IM FOKUS – Fach- und Jugendaustausch mit der Türkei
INTERVIEW
Die Wunden heilen
Eine deutsch-türkische Partnerschaft nach dem Erdbeben
Saliha Biçer arbeitet im Jugendhaus Nordstraße in Bonn, ihr Kollege Murat Sözeyatarlar im Jugend- zentrum von Kahramanmaraş in der Türkei. Die beiden Einrichtung verbindet seit 2017 eine Part - nerschaft. Am 6. Februar 2023 bebte in der Türkei die Erde, zehntausende Menschen kamen ums Leben. Das Epizentrum lag unweit von Kahramanmaraş. Die Unterstützung aus Bonn kam prompt und bald soll auch der Jugendaustausch wieder möglich sein.
Anderen zu helfen, macht stark IJAB: Sie kennen sich also schon eine Weile. Was waren ihre Gedanken unmittelbar nach dem Beben? Murat Sözeyatarlar: In den ersten Tagen konnten wir überhaupt nicht richtig denken. Welche Gebäude sind betroffen? Wie geht es Freunden und Verwandten? Die Telefonverbindungen waren unterbrochen und wir wa- ren von der Außenwelt abgeschnitten. Das hat uns in den ersten Tagen beschäftigt. Die Regierung hat dann schnell reagiert und Studentenwohnheime auf dem Uni- Campus, die unbeschädigt geblieben waren, zur Verfü- gung gestellt. Dann haben wir angefangen andere zu unterstützen, oft 24 Stunden rund um die Uhr. Manche von uns haben vier Monate lang ihre Familien nicht gese- hen. Wir haben Lebensmittel verteilt und Zelte vermittelt. Aber anderen zu helfen, macht auch stark. Saliha Biçer: Ich habe sofort versucht Kontakt aufzu nehmen und habe Murat schließlich telefonisch erreicht. Der Fastenmonat Ramadan stand bevor und wir haben Lebensmittel, Sachspenden und Geldspenden gesam- melt und sie nach Kahramanmaraş geschickt. Murat Sözeyatarlar: Das hat es uns ermöglicht Mahl- zeiten zum Fastenbrechen für 3.000 Jugendliche zuzu- bereiten und zu verteilen. Das war ein großes Ereignis, das wir auch als Gelegenheit dafür genutzt haben, dass sich die Jugendlichen untereinander kennenlernen. Wir hatten damals viele Menschen in der Stadt, die aus Orten gekommen waren, wo die Situation noch
IJAB: Herr Sözeyatarlar, wie ist die Situation in ihrer Heimatstadt Kahramanmaraş mehr als ein Jahr nach dem Erdbeben? Murat Sözeyatarlar: Zurzeit sind etwa 70 % der Gebäude im Stadtzentrum wiederhergestellt, das heißt 15.980 Woh - nungen sind fertiggestellt und den Eigentümern vom tür- kischen Präsidenten übergeben worden. 95 % der Men - schen, die die Stadt verlassen hatten, sind zurückgekehrt. Wir bereiten uns auf die Normalisierung der Situation vor. Unsere Angebote für junge Menschen finden wieder statt, die Wunden heilen. Obwohl unser Jugendzentrum sehr nahe am Epizentrum des Bebens lag, hat es wenig abbe- kommen und diente daher als Notunterkunft. Jetzt kön - nen wir unsere Räume wieder nutzen. Aber: 15 oder 16 unserer Mitarbeiter*innen sind beim Beben ums Leben gekommen und die Reparaturen halten weiter an. IJAB: Wie sind das Jugendhaus Nordstraße in Bonn und das Jugendzentrum in Kahramanmaraş miteinan - der verbunden? Woher kennen Sie sich? Saliha Biçer: 2017 sind wir auf einer Partnerbörse von IJAB auf das Jugendzentrum in Kahramanmaraş auf - merksam geworden. 2018 sind wir zum ersten Mal mit 14 Jugendlichen und zwei Betreuer*innen dorthin ge- fahren. Danach ist uns Corona in die Quere gekommen und der Gegenbesuch fand erst 2022 statt. 2023 kam das Erdbeben und machte erneut Austausche unmög- lich. Aber jetzt wollen wir wieder anfangen. Im Herbst wird eine Gruppe aus Bonn in die Türkei reisen und auch eine Gruppe aus der Türkei bereitet sich darauf vor, nach Bonn zu kommen.
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