Medienpädagogische Peer-to-Peer Projekte und der Safe Space Anne Rinn
Bevor ich zum Fachkräfteaustausch nach Japan aufbrach, sah ich den japanischen Kinofilm „Unschuld“ (Monster) (2023) von Hirokazu Koreeda. Eine Geschichte über Freundschaft und Gruppendynamiken an einer Schule wird uns aus drei Perspektiven in verschiedenen Episoden erzählt. Aus der Sicht eines Jungen, seiner Mutter und des Lehrers. Es geht um Gruppenzwang unter Schüler*innen, wie alle anderen sein zu müssen, sowie Mobbing, die Sorgen einer Mutter um ihr Kind und Schuldzuweisungen an einen Lehrer, der eigentlich das Gute für die Kinder will. Er muss jedoch vor der Öffentlichkeit für etwas geradestehen und sich entschuldigen, was er gar nicht getan hat, nur um den Ruf der Schule zu retten. Jede der Figuren hat ihre eigene Wirklichkeit, eigene Annahmen und Urteile über andere, die unter Druck entstehen. Denn es muss schnell gehandelt werden, bevor es zu einer noch größeren Katastrophe kommt als die, mit der der Film beginnt. Es ist auch eine Coming-Out Geschichte, die zeigt, wie sensibel Kinder und Jugendliche in der Phase der Identitätsfindung sind. Genau diese Phase ist im heutigen Alltag mit der großen Einflussmaßnahme der digitalen Medien auch besonders schwierig und ähnliche Verquickungen dieser drei Parteien sind zu beobachten. Es gibt mehrere Perspektiven, jede der Beteiligten hat eigene Wünsche und möchte, dass alle sich verstehen. Identitätsfindung findet zu einem großen Teil in den Sozialen Medien statt. „Katastrophen“ scheinen überall zu lauern. Wie können wir früh genug Kinder auf- klären? Wer schafft es, sich schneller zu orientieren, wem können wir mehr vertrauen und zutrauen? Wie können die Beteiligten in Beziehung treten ohne vorschnell übereinander zu urteilen? Ist die digitale Welt nur so „dystopisch“ oder können wir Medien auch in positivem Sinne in Zukunft nutzen? Im Film ist es ein wunderschöner geheimnisvoller Ort, an den sich die Kinder zurückziehen, um so zu sein, wie sie sind und um den Keim einer großen Freundschaft sprießen zu lassen. In einem einsam verlassenen Eisenbahnwaggon, ihrem „Safe Space“ (vgl. taz vom 24.03.2024) schaffen sie sich mit viel Phantasie und Kreativität eine neue Welt, die Erwachsenen verborgen bleibt. Solche geheimen Orte kennen heute viele Kinder nicht mehr und suchen sie in der medialen Welt. Safe Space - analog und digital In Japan gibt es viele Angebote für Kinder und Jugendliche, ähnliche Orte wie diesen „Safe Space“ z.B. analog wieder zu entdecken: Es können Sommercamps sein, Landschulaufenthalte oder Angebote von Jugendzentren, die Outdoor- Programme durch Erlebnispädagogik besonders fördern. Ein Mitarbeiter von NIYE, einer Dachorganisation des größ- ten halbstaatlichen Trägers der Jugendhilfe in Japan, berichtete uns von Aktionen, wie z.B. „Lass den Wind der Erlebnisse Wehen“ oder „Früh ins Bett gehen, früh aufstehen und frühstücken“, um zu verdeutlichen, wie wichtig eine angemessene Körperbewegung, ausgeglichenen Ernährung und genügend Schlaf sind. Der Ansatz, den Medien Erleb- nisse mit der Natur und dem eigenen Körper entgegenzusetzen, ist ein zentraler Schwerpunkt in der Kinder-und Jugendarbeit in Japan. Diese analogen Orte den Kindern wieder zu erschließen, ist auch u.a. das Ziel der „Social Media Association“ der Uni- versität Hyogo bei ihren Offline-Camps, die sie anbieten: 5 Tage verbringen Kinder mit Tendenz zur exzessiven Mediennutzung an einem weitab gelegenen, einsamen Ort wie z.B. auf einer Insel, wo es keinen oder nur sehr schlech- ten Internetzugang gibt. Sie machen Outdoor Aktivitäten wie Rudern und Teamspiele, bereiten sich selbst das Essen
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