IJAB journal 01/2023

IJAB journal 1|2023

Zwei Wochen in der Schule gelebt

„Es wird oft gesagt, dass Kinder nicht ganz verstehen, was passiert, dass sie vergessen und sich an nichts erin- nern werden. Aber nein, es ist sehr schwierig für Kinder, sie haben Stress, sie ziehen sich zurück oder umgekehrt – sie haben viele Emotionen und wissen nicht, wohin damit – Der Unterricht mit den Freiwilligen hilft den Eltern, etwas Zeit für sich selbst zu finden, und den Kin - dern, um von ihrem üblichen Leben wegzukommen, zu spielen, zu lernen, einfach mit Gleichaltrigen zu reden.“ Ich war vor 8 Jahren an ihrer Stelle Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren kommen in die „Schule des Friedens“. Einige Freiwillige sind nur wenig älter. Die jüngste Freiwillige ist vierzehn Jahre alt. Zum Beispiel die Schülerin Sofia Jakowenko. Sie versteht ihre Schützlinge wie kaum eine andere. Sie selbst stammt aus Berdjansk in der Region Saporischschja. Seit dem 27. Februar 2022 steht ihre Heimatstadt unter russischer Besatzung. Sofi - as Vater dient in den Streitkräften. Und sie wurde Freiwil - lige. Sofia beschriebt ihre Gefühle so: „Wenn man die Freude dieser Kinder sieht, möchte man das sofort wieder tun. Man geht nach Hause, als wäre man furchtbar müde, aber man hat eine Menge Energie. Man fühlt sich glücklich“. Die Freiwilligen suchen selbst nach Themen für den Unterricht, meist durch Surfen im Internet. Während Sofia über ihre Freiwilligenarbeit spricht, veranstalten die Kinder hinter der Wand einen Wettbewerb um die beste Zeichnung. Die Metall-Kunststoff-Tür öffnet sich – wir gehen in einem Strudel von Kinderlärm unter, sie schließt sich – es wird wieder still, bis ein anderer Freiwil - liger hinausgeht, um Bleistifte oder Filzstifte für eines der Kinder zu holen. Einige der Kinder malen einen Hund, andere ihre Mutter, wieder andere ihren besten Freund. Den Kindern wird Freiheit gewährt. Heute kommen etwa zwanzig von ihnen auf sechs Freiwillige.

Junge Menschen engagieren sich hier freiwillig – die ältesten sind knapp über 30. Die meisten von ihnen kommen aus anderen Regionen: Viele sind aus Charkiw, der Region Donezk, Cherson und Kyjiw. Pawlo Didyk ist Student an einer der Charkiwer Universitäten, er stammt aus Saporischschja, ist ein angehender Systemingenieur. Er zog zu Beginn des Sommers nach Iwano-Frankiwsk, als das russische Militär begann, seine Heimatstadt intensiv zu beschießen. Pawlo und ich sitzen auf einer Bank. Während sich Eltern und Kinder an der Tür des öffentlichen Raums versam - meln, erzählt er, wie er vor kurzem mit seiner Familie nach Iwano-Frankiwsk gezogen ist und warum er zum ersten Mal in seinem Leben ehrenamtlich tätig ist. „Am Anfang wohnten wir in der Schule, nicht weit von hier“, sagt Pawlo und deutet mit der Hand auf die Straße. Wir hatten zum Schlafen Matratzen in den Klassenzimmern und bekamen dreimal am Tag etwas zu essen. Seit dem 24. Februar hat die Region Iwano-Frankiwsk fast neun Monate lang etwa 140.000 Vertriebene auf- genommen. Fast alle von ihnen kamen zunächst in die Stadt und suchten dort nach einer neuen Unterkunft. Pavlo sagt: Diese Stadt wurde ausgewählt, weil sie klei - ner ist als Lwiw und eine geringere Einwohnerzahl hat. Doch selbst unter diesen Bedingungen erwies sich die Wohnungssuche als schwierig, denn die Mietpreise stie- gen sofort. „Dann legte sich die Aufregung. Die Menschen began - nen, in Wohnheimen unterzukommen, und die Schulen fingen an, sich auf den Beginn des Schuljahres vorzube - reiten. Einmal war es so, dass ich wie andere Vertriebene zum Hilfszentrum von St. Ägidius kam, um Unterstützung zu erhalten. Dort sah ich, dass ich auch als Freiwilliger kommen und mithelfen kann. Ich beschloss, es zu versu - chen“, sagt Pawlo. Zunächst kam er, um Vertriebenen zu helfen – um Lebensmittel und andere Dinge zu verteilen, dann wur - de ihm angeboten, bei der „Schule des Friedens“ mitzu - machen, um Kindern zu helfen, die vor dem Krieg geflo - hen waren.

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