köni­ gin)!“ Bashir wird nun vor dem Internationalen Straf- gerichtshof angeklagt. Demonstranten auf den Straßen prangern das Militär an, das die Macht an sich geris- sen und den demokratischen Übergang des Landes

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KARTE: NGM

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