NATIONAL GEOGRAPHIC

DEN TOPOS DER SCHRECKLICHEN BERGE, WO NUR BARBAREN WOHNEN, DENEN ES AN KULTUR FEHLE, ERFANDEN EINST DIE ALTEN RÖMER.

von Gemüse an. „Das lukriert nicht, aber ich fühle mich in der Pflicht, die Tradition auf- rechtzuerhalten“, sagt der gelernte Maler und Restaurator. Die Tradition, damit meint er die Klein- und Kleinstbetriebe im Langtauferer Tal mit seinen 20 Weilern und 420 Einwohnern. Nicht „lukrieren“ heißt: Gut 5000 Euro zahlt Fliri nach eigenem Bekunden jährlich drauf, um die Landwirtschaft in Schuss zu halten. Das geht, weil er vier Ferienwohnungen vermietet, zwei im Stammhaus, zwei im Strohhaus. „Wir müssen ökosoziale Wirtschaftswege finden“, sagt er und verweist auf das Statut der Alpgemeinschaft im Langtauferer Tal. Seit 200 Jahren nehme es Rücksicht auf Land und Leute, sichere das Überleben von Generationen. Dann schimpft er über die Vinschgauer Apfel­ industrie. Selbst hier oben auf 1850 Metern seien ihre Pestizide nachweisbar. „Die Apfelbauern spritzen mit Hochdruckfässern 15 Meter hoch in die Luft.“ So trägt der Wind Spuren der Gifte hoch bis an die Gletscher. „Das Prinzip der maxi- malen Ausbeute auf minimaler Anbaufläche macht die Natur kaputt“, sagt er, und sein Blick beginnt zu flackern. „Die nachfolgenden Gene- rationen werden dafür bezahlen.“ Fliri sieht sich in der Nachfolge von Generatio- nen von Bergbauern, die die oft kargen Böden so bewirtschafteten, dass die Natur sich regenerie- ren konnte, die mit Demut vor den Bergen auf- wuchsen und denen es nicht um Gewinnstreben ging. Sie pflegten heute als Nebenerwerbsland- wirte die Kulturlandschaft und hielten dank der Einnahmen aus Ferienwohnungen oder Pensio- nen die Tradition aufrecht. Seit ihrer Besiedelung im Neolithikum in Mitteleuropa, also 5000 Jahre v. Chr., waren die Alpen für die meisten eher Barriere oder Gefah- renraum. Die schiere Höhe mit den schneebe- deckten Gipfeln, die reißenden Flüsse und die unberechenbaren Lawinen und Wetterstürze machten den Menschen Angst. Die Römer sti- lisierten dieses Bild zu den montes horribiles , den „schrecklichen Bergen“, und schufen einen Topos, der die europäische Literatur und ihr Image sowie das ihrer Bewohner teils bis heute prägt. Die Menschen in den Bergen galten den Römern als Barbaren, denen es an Kultur fehlte. Dabei schufen die Siedler mit ihrer Hände Kraft aus einer Naturlandschaft – die Alpen waren nach dem Ende der letzten Eiszeit fast durchgängig mit dichtem Wald bestanden – über die Jahrhunderte einen Wirtschafts- und

Schiene statt auf der Straße, möglichst keine neuen Skigebiete oder die Erweiterung beste- hender – und vor allem mehr Unterstützung für kleinbäuerliche Betriebe, die ökologisch wirt- schaften und damit auch Geld verdienen. Viele Beobachter sind sich darin einig, was den Alpen helfen könnte –und die acht Alpenstaaten haben sich sogar darauf geeinigt. Im Herbst 1989 ver- abschiedeten sie zusammen mit der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) die Berchtesgadener Resolution, die zwei Jahre später in die Alpenkonvention mündete – ein supranationales Regelwerk, das den Schutz der Alpen zum Ziel hat. Allein: Das Vertragswerk ist weitgehend zahnlos geblieben. „Radikal“, wie Bianca Elzenbaumer, Co-Präsidentin der Internationalen Alpenschutzkommission Cipra, sie nennt, ist die Alpenkonvention nur auf dem Papier. Ihren Optimismus will sie sich aber nicht nehmen lassen. „Es gibt sehr viele Leute und Gemeinden mit visionären Projekten“, sagt sie. Entscheidend sei, die Initiativen zu vernetzen und an die Öffentlichkeit zu bringen. „Dann sieht man die kritische Masse erst.“ Richard Fliri steht in der Küche seines Wohn- hauses und bereitet das Frühstück. Mit seinen filigranen Händen, die eher nach Klavierspieler denn Landwirt ausschauen, schneidet er selbst gemachte Butter ab und legt sie sorgfältig auf die Teller. Zwei Milchkühe und vier Rinder hält Fliri, drei Zwergziegen hat er für die Ferien­ gäste angeschafft. Außerdem baut er alle Arten

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DIE ALPEN

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