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Die alten Sicheln, Seile und Kuhschellen im eth- nografischen Museum in Valle Maira zeugen vom bäuerlichem Wirtschaften. Das Tal im Piemont war lange von Abwanderung geprägt.

Tagesausflüglern vor Ort helfen, ihnen aber auch Regeln des Naturschutzes erklären. An ande- ren Besucherbrennpunkten der Alpen wie zum Beispiel in Südtirol am Pragser Wildsee mitten im Unesco-Weltnaturerbe Dolomiten werden Zufahrtstraßen für Privat-Pkw zu bestimmten Zeiten gesperrt – ein letztes Mittel, zu dem auch die Gemeinde Grainau am Fuße der Zugspitze greift, wenn sie sich nicht mehr zu helfen weiß. Das Problem hinter dem Phänomen overtou- rism ist vor allem ein gesellschaftliches. Mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- gesellschaft in den 1970er-Jahren wandelte sich das Alpenbild erneut. „Die Alpen werden jetzt als Sportgerät, Spaßarena, Eventraum und Frei- zeitpark unmittelbar und ganz direkt genutzt, um außergewöhnliche Freizeiterlebnisse zu produzieren“, schreibt der Alpenexperte Bät- zing in seinem Band „Die Alpen. Das Verschwin- den einer Kulturlandschaft“. Viele Erholung Suchende seien inzwischen „körperzentriert“, wollten sich spüren und beweisen. Die schöne Berglandschaft – nur noch Kulisse. Ein Beispiel dafür ist die Area 47 im Ötztal, eine Art Disneyland für abenteuerlustige Out- door-Sportler. Seit Mai 2010 kann man über rie- sige Rutschen Fahrt aufnehmen und Salti in ein mit Flusswasser gefülltes Becken machen – voll ausgerüstet mit Neopren und Helm. Es gibt Klet- terwände, die man vom Wasser aus erklimmen muss, eine Wakeboard-Anlage, einen Flying Fox sowie einen Hochseil-Parcours an der Unterseite der Schnellstraßenbrücke. Felix Neureuther, erfolgreichster deutscher Skirennläufer, kennt den Fun-Park. Auch er hat sich dort mit wilden Sprüngen ausgetobt. Doch seit dem Ende seiner Karriere vollzog er einen radikalen Wandel, der in seinem Kopf schon Jahre zuvor begonnen hatte. „Mein Lebensinhalt schmolz praktisch unter meinen Füßen weg“, erzählt er über das Training auf den Alpenglet- schern. 2021 machte er eine Recherchetour, auf der er Klimaforscher wie Hannes Vogelmann, Glaziologen, Biologen und Hüttenwirte traf und daraus ein Buch zum Schutz der Alpen verfasste. „Es ist an der Zeit, das Immer-Mehr infrage zu stellen und mit weniger zufrieden zu sein“, sagt Neureuther und mit ihm einer, der Ski-

fahren immer noch „als das Geilste der Welt“ findet. Laut einer vom Deutschen Alpenverein bereits im Jahr 2013 veröffentlichten Studie sind von den 46 bayerischen Skigebieten bei einem Temperaturanstieg von vier Grad selbst mit künstlicher Beschneiung nur noch drei Gebiete schneesicher. Je nach Klimamodell ist die Vier-Grad-Erwärmung den Alpen in 30 bis 50 Jahren erreicht. Nur wie kann der Slogan „Weniger ist mehr“ Wirklichkeit werden? Wie die Berge erleben und gleichzeitig den CO 2 -Abdruck reduzieren? Es gibt ein Modellprojekt in den Alpen, das sich diese Ziele zur Maxime gesetzt hat: die Berg- steigerdörfer, eine Art Club, der den nachhalti- gen Tourismus fördern soll. Wer dazugehören

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