IM FOKUS – Fach- und Jugendaustausch mit der Türkei
INTERVIEW
Bildung hat oberste Priorität
Geflüchtete Kinder und Jugendliche in der Türkei 1,2 Millionen syrische Kinder und Jugendliche leben in der Türkei. Eine Herausforderung für die türkische Gesellschaft. Ümit Bolat arbeitet für die Präsidentschaft für Migrationsverwaltung der Türkei. Er hat daher einen guten Einblick in die Problemlagen jugendlicher Migrant*innen. Für diejenigen, die unter vorübergehendem Schutz stehen und in der Türkei geboren wurden, wünscht er sich, dass eine Entscheidung über ihre Zukunft getroffen wird.
IJAB: Herr Bolat, wie geht es jungen Geflüchteten in der Türkei?
zur Schule gehen, auf wenigstens 80 % anheben. 2022 und 2023 haben wir dazu Pilotprojekte durchgeführt, auch hier in Ankara, an denen psychologische und sozi- ale Einrichtungen sowie NGOs beteiligt waren. Wir ma - chen das mit allen gemeinsam. Die Türkei hat wichtige Schritte zur Integration der syri- schen Geflüchteten unternommen. Die geflüchteten Ju - gendlichen, die die Hälfte der syrischen Bevölkerung in der Türkei ausmacht, stehen vor enormen Schwierigkei- ten. Zu viele sind nicht in der Schule. Die meisten müssen Wut, Trauma, Verlust und Mobbing durch Gleichaltrige verarbeiten. Sie werden bald in das arbeitsfähige Alter kommen und brauchen Arbeit. Zusammen mit ihren internationalen Partnern sollte die Türkei Maßnahmen ergreifen, um Rechte und Angebote für schutzbedürfti- ger Jugendlicher zu stärken, ihre Zukunftsaussichten zu verbessern und ihre Integration in die Gemeinschaften zu fördern, in denen sie leben. Lehrmaterialien und Essen sind für die Kinder und Ju- gendlichen unter vorübergehenden Schutz kostenlos und sie bekommen Unterstützung. Dennoch gibt es viele Menschen, die sich nicht eingelebt haben und kein Türkisch sprechen. Es gibt Spannungen unter den Kin- dern. Manche ziehen sich zurück, neigen zu problemati- schem Verhalten und verlassen die Schule, weil sie sich dort nicht wohlfühlen. Eine unserer Reaktionen darauf war eine 12teilige Serie von Zeichentrickfilmen namens MUYU von jeweils 10 Minuten, die wir in den Schulen
Ümit Bolat: Wenn wir über Geflüchtete sprechen, dann meinen wir vor allem die Syrer*innen, die als Folge des Bürgerkriegs in die Türkei gekommen sind. Etwa 3,3 Milli- onen Syrer*innen haben einen vorübergehenden Schutz- status in der Türkei. Davon sind 1,2 Millionen Kinder und Jugendliche. Das sind gewaltige Zahlen. Die Präsident- schaft für Migrationsverwaltung und die Ministerien für Bildung, Jugend und Sport, Familie und soziale Dienste versuchen gemeinsam etwas für diese Menschen zu tun. Nach einer EU-Studie zur Kindermigration wurden die sogenannten PIKTES-Projekte etabliert, bei denen es um den Zugang zu Bildung und – wie wir es nennen – um „soziale Anpassung“ geht.
IJAB: In Deutschland würde man das als Integration bezeichnen.
Ümit Bolat: Die Türkei hat dafür von der EU finanziel - le Unterstützung erhalten, aber das ist bei weitem nicht ausreichend. Die Türkei selbst hat erheblich mehr Geld investiert. Für uns ist die Bildung der syrischen Kinder und Jugendlichen am wichtigsten. Sie sollen zur Schu- le gehen und nach Möglichkeit studieren. Das ist nicht einfach, wir stoßen dabei an die Grenzen der syrischen Traditionen. Viele Eltern nehmen ihre Kinder nach der 5. Klasse aus der Schule, damit sie arbeiten gehen. Wir wol- len den Anteil der syrischen Kinder und Jugendlichen, die
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