Politische Dimension Internationaler Jugendarbeit

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Politische Dimensionen erlebbar machen

Anlasspädagogik

ansatz wird mit sogenannten alltäglichen realen Schlüsselsituationen gearbeitet, um hier geeignete Lernthemen aufzu- greifen. Die begleitenden pädagogischen Fachkräfte unterstützen die Kinder und Jugendlichen dabei, relevante soziale Di- mensionen zu entdecken, die zugrunde liegenden Werte und Normen kritisch zu diskutieren sowie eigene Standpunkte zu entwickeln. Im Zusammenhang mit der Frage nach Partizipation und Empowerment von Kindern und Jugendlichen bietet sich eine Schnittstelle zur politischen Bildung an. Dabei wird Partizipation als ein „ent- scheidender Schlüssel zu individuellen Bildungsfortschritten und zu einer nach- haltigen demokratischen Bildung und Erziehung verstanden.“ (Rüdiger Hansen 2005, S. 3). Autonomie und Partizipation sind die beiden zentralen und elementa- ren Begriffe der demokratischen Kultur (Evelyne Höhme-Serke). Inzwischen wird der Partizipationsförderung von Kindern und Jugendlichen besonders im Bereich der nichtformalen kulturellen und poli- tischen Bildungsarbeit wie auch im Rah- men zahlreicher öffentlicher Bildungsplä- ne ein hoher Stellenwert zugewiesen mit dem Ziel, mehr Alltagsbeteiligung von Kindern und Jugendlichen zu etablieren. Hierzu ist eine gezielte anlassbezogene Förderung von Partizipation im Alltag notwendig (Knauer). Es kann sich jedoch eine selbstverständlichere und stabile Beteiligungskultur – auch im Hinblick auf

ihre politische Dimension – nur heraus- bilden, wenn diese auf einer diskursiven, partizipativen Grundhaltung bei allen be- teiligten Akteuren basiert. Dies schließt ein, dass das Bewusstsein hierfür im Alltag geschärft und als Mehrwert wahrgenom- men wird. An dieser Stelle sind auch die politischen Bildungsansätze zu verorten, die sich der Methodik der Anlasspädago- gik bedienen. Allerdings bestehen hier noch erhebliche pädagogische Adap- tions- und Forschungsdesiderate, insbe- sondere mit Blick auf die deutlich ältere Zielgruppenorientierung der politischen Internationalen Jugendarbeit. Neben den zahlreichen konzeptionellen, interkulturellen wie methodisch-didak- tischen Herausforderungen, denen sich die internationale politische Bildungsar- beit stellen muss, kommt hinzu, gege- benenfalls spontan auftretende Themen und Anlässe im Sinne des Lernkonzepts aufzugreifen und zu bearbeiten. Dies wird besonders dann wichtig, wenn die inhaltlichen Äußerungen oder Handlun- gen konträr oder provokativ zu den zu vermittelnden Grundwerten stehen. In der Bildungspraxis wird diesem oftmals mit der aus der themenzentrierten Inter- aktion (Cohn) entliehenen Methode und dem pädagogischen Prinzip ‚Störungen haben Vorrang‘ begegnet. Die nachfol- genden Beispiele illustrieren den Cha- rakter unterschiedlicher Störungen, die Anlass für bildungspädagogische Inter- aktion und Intervention bieten können.

D ie Anlasspädagogik richtet den Blick auf den einzelnen Menschen und sei- ne gesellschaftliche, soziale und kulturelle Sozialisation. Lerninhalte und Lernpro- zesse sind nicht geplant; es wird spontan auf irritierende Situationen eingegangen. Die Bedürfnisse, Inhalte und Themen der Teilnehmenden haben Vorrang und bil- den die Gestaltungsmacht. Die Anlasspädagogik fußt auf der Kin- dergarten- bzw. Kindertagesstättenpäd- agogik der 1970er Jahre und lässt sich in Deutschland auf zwei sozialpädagogische Hauptrichtungen zurückführen: den ‚Si- tuationsorientierten Ansatz‘ (Armin Krenz) und den ‚Situationsansatz‘ (ISTA). Beiden liegt ein sozialpädagogisches Kon- zept zum Empowerment von Kindern und jungen Menschen zugrunde. Der situa- tionsorientierte Ansatz möchte Kinder aktiv und positiv in ihrer demokratischen Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Grundlage sind ihre Lebenswelten, ihre persönlichen Biografien und ihre jewei- ligen Lebensbedingungen, die anhand von zu fördernden künstlerisch-kreativen Ausdrucksformen, beispielsweise durch Malen oder im Spiel, offenbar werden. Ziel dieses pädagogischen Ansatzes ist es, Kinder durch eine konstruktive Reflexion ihrer früheren Erfahrungen zu befähigen, künftig aktiv an der Gesellschaft teilzuha- ben und teilzunehmen. Beim Situations-

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