SH KERN RZ 2

Diskussionen über die Nähe von künstlerischer und kapitalistischer Arbeit wurden bereits Ende der 1990er-Jahre, vor allem unter dem Einfluss von Luc Boltanski und Eve Chiapello geführt, um die Zusammenhänge zwi- schen künstlerischer Subjektivität und der Subjektivität des zeitgenössischen Kapitalismus offenzulegen (vgl. Kunst, 2015, S. 139).

Female Artists und Postfordismus – Kunst, Kind, Alltag

2.2

Das Leitbild der künstlerischen Subjektivität stellt die effizienteste Reprä- sentation des Verschwindens der Differenz zwischen Leben und Arbeit, Nicht-Arbeit und Arbeit sowie Arbeit, Produktion und Reproduktion dar. Die- sem Verschwinden der Differenz haben sich auch häufig feministische Künst- ler_innen und Theoretiker_innen gewidmet, da dieses Verhältnis bei Künst- lerinnen nochmals verstärkt zutage tritt. Bojana Kunst schildert unter Bezug auf Marion von Ostens Text „Irene ist Viele! Or What We Call ‚Productive Forces‘“ von 2009, wie sich Selbst- ermächtigung und Selbstausbeutung unter neoliberalen Bedingungen zuein- ander verhalten. Im Postfordismus sind es unsere kognitiven Fähigkeiten, die wir optimieren sollen und unser Selbstverständnis zur Arbeit, das sich als „In- teresse am lebenslangem Lernen“ formuliert (Kunst, 2015, S. 146). Zusätzlich prägen Beschleunigung und Profitmaximierung als notwendige Logik des Marktes unseren Alltag, indem das Leben optimiert und einer permanenten Effizienzsteigerung unterzogen wird. Marion von Osten, die auf die Bojana Kunst verweist, kritisiert in „Irene ist Viele!“ das Verschwinden der Grenze zwischen Leben und Arbeit. Anhand des Filmes „Die Allseitig Reduzierte Per- sönlichkeit – Redupers“ von Helke Sander (1978) zeichnet Marion von Osten das Leben einer alleinerziehenden Künstlerin im Berlin der 1970er-Jahre nach. Diese changiert täglich zwischen verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beschäftigungsfeldern; zwischen der Arbeit als Künstlerin, als feministische Aktivistin und als alleinerziehende Mutter, zwischen reprodukti- ver Arbeit im Haushalt und Erwerbsarbeit als Fotografin. Als Teil eines Künst- lerinnenkollektivs organisiert die Protagonistin des Films eine Ausstellung. All diese Tätigkeiten übt sie aus, um selbstständig und unabhängig bleiben zu können, entsprechend der feministischen Ideale, für die sie kämpft und ein- steht. Eine bewusste Entscheidung, die jedoch zunehmend vom kapitalisti- schen Verwertungsprozesses vereinnahmt wird (vgl. Kunst, 2015, S. 147). „The emancipatory struggle that had the good life as its objective now reappears in the unsatisfied longing for change and the struggle to survive” (von Osten, 2009), stellt von Osten dazu fest. Bojana Kunst schreibt weiter, dass die „autonome“ Produktion nicht die gesellschaftlichen Widersprüche transzendiert, stattdessen werden die- se nur verkörpert und dadurch verschärft (vgl. Kunst, 2015, S. 148). Das heißt, die „erlangte“ Freiheit verwandelt sich in eine tägliche Abhängigkeit von selbst auferlegten Aufgaben und Projekten (vgl. ebd.).

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Prekär arbeiten – Prekarität, Neoliberalismus, Familie

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