Die Nordlichter ziehen einen schnell in ihren Bann.
A uf einmal wird aus dem schwachen Licht am Horizont ein leuch- tend-farbiger Strudel von grellem Grün und Rosa. Fast ist es wie bei einem bun- ten Gemälde, das auf eine pechschwarze Leinwand gemalt wird. Nordlichter! Doch schon bald wird die Show am Him- mel noch besser: Die farbigen Schleier bewegen sich im Rhythmus der Nacht. Sie wippen am Firmament wie Tänzer auf einer Bühne, mächtiger und surrealer als in den kühnsten Träumen. Der Ort der Himmelsshow: Yellowknife in den Northwest Territories. Die Gemein- de liegt etwa 400 Kilometer südlich vom Polarkreis am Großen Sklavensee und gilt als die Aurora-Hauptstadt der Welt. An kaum einem anderen Ort in Kanada lassen sich die Nordlichter, die auch als Aurora Borealis bezeichnet werden, so gut beob- achten wie dort. Für viele indigene Bewohner des Nordens haben die Lichter eine mystische Bedeu- tung. In ihren Sagen und Erzählungen spielen Nordlichter eine große Rolle. Die Ureinwohner vom Volk der Dene bei- spielsweise glauben, dass die Polarlichter einst vom großen Schöpfer entzündet wurden, um die Menschen auf der Erde daran zu erinnern, dass er stets über die Welt wacht und sie beschützt. Die Cree sehen in den Nordlichtern die Geister der Toten, die am Himmel erscheinen und versuchen, mit ihren Lieben auf der Erde Kontakt aufzunehmen. Die Inuvialuit der Northwest Territories erzählen sich Legenden, in denen die Lichter als Schat- ten der einst Lebenden auftreten und mit einem Walrossschädel Ball spielen.
Manche sagen auch, die tanzende Aurora Borealis sei ein enges Familienmitglied oder ein Freund, der gestorben ist. Joe Bailey, der Betreiber des Outfitters North Star Adventures aus Yellowknife, glaubt, dass die Lichter eine wichtige Botschaft an die Hinterbliebenen auf der Erde sen- den: „Mir geht es hier oben gut. Es gibt keinen Grund, traurig zu sein. Genieße dein Leben, tue Gutes, eines Tages werden wir uns wiedersehen.“ Bailey bietet Besuchern aus aller Welt spe- zielle Aurora-Programme an, bei denen die Perspektive der lokalen Ureinwohner eine wichtige Rolle spielt. Bailey nennt seine Touren „Aurora-Jagd“ und das sind sie tat- sächlich: Mit dem Bus bringt der Aurora- Hunter Bailey seine Gäste von Yellowknife zu einsamen Lichtungen und an entlegene Ufer, stets auf der Suche nach dem besten Blick auf das Himmelsspektakel. Die Tou- ren dauern rund vier Stunden, bei gutem Wetter beträgt die Chance auf Sichtungen 98 Prozent! Mit Glück gibt es unterwegs Büffel zu sehen, auch Eisfisch-Ausflüge können bei Bailey gebucht werden.
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Für die indigenen Be- wohner sind Polarlichter mystische Botschaften.
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