NATIONAL GEOGRAPHIC

„WENN WIR ABER UNSER LAND

Autor Michael Ruhland ist seit Kindheitsausflügen mit seinem Vater passionierter Bergsteiger. Wei­ tere Bergmotive von Fotograf Peter Neusser sind bei der Edition J. J. Heckenhauer erschienen. Richard Fliri, der Mann mit dem Gespür für Lawinen, hat einen ähnlichen Kampf im Lang- tauferer Tal ausgefochten. Seilbahnbetreiber wollten einen Zusammenschluss mit dem Kau- nertal in Österreich, einem großen Gletscherski- gebiet in den Ötztaler Alpen. Immer wieder in den vergangenen vier Jahrzehnten seien den Bewohnern Millioneninvestitionen versprochen worden, erzählt Fliri und richtet mit der Hand seinen Seitenscheitel. „Wenn wir aber unser Land und unseren Boden hergeben, verlieren wir auch unsere Kultur“, sagt er, und seine Stim- me wird lauter. Am Ende würden „vielleicht zwei Geschäftsführer gut verdienen. Aber wegen solcher Jobs kann man nicht eine Talschaft her- schenken“, so Fliri. Die Langtauferer haben die Avancen bislang abgewehrt. Sie möchten ihre Identität nicht opfern. j Alpen vor mehr als 100 Jahren ist es der erste Versuch der Auswilderung im Nationalpark Berchtesgaden. Bartgeier können eine Spann- weite von drei Metern erreichen und gehören zu den größten flugfähigen Vögeln der Welt. Zwei Ranger werden die beiden Weibchen gleich in eigens für sie gezimmerten Holzkisten zu einer Felsnische unterhalb der Reiteralpe tragen. In diesem Sommer folgen die nächsten Vögel. Artenschutz ist Alpenschutz – und umge- kehrt. Beispielhaft ist eine Skischaukel am Riedberger Horn (1787 Meter) im Oberallgäu. Das Projekt war über Jahre hinweg Zankapfel zwischen den Gemeinden Obermaiselstein und Balderschwang, Natur- und Vogelschützern sowie der Bayerischen Staatsregierung. An dem Grasberg gibt es viele Raufußhühner, Birk- und Auerhuhn sind laut Naturschutzbund vom Aus- sterben bedroht. Die Regierung war drauf und dran, den bayerischen Alpenplan zu ändern und Bergbahnen wie auch Skipisten in dem unter strengem Naturschutz stehenden Berggebiet zuzulassen. Bürgerprotest und eine Landtags- wahl in Bayern führten schließlich zur Kehrt- wende. Das Land Bayern bewilligte den Gemein- den 20 Millionen Euro zur Stärkung des natur- verträglichen Tourismus. Ranger kümmern sich jetzt um Flora und Fauna, koordiniert vom neuen „Alpinium – Zentrum Naturerlebnis Alpin“ – Tierbeobachtungen und Führungen statt Liftfahrten und Après-Ski.

Bewerbung stand. Ein gutes Dutzend lokaler Partnerbetriebe hätten sich der Initiative ange- schlossen und eine Kreislaufwirtschaft aufge- baut. So gründete sich ein Verein für regionale Produkte. Die Bauern verkaufen nun ihre Waren vor Ort und im nahen Berchtesgaden. Das Lammfleisch, das im Rehlegg, dem mit 170 Betten größten Hotel des Ortes, auf den Tisch kommt, stammt nun nicht mehr aus Neuseeland oder Schottland, sondern von drei Ramsauer Bauern, das Wild von der Jagd im Nationalpark. Letzterer ist für den Ort ein Glücksfall. So beendete seine Gründung im Jahr 1978 die Pläne einer Watzmann-Seilbahn. Der National- park Berchtesgaden schützt das, was die Alpen auszeichnet. Sie sind ein Zentrum der Biodi- versität. Mehr als 13 000 Pflanzenarten haben Wissenschaftler in den Tälern, an Bergwiesen, Geröllhängen und im Felsgestein nachgewiesen, rechnet man Pilze, Moose und Flechten hinzu. Etwa 400 davon sind endemisch, kommen also nur hier vor. Noch mehr Tierarten fühlen sich im Alpenraum wohl: 30 000 lautet die Zahl, die meisten davon Insekten. Die Alpen machen nicht einmal zwei Prozent der Landfläche Euro- pas aus und bieten etwa der Hälfte der Arten Heimat – darunter 80 Säugetieren. An diesem Morgen im Juni letzten Jahres steht Fritz Rasp an der Nationalpark-Infostelle Klausbachhaus am Hintersee und blickt auf die zwei Bartgeierweibchen Wally und Bavaria. Seit der Ausrottung der mächtigen Vögel in den UND UNSEREN BODEN HERGEBEN, VERLIEREN WIR AUCH UNSERE KULTUR“, SAGT RICHARD FLIRI.

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