Das mediale Umfeld junger Menschen

„Lass mich nicht auf ungelesen!“ – Mobbing und andere Grenzverletzungen in sozialen Medien Matthias Felling

Medien sind ein selbstverständlicher Bestandteil in kindlichen und jugendlichen Lebenswelten – das ist in Deutschland so und in Japan nicht anders. Immer mehr Heranwachsende in beiden Ländern haben Zugriff auf mobile Endgeräte – dabei sind vor allem in den jüngeren Altersgruppen die Zahlen in den letzten Jahren gestiegen. Laut Industrieverband BITKOM besaßen 2022 in Deutschland 21 % der 6- bis 9-Jährigen und 86 % der 10- bis 12-Jährigen ein eigenes Smart- phone. Das japanische Amt für Kinder und Familien hat eine vergleichbare Umfrage veröffentlicht. Demnach besaßen 2024 21,3 % der 7-Jährigen ein Smartphone. Bei den 10-Jährigen waren es bereits 65,2 % und bei den 13-Jährigen 91,9 % (vgl. Sumikai 2024). Natürlich gibt es auch Unterschiede in der Mediennutzung. Beispielsweise sind Kinder und Jugendliche in Japan ins- gesamt noch länger online als in Deutschland (vgl. Sumikai 2024 und BITKOM 2024) und auch bei den populären Games und Serien gibt es trotz vieler Gemeinsamkeiten große Unterschiede. Im Folgenden soll es aber um einen eher kleinen Unterschied gehen, aus dem sich aber pädagogische Schlussfolgerungen für die Arbeit mit Kindern und Ju- gendlichen in Deutschland wie in Japan ziehen lassen. „Warum antwortest du nicht?“ „Cyber-Mobbing fängt dann an, wenn eine Nachricht extra auf ´ungelesen´ gelassen wird“, sagte Professor Yoshihiko Kubota im Rahmen eines Vortrags am 28.5.2024. Dieser Satz war eigentlich eine Randnotiz, denn eigentlich ging es um das GIGA-School Programm, das jedes Schulkind in Japan mit einem Tablet oder Rechner ausstattet. Doch einen Tag später beim Besuch in der Gaming-Firma MIXI wurde erwähnt, dass es „Ausgrenzung gibt durch Nachrichten, die nicht beantwortet werden“. Und auch beim Messengerdienst LINE wurde als Beispiel für Cyber-Mobbing genannt, dass eine „Nachricht auf gelesen steht, ohne sie zu beantworten“. Aus der anfänglichen Randnotiz schien sich ein Muster zu zeigen für eine kulturelle Besonderheit. Vermutlich sind auch viele deutsche Heran-wachsende sehr sensi- bel, wenn erwartete Antworten in sozialen Medien ausbleiben. Trotzdem war auffällig, dass verschiedene japanische Fachkräfte dies als erstes Indiz für Mobbing angesehen haben. Mobbing mit und ohne Medien Kinder und Jugendliche erleben Mobbing vor allem in der Schule. Dabei finden Mobbing im analogen Raum und Cy- ber-Mobbing häufig parallel statt – die Übergänge sind fließend. Nicht jeder Streit deutet auf eine Mobbingsituation hin. Aber wenn es wiederholt zu Vorfällen kommt, wenn die Be- troffenen von mehreren anderen schikaniert oder die Täter*innen von anderen unterstützt werden, wenn das schikanierende Verhalten systematisch und über einen längeren Zeitraum hinweg auf eine Person abzielt, sowie wenn ein Kräfteungleichgewicht zwischen Täter*innen und betroffenen Personen vorliegt, dann verdichten sich die Anzei- chen für Mobbing. Cyber-Mobbing ist für Betroffene zusätzlich belastend: Es passiert potenziell öffentlich im digitalen Raum und ist damit besonders demütigend. Inhalte lassen sich nur schwer oder überhaupt nicht löschen. Betroffene können rund um die Uhr schikaniert werden – der Schutzraum zuhause fällt damit weg.

42

Made with FlippingBook - Online catalogs