beyond - Internationale Impulse für die Jugendarbeit 01|24

gezeigt haben, um gegen Diskriminierung anzugehen. Ich denke, die Türkei macht dabei ganz ordentliche Arbeit.

IJAB: Wie hat sich das Erdbeben im vergangenen Jahr auf die Situation der Geflüchteten ausgewirkt?

Ümit Bolat: Die meisten Geflüchteten leben nicht in den grenznahen Regionen, die vom Erdbeben besonders stark betroffen waren. Sie sind bereits seit langem in die großen Städte – beispielsweise Istanbul, Izmir oder Ankara – gezogen, weil sie sich dort Arbeit erhoffen. Die - jenigen, die im Grenzgebiet geblieben sind, sind die, die dort Freunde oder Verwandte haben. Wir haben ihnen angeboten, weiter nach Westen zu gehen, wenn sie das möchten. Etwa 40.000 haben davon Gebrauch gemacht. Der türkische Staat trägt die Umzugskosten und gewährt auch Unterstützung bei der Miete. Junge Menschen brauchen einen dauerhaften Aufenthalt IJAB: Haben die Kommunalwahlen einen Einfluss auf das Leben der Geflüchteten? Ümit Bolat: Die Kommunalwahlen haben überhaupt kei- nen Einfluss, denn die Geflüchteten werden ja nach den Gesetzen behandelt und die werden nicht in den Kom- munen gemacht – egal wer die Wahlen vor Ort gewinnt. Das betrifft zum Beispiel die Einreise von Migrant*innen und Geflüchteten. Sie hat nach festgelegten gesetzlichen Regeln zu erfolgen. Aber wenn Sie mich persönlich fragen, was ich politisch ändern will, habe ich schon ein paar Anmerkungen. Die meisten Syrer*innen leben hier seit 12 Jahren mit ei- nem vorübergehenden Schutzstatus. Nach 12 Jahren kann man nicht mehr von einem vorübergehen Zustand sprechen und in Syrien ist kein Krieg mehr. Wir sollten die Regeln also ändern und den Schutzstatus aufheben. Geflüchtete, die bleiben möchten, sollen bleiben, sich an die türkische Gesellschaft anpassen und die Sprache lernen. Dabei sollen sie weiter Unterstützung erhalten. Das hätte für alle Vorteile, zum Beispiel beim Aufenthalt.

Wer freiwillig nach Syrien zurückkehren möchte – und ich meine jetzt wirklich nur diejenigen, die das freiwillig tun möchten – soll dabei auch Unterstützung erhalten, zum Beispiel beim Umzug. Viele Menschen haben dort immer noch Häuser und Grundstücke. Was mir am meis- ten Sorge bereitet, sind die Kinder, die hier geboren sind. Sie werden es schwer haben, sich an die syrische Gesell- schaft anzupassen. Daher kann eine Rückkehr nur frei- willig erfolgen.

IJAB: Gibt es eigentlich einen starken Druck aus der türkischen Mehrheitsgesellschaft, was Migration angeht?

Ümit Bolat: Das kommt darauf an, wen Sie fragen. Es gibt kein einheitliches Bild. Einige wollen die Syrer*innen nicht, andere wollen sie hier haben, zum Beispiel wegen des Arbeitsmarkts. Die enorme Zahl der Syrer*innen un- ter vorübergehendem Schutz ist eine Herausforderung für das Gesundheitswesen, das Bildungssystem und auch für die türkischen Bürger*innen. Die Türkei steht mit dieser Erfahrung nicht allein. Sie kennen das aus Deutschland: Einige haben kein Problem mit Migration, andere wollen in ihrer Region am liebsten überhaupt keine Zuwanderung. Wir müssen einige Dinge also neu ordnen. Das darf aber nicht zu Lasten der eine Million Kinder gehen, die hier geboren sind. Sie brauchen jetzt einen Aufenthalt und sie dürfen auf keinen Fall nach Syri- en geschickt werden.

Kontakt Ümit Bolat Präsidentschaft für Migrationsverwaltung der Türkei Mail: umit.bolat@goc.gov.tr

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