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Politische Dimensionen erlebbar machen
Aktuelle politische Ereignisse, die alle Planungen über den Haufen werfen
I nternationale Jugendbegegnungen setzen sich in der Regel mit einer spe- zifischen Fragestellung auseinander und sind in ihrer Struktur vorausgeplant. Im Bereich der Politischen Bildung arbeiten entsprechende Begegnungsmaßnahmen oft mit Fallbeispielen, Simulationen, Plan- und Rollenspielen, Exkursionen, Fachgesprächen, Diskussionen sowie mit Methoden der Identitätsreflexion. Die Seminarziele, die Seminargestaltung und das Seminarmaterial sind daher in den meisten Fällen bereits vor Begegnungs- beginn erstellt. Diese Planung kann durch verschiedene Situationen und Ereignisse jedoch stark beeinflusst werden und ist dann gegebenenfalls grundlegend zu überdenken. Eine reflektierte Vorberei- tung auf eine internationale Begegnung zu einer (jugend-)politischen Thematik sollte sich im Vorfeld also nicht allein auf die vorgesehenen Inhalte konzentrieren, sondern sich immer auch mit der Frage beschäftigen, welche Themen und Frage- stellungen die konkrete Begegnung über- lagern könnten. So musste etwa die Seminarplanung einer internationalen Jugendbegegnung mit deutschen, kroatischen und luxemburgi- schen Jugendlichen thematisch vollkom- men umgestaltet werden, als während der ersten einwöchigen Begegnung, bei der es um die anstehende Europawahl
2014 gehen sollte, die EU-Kommission ein Sanktionsverfahren auf Grund des Haushaltsdefizits gegen das erst einjähri- ge EU-Mitglied Kroatien eröffnete. Diese Meldung wurde von den kroatischen Ju- gendlichen sehr negativ aufgenommen und in dezidiert europakritischer Weise in das Seminar hineingetragen. Das Lei- tungsteam entschloss sich deshalb, das Thema der Begegnung auf europäische Finanzpolitik abzuändern. In der Pla- nungsphase war dieses Thema bewusst vermieden worden, da es aus Sicht der Vorbereitungsgruppe dem Alter der Ju- gendlichen, ihren Interessenslagen und sprachlichen Möglichkeiten nicht ange- messen erschien. Doch plötzlich stand eine (exemplarische) Thematik im Raum, die die Gemüter erregte und sich so zu einem Thema der Gesamtgruppe ent- wickelte. In Folge der Umgestaltung der Seminarplanung veränderte sich auch die Mitarbeit der Jugendlichen: mit Lei- denschaft und hoher Eigenmotivation brachten sie sich ein und erarbeiteten die komplexe Thematik weitestgehend selbstständig. Beispiele dieser Art machen deutlich, wie wichtig Flexibilität und ein situations orientiertes Agieren in (internationalen)
Jugendbildungsangeboten ist. Die Inte- ressens- und Ausgangslagen von jungen Menschen ernstnehmen – und dies ist ein Qualitätsstandard der Jugendarbeit – bedeutet in diesen Fällen, Geplantes über den Haufen zu werfen und sich der konkreten Situation zu stellen. Dies setzt einerseits eine hohe Themenkompetenz unter den Teamer(inne)n der Begegnung voraus, andererseits aber auch den Mut, eigene Wissens- und Kompetenzlücken gegebenenfalls offen zu legen und so das Seminar zu einem gemeinsamen Lernpro- zess zu entwickeln. Flexibilität bedeutet hierbei allerdings nicht, die Seminarge- staltung an die Jugendlichen abzugeben, sondern vielmehr nach Möglichkeiten zu suchen, ereignisbezogene Interessen der Teilnehmenden mit in die Planung zu integrieren. Entsprechende Ereignisse können dabei vielgestaltig sein: bei einem Seminar im Bereich Bildung für nachhalti- ge Entwicklung kann etwa die Veröffentli- chung der Walfangquote für das nächste Jahr durch die japanische Regierung ein solches Ereignis darstellen; die Eskalation eines Krisenherdes kann je nach media- ler Repräsentation dazu führen, dass ein Seminar eine andere Richtung nehmen muss – wie etwa die aktuelle Situation in der Ukraine verdeutlicht.
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