Institutionskritik bis Institution der Kritik
3.1
Institutionskritik bezeichnet eine Kunstrichtung, die es sich zur Aufgabe ge- macht hat, gesellschaftliche und institutionelle Rahmenbedingungen von Kunst analytisch zu untersuchen. Dabei geht es sowohl um die Produktion und den Gebrauch als auch um die Rezeption von Kunst. Betrachtet man den Begriff genauer, so scheint dieser auf einen Zu- sammenhang zwischen einer Methode (Kritik) und einem Objekt (Institution) hinzuweisen (vgl. Sheikh, 2006). Hierzu ist der Begriff Institution – wie von dem französischen Poststrukturalisten Michel Foucault in den 1960er-Jah- ren geprägt, und von dem deutschen Literaturwissenschaftler Peter Bürger in seiner „Theorie der Avantgarde“ von 1974 weitergeführt – folgendermaßen zu verstehen (vgl. Meinhardt, 2014, S.138):
„Mit dem Begriff Institution Kunst sollen hier sowohl der kunstproduzierende und -distribuie- rende Apparat als auch die zu einer gegebenen Epoche herrschenden Vorstellungen über Kunst bezeichnet werden, die die Rezeption von Wer- ken wesentlich bestimmen.“ (Bürger, 1974, S. 29)
Bürger beschreibt so in seinem vielfach zitierten Werk das zu kriti- sierende Objekt, also die Institution Kunst, in seiner gesamten Struktur. Die avantgardistische Kritik des Ästhetizismus ist für Bürger im Sinne einer Ne- gation der Kunstautonomie zu betrachten. Es ging den Avantgarden in den 1960er-Jahren darum, die bürgerliche Trennung zwischen Kunst und Leben aufzuheben, wobei sich durch diese Trennung eine neue Lebenspraxis eta- blieren sollte. Dieses Projekt ist jedoch bekanntermaßen gescheitert, und so ist der Protest gegen die „Institution Kunst als Kunst rezipierbar geworden“, nicht aber als Durchbruch der Kunst in das politische Leben (Bürger, zit. n. Rebentisch, 2013, S. 169). Die Philosophin Juliane Rebentisch formuliert in Theorien zur Geg enwartskunst zur Einführung (2013) diese Problematik als omnipräsent und immer noch aktuell. Die großen Kunstinstitutionen und Biennalen überbieten sich mit politischen Ansprüchen, so Rebentisch, dabei gelinge es jedoch nie, die Differenz von Kunst und Leben aufzuheben. Das Ausgestellte werde im Kunstkontext betrachtet und reflektiert, habe jedoch darüber hinaus keine nachhaltige Wirkung auf die Rezipient_innen (vgl. Rebentisch, 2013, S. 169). Weiter argumentiert sie, dass der Ausdruck von politischem Engage- ment heute leider „das erfolgreichste Schmiermittel zur Aufrechterhaltung des Betriebs selbst zu sein scheint“ und „eine ungute Allianz mit der neo- liberalen Impact-Forderung eingegangen ist, die von den Geisteswissen- schaften und den Künsten verlangt, einen unmittelbaren Nachweis ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit zu erbringen.“ (Rebentisch, 2013, S. 169 f.) Sie beschreibt die meisten Institutionen als neoliberal strukturiert und meint, dass es gerade aufgrund dieser Umstände erneut wichtig sei, „mit und gegen Bourdieu – nach dem ethisch-politischen Existenzrecht der Kunst
27
Institutionskritik und White Cube
Made with FlippingBook - Share PDF online