Diese Tatsache erinnert an die diffuse Ganztagsschuldebatte in Deutschland. 1 Die Einführung der Ganztagsschule in Deutschland ist seit Jahren ein zentrales Bildungsthema. Ziel der Ganztagsschule ist es, Bildungsungleichheiten zu verringern und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. Allerdings stellt sich die Frage, ob dieser Ansatz wirklich im besten Interesse der Kinder und Jugendlichen ist oder eher familien- und arbeitsmarktpolitische Ziele ver- folgt. Auch aus Sicht der außerschulischen Bildungsarbeit und des Ehrenamts ergeben sich daher zahlreiche kritische Punkte, die im folgenden Essay beleuchtet werden sollen. Hierbei wird primär der Diskurs der Jugend- und Jugendver- bandsarbeit zusammengefasst. Einleitung Die Ausweitung des Ganztagsschulsystems in Deutschland hat seit der ersten PISA-Studie 2001 eine dynamische Ent- wicklung erfahren. Besonders im Zusammenhang mit dem 2021 beschlossenen Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung, Betreuung und Erziehung ab 2026 wird der Ausbau von Ganztagsschulen massiv vorangetrieben (vgl. DBJR 2023). Das geschieht mit der Einführung des Ganztagsförderungsgesetzes (GaFöG). 2 Der Ausbau von Ganztagsschulen hat weitreichende Auswirkungen auf das Aufwachsen junger Menschen, insbeson- dere im Spannungsfeld zwischen der Förderung von Chancengerechtigkeit und der zunehmenden Institutionalisierung des Aufwachsens (vgl. DBJR 2023). Diese Entwicklung birgt Chancen, aber auch Herausforderun- gen, besonders im Spannungsfeld zur non-formalen Bildung sowie der Jugend- und Jugendverbandsarbeit. Denn, es sollen nämlich nicht nur schulische, sondern auch außerschulische Bildungsangebote und bestenfalls Ehrenämter in die Ganztagsgestaltung integriert werden. Das Konzept der Ganztagsschule in Deutschland zeigt sich aufgrund der regionalen Unterschiede in den Bundeslän- dern als äußerst heterogen, weshalb es schwierig ist, eine einheitliche Definition von „der“ Ganztagsschule zu geben (vgl. BMFSFJ 2017, S. 329). Gerade diese Unterschiedlichkeit lässt viele Fragen insbesondere in der (konzeptionellen) Umsetzung sowie möglichen Kooperationen offen, schafft Unsicherheit in der (Fach-)Praxis und verfehlt klare Antwor- ten. Ebenso stellt sich Ausblicks halber die Frage - wie sie schon im 15. Kinder- und Jugendbericht (2017) angerissen ist - nach einer jugendgerechten Ganztagsförderung, wenn zunächst Grundschulkinder von dem Konzept profitieren sollen. Hier fehlen konzeptionelle Ansätze und Auseinandersetzungen komplett; ebenso das Verständnis der Ganz- tagschule als Ort der politischen Bildung (vgl. BMFSFJ 2020, S. 479). Dennoch soll vor diesen Hintergründen versucht werden, den Diskurs zu skizzieren. Die vorliegende kritische Analyse untersucht daher die Auswirkungen der Ganztagsschulen auf außerschulische Bil- dungsarbeit und das Ehrenamt junger Menschen, basierend auf aktuellen Stellungnahmen vorwiegend aus der Jugendverbandslandschaft und Fachbeiträgen.
Die Rolle der Ganztagsschule im deutschen Bildungs- und Betreuungssystem (in Ostdeutschland)
Ganztagsschulen verfolgen das Ziel, Bildung, Betreuung und Erziehung zu vereinen und damit Chancengerechtigkeit zu fördern. Das sogenannte Kombi-Modell, bei dem Grundschule und Hort als Ganztagsschule fungieren, ist beispiels- weise in Sachsen, Thüringen und Brandenburg verbreitet und von hoher Zufriedenheit der Eltern geprägt. Jedoch zeigen Berichte, dass die Vielzahl der Angebote für Verwirrung sorgt, insbesondere da die Rolle des Horts zwischen ————————————— 1 Der Autorin ist bewusst, dass die Umsetzung der Ganztagsschulangebote nicht mit dem japanischen Schulsystem gleichzusetzen ist. Die Ganztagsschulangebote in Deutschland sollen weniger der Prüfungsvorbereitung dienen als auch nicht unbedingt in der ganzen Schulwoche verpflichtend stattfinden. Dennoch erhöht und verdichtet sich die Zeit der jungen Menschen immer mehr an Orten der Schule (oder für Schule), sodass sich einige Parallelen ziehen lassen. 2 Ab August 2026 erhalten alle Grundschulkinder in Deutschland schrittweise einen Anspruch auf ganztägige Betreuung. Bis 2029 wird dieser Anspruch auf alle Klassenstufen der Grundschule ausgeweitet, was eine Betreuung von acht Stunden täglich an fünf Werktagen vorsieht, inklusive einer Betreuung in den Ferien (vgl. Landesjugendring Baden-Württemberg 2022).
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