SH KERN RZ 2

von disziplinären Räumen und Institutionen im Allgemeinen beziehen. Zu- sammengefasst würde Sheikh eine gegenwärtige Kritik der Institutionen nur dort verorten, wo auf den Akt der Institutionalisierung an sich eingegangen wird.

White Cube – Geschichte und Bedeutung

3.2

Der White Cube erfuhr in Hinblick auf die zuvor beschriebene Institutions- kritik in den 1970er-Jahren eine gesteigerte Aufmerksamkeit. Die politischen Ereignisse 1968 forderten auch von Künstler_innen eine Reflexion gegen- über ihren Produktionsbedingungen und Ausstellungspraxen. Die scheinbar untrennbare Verbindung zwischen Kunst und Galerie wurde genauso hin- terfragt wie jene zwischen Kunst und Museum. Der Versuch diesen Status quo aufzulösen mündete in zwei wesentlichen Strategien, mit der Problema- tik umzugehen: Einerseits mit der Abwendung vom Museum, in Form von Kunst im öffentlichen Raum, Aktionskunst, partizipative Ansätze, Fluxus etc., andererseits wurden die Rahmenbedingungen, unter welchen Kunst produ- ziert, präsentiert, rezipiert und gehandelt wird, zum Thema der künstleri- schen Arbeiten. Beispielhaft wären hierfür die Kontextkunst oder die oben beschriebene institutionskritische Kunst zu nennen (vgl. Kravagna, 2014, S. 349). Die räumlichen Präsentationsbedingungen des Ausstellungsrau- mes wurden dekonstruiert, wobei der irisch-amerikanische Konzeptkünst- ler Brian O’Doherty als der Namensgeber für den typischen Kunstraum der Moderne, den White Cube, gilt. In vielerlei Hinsicht hat O’Doherty in drei Artikeln – ursprünglich erschienen diese im Artforum 1976 – den Zeitgeist bezüglich einer Kritik des vermeintlich neutralen, weißen Ausstellungsrau- mes auf den Punkt gebracht. So beschreibt auch Simon Sheikh in seinem vielfach zitierten Essay im e-flux Journal : „The gallery space is not a neutral container, but a historical construct. Furthermore, it is an aesthetic object in and of itself.“ (Sheikh, 2009) In vielerlei Hinsicht ist O’Dohertys Standpunkt so einfach wie radikal: Der Galerieraum ist kein neutraler Behälter, sondern ein historisches Konst- rukt, an dem sich Künstler_innen bis heute abarbeiten. Darüber hinaus ist er ein ästhetisches Objekt an und für sich. Die „ideale“ Form des White Cube ist untrennbar mit den Kunstwerken verbunden, die in ihm gezeigt werden. Der Kontext tritt dabei ins Zentrum der Auseinandersetzung und wird zum Inhalt. Somit wirkt der White Cube selbst transformierend auf die Kunst und wird zusätzlich veränderbar, indem er den Inhalt (die Kunstwerke), nicht mehr in einen Kontext stellt, sondern den Kontext (den Kunstraum) selbst zum Inhalt macht (vgl. Brüderlin, in O’Doherty, 1996, S. 146). Weiter können die Werke im White Cube nur durch die scheinbare Neutralität außerhalb des täglichen Lebens und der Politik als in sich ge- schlossen erscheinen; nur durch die Befreiung von der historischen Zeit können sie ihre Aura der Zeitlosigkeit erlangen (vgl. Sheikh, 2009).

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Institutionskritik und White Cube

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