NATIONAL GEOGRAPHIC

Es ist auch nicht so, dass Menschen und Bären immer harmonisch zusammenleben. Nicht ein- mal im aufgeschlossenen Asheville ist das der Fall: Hier haben Bären in den letzten Jahren Haustiere getötet und mindestens einen Men- schen verletzt. 2020 griff eine Bärenmutter, die ihre Jungen verteidigte, den Hund von Valerie Patenotte an. Er überlebte nicht. „Uns ist klar, dass alle miteinander zurechtkommen müssen“, sagt Patenotte auf der Veranda hinter ihrem Haus mit Blick auf die Berge. „Wir wollen ein- fach mehr Abstand von den Bären.“ Wie aufs Stichwort taucht unter uns eine Bärenfamilie auf. Ein Jungtier klettert auf einen Baum, ein an- deres tollt um seine schwerfällige Mutter herum, während diese uns misstrauisch beäugt. MITHILFE EINES EXPERIMENTS will Jennifer Stru- les herausfinden, wie die Bewohner gefahrlos mit ihren wilden Nachbarn zusammenleben können. Zwei Wohnviertel werden mit Bear- Wise ausgebildet, einer Initiative, die bald lan- desweit das „Bärenbewusstsein“ fördern soll. Dazu gehört, dass Haustiere angeleint, Müllton- nen verschlossen und Vogelhäuschen entfernt werden. Menschen sollen sich den Tieren nicht nähern oder sie füttern. Zwei andere Wohnvier- tel erhalten keine Informationen, sie dienen als Kontrollgruppe. Strules will den mit Funk- halsbändern ausgestatteten Bären in allen vier Wohnvierteln auf der Spur bleiben und heraus- finden, ob die Informationen bei den Bewoh- nern zu einer Verhaltensänderung führen und die Berichte über Belästigungen abnehmen. In der Stadt Durango in Colorado wurden sogar mehr als 1000 bärensichere Mülltonnen aufge- stellt. Haushalte, die diese Behälter benutzten, berichteten über einen Rückgang problemati- scher Begegnungen um 60 Prozent. Doch es gibt auch Menschen, die Bären gern bei sich haben. Für Janice Husebo gehören die Tiere zur Familie. Seit 22 Jahren lockt sie hung- rige Bären auf die Veranda ihres Hauses nordöst- lich der Innenstadt von Asheville. Dort dürfen sie sich an Schüsseln mit Vogelfutter bedienen. Die Behörden warnen dagegen, dass das Füt- tern zu mehr Konflikten und Verletzungsrisiken führt. Damit nehme auch die Toleranz für die Tiere ab. Eine kommunale Verordnung verbietet daher die Fütterung. Jennifer Strules hofft, dass ihre Forschung einen Weg aufzeigt, wie man am besten mit den Tieren zusammenlebt – einen Weg, der für sie und für uns der beste ist.

Zwei Bärenjungen tollen im Garten von Kay und Davis Carter in Asheville herum. Das Paar hat einen Auto- reifen als Spielzeug für die Bären aufge- hängt. „Asheville ist gegenüber den Bären sehr aufgeschlossen“, sagt die Wildtierbiolo- gin Colleen Olfenbut- tel. „Aber ich mache mir Sorgen, dass diese Liebe unglücklich enden könnte.“

pflanzte sich kein einziger Bär in diesem Alter fort. Allerdings starben auch 40 Prozent der Stadtbären im Laufe der vier Jahre; die Haupt- ursache waren Autounfälle. Es ist noch unklar, ob das Stadtleben für die Bären von Asheville Fluch oder Segen ist. Andere Studien zeichnen ein eindeutigeres Bild ohne die positiven Aspekte. Auch in ande- ren urbanen Gegenden haben die Bären ein höheres Körpergewicht und mehr Junge, aber ihr Nachwuchs überlebt nur selten. Unter dem Strich geht die Population zurück. Beim Anblick wohlgenährter Bären mit einem Rudel Jung- tiere könnte man meinen, wachsende Städte und ausufernde Vororte würden den Tieren nutzen. Aber die Realität sieht anders aus.

97

WILDWECHSEL IN DEN STÄDTEN

Made with FlippingBook flipbook maker