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Anforderungen an die Internationale Jugendarbeit als politischer Erfahrungsraum
in einem produktiven Spannungsver- hältnis zwischen dem inhaltlichen Lern- angebot einerseits und der Begleitung des demokratischen, interkulturellen und sozialen Lernprozesses innerhalb der Gruppe andererseits. Der jeweiligen Situ- ation angepasst, muss dieses Verhältnis vom Leitungsteam ausbalanciert und auf grundsätzliche Wertefragen hin ausge- richtet werden. So kann im Lernprozess die demokratische Grundhaltung der Teilnehmenden durch die Beschäftigung mit der politischen Dimension gestärkt werden. Es geht hierbei um ein konstruk- tives Aufzeigen des Werts von demokra- tischem Miteinander in Europa bzw. der internationalen Gemeinschaft und um das persönliche Erleben und Reflektie- ren demokratischer Meinungs- und Ent- scheidungsfindung. These 6: Das Entdecken der politi- schen Dimension benötigt Freiräu- me und Flexibilität der Formate in der Internationalen Jugendarbeit. Lernen in interkulturellen Kontexten benötigt vor allem Zeit und eine för- derliche Atmosphäre. Dies setzt in der Förderpraxis das entsprechende Grund- verständnis voraus, dass Freiräume ein integraler Bestandteil von erfolgreichen Projekten sind. Wichtig ist eine parti- zipativ angelegte Seminargestaltung, bei der nach Möglichkeit Peer-Learning- Ansätze und Selbstregulierung eine Rolle spielen. Es sollte die eigene Meinungs- bildung der Teilnehmenden unterstützt und die Vielfalt der unterschiedlichsten Sichtweisen ermöglicht werden. Hierzu sind offene Methoden wie Open Space,
Unconference oder BarCamp besonders geeignet. Auch das Arbeiten mit Bildern und künstlerischen Ansätzen ist sehr hilf- reich. These 7: Anlasspädagogik und ab- sichtspädagogische Ansätze sind besonders wirksam, wenn sie in der Internationalen Jugendarbeit zusammen gedacht und umge- setzt werden. Interkulturelle Bildungszusammenhän- ge bieten per se viele unvorhersehbare Anlässe, um sich intensiver mit der po- litischen Dimension zu befassen. Refle- xion und Selbstreflexion sind hierbei als Kernelemente einer qualifizierten Pro- jektarbeit anzusehen. Auch gilt es abzu- wägen, denn nicht jeder Anlass braucht ein pädagogisches Auffangen. Oft reicht es aus, die Selbstregulierungskräfte der Gruppe zu nutzen. Auf der anderen Seite ist es wichtig, im Bereich der Absichtspä- dagogik Learning-by-doing-Ansätze zu berücksichtigen, um nicht Gefahr zu lau- fen, dass die politische Dimension in der Internationalen Jugendarbeit zum ver- schulten Politikunterricht führt. Wichtig ist, dass bei keiner der beiden Vorgehensweisen die Teilnehmenden überfordert werden und der Kodex des Beutelsbacher Konsenses mit der Anlass pädagogik verknüpft wird. Positionie- rungen und Einstellungen zur politischen Dimension müssen grundsätzlich freiwil- lig erfolgen. Anlässe sollten seitens der Seminarleitung nicht provoziert, sondern angeboten werden. Auch dürfen sie nicht als thematische oder pädagogische „Fal-
len“ konzipiert werden. Die Leitung soll- te versuchen, auftretende Konflikte in Dilemmata umzuwandeln, um zu einer Wertediskussion hinzuleiten. Nur bei dis- kriminierenden Verletzungen muss die Seminarleitung einschreiten. Diese sind keine Verhandlungssache und klar anzu- sprechen. Vor dem Hintergrund der Partizipations- förderung sollte mehr Anlasspädagogik in die klassischen, oft stark strukturier- ten Lernformate der Absichtspädagogik gebracht werden. These 8: Internationale Jugend arbeit sollte aufgrund ihrer viel- fältigen Pozentiale und enormen Möglichkeiten als politischer Er- fahrungsraum sichtbarer gemacht und weiter ausgestaltet werden. Die Entwicklung hin zu einer ‚politisch reflektierten Lesart des interkulturellen Lernens‘ sollte durch entsprechende wissenschaftliche Studien, politische Rahmensetzungen und die Umsetzung in der Praxis unterstützt und begleitet werden. So könnte der politischen Di- mension Internationaler Jugendarbeit im Spannungsfeld der europäischen Debat- te über ihren Beitrag zur Beschäftigungs- fähigkeit junger Menschen eine größere Bedeutung zukommen.
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