IJAB: Welche Auswirkung hat das, was Sie beschrei- ben, für den Jugend- und Fachkräfteaustausch?
passiert. Wenn die Regierung es für notwendig erachtet, kann sie mit diesem Gesetz eine Organisation auflösen und/oder einen Treuhänder ernennen. Die Türkei steht mit dieser Entwicklung nicht allein. Russland, Ungarn und weitere Länder haben ähnliche Gesetze. Es sind die jungen Menschen, die sich engagieren Aber selbst unter diesem Druck überlebt die türkische Zivilgesellschaft. Es sind hauptsächlich junge Menschen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit, Klimaschutz, Tier- rechte oder politische Partizipation engagieren. Das sind oft keine formalen Strukturen. Auch die Jugendorgani- sationen funktionieren weiterhin. Mit ihren Aktivitäten versuchen sie unterhalb des Radars zu bleiben. Wenn sie beispielsweise Förderung für ein Projekt zum Gender Mainstreaming erhalten, dann machen sie daraus keine öffentliche Kampagne, sondern bilden Netzwerke und bringen Organisationen und Aktivist*innen zusammen, mit denen sie ohne Öffentlichkeit arbeiten. Wir beobach - ten das auch bei LGBTQ-Themen oder in der Frauenbe- wegung. Gerade letztere ist in der Türkei sehr stark.
Laden Yurttagüler: Dazu erst einmal ein paar praktische Anmerkungen. Wer keinen Pass hat, bekommt kein Visum und hat damit keine Möglichkeit zum physischen Aus- tausch. Das beschränkt die Teilnehmer*innen auf die Mit- tel- und Oberschicht – oder man kennt jemanden im Regie- rungsapparat. Die Wirtschaftskrise und der Wertverlust der Türkischen Lira machen zudem Reisen nach Europa sehr teuer. Viele junge Menschen können sich das nicht leisten. Was das politische Umfeld angeht: Vor 15 Jahren, als ich selbst an Jugendaustauschen beteiligt war, konnten wir über alles sprechen – Menschenrechte, Minderheitenrech- te, was auch immer. Heute sind die Themen zurückhalten- der geworden. Andererseits machen junge Menschen und Fachkräfte Kontakte, die für sie sehr fruchtbar sind – in bei- den Richtungen. Sie erleben Diskussionsräume ohne Kon- trolle. Was und wie wir voneinander lernen, hat sich seit Covid verändert. Die Austausche sind jetzt offener für non- formales Lernen. Natürlich braucht Peer-Learning Struktu - ren, aber es gibt definitiv mehr Möglichkeiten zu lernen.
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