IJAB journal 01/2023

INTERVIEW

„Russland zerstört alles“ Jugendorganisationen fordern mehr Gehör für junge Menschen aus der Ukraine Natalia Shevchuk ist Vorsitzende des Nationalen Jugendrats der Ukraine. Ivan Paramonov ist Ak- tivist der Jugend-NGO Shtuka, die sich für den Erhalt der kulturellen Ökosysteme in den Regionen Donezk und Luhansk einsetzt. Russlands Angriffskrieg hat ihr Leben grundlegend verändert. Natalia setzt sich international dafür ein, dass junge Menschen aus der Ukraine gehört werden. Ivan liefert humanitäre Hilfsgüter in die befreiten und umkämpften Gebiete.

IJAB: Wie können sich junge Menschen unter den Bedingungen des russischen Angriffskrieges Gehör verschaffen? Wer hört ihnen überhaupt zu?

Aber unter dem Kriegsrecht ist Partizipation nicht mög - lich, alles ist zerstört. Jugendbeteiligung oder das Eintre - ten für sie ist fast unmöglich, es wird zusätzliche Zeit be - nötigen, sie wieder aufzubauen. Ivan Paramonov: Das mit der Zerstörung ist in manchen Regionen wörtlich zu nehmen. Sie werden nach dem Krieg von Grund auf neu aufgebaut werden müssen. Natalia Shevchuk: Als ich neulich an einer Präsentation für unsere internationalen Partner zum Thema „Jugend, Frieden und Sicherheit“ arbeitete, ging mir durch den Kopf, dass wir mehr Fotos hätten machen sollen, zum Beispiel von unseren Jugendeinrichtungen oder unserem Skater-Park. Dann könnten wir nach dem Krieg eine vor - her-nachher-Serie machen. Von dem Skater-Park ist zum Beispiel nichts mehr übrig. Für junge Menschen ist es deprimierend, wenn sie nicht wissen, ob sie jemals in ih- rem Leben die Chance haben werden, in ihre zerstörten Häuser zurückzukehren, und wenn sie erkennen, dass al - les, in das sie ihre Zeit und ihre Gefühle investiert haben, zerstört ist. Oft sind sie völlig auf sich allein gestellt.

Ivan Paramonov: Wir müssen die Kommunikation mit den örtlichen Behörden neu aufbauen. Das Kriegsrecht führt dazu, dass keine zivilen Behörden zur Verfügung stehen, sondern nur militärische. Diese beinhalten kei - ne demokratischen Ansätze, sie geben direkte Befehle, so wie es das Militär tut. Der Krieg ist kein Ort für De - mokratie. Eigentlich hört uns niemand zu, alle sind damit beschäftigt, das Land zu verteidigen. Natalia Shevchuk: Die Lebensverhältnisse in den befrei - ten und umkämpften Gebieten sind katastrophal, es geht um die Befriedigung der täglichen Grundbedürfnisse. Wir müssen jetzt darauf achten, dass die Menschen sich dort nicht von den Behörden alleingelassen fühlen, denn sonst tut sich ein neues Einfallstor für die russische Pro - paganda auf. Was die internationale Dimension angeht: Der Krieg und seine Folgen werden in der Jugendpolitik nicht viel diskutiert. Für die meisten Menschen scheint er weit weg zu sein und am anderen Ende des Kontinents kann man den gewohnten Alltag leben, ohne viel über den Krieg gegen die Ukraine reden zu müssen. Wir müs - sen aber darüber sprechen und dabei ist es wichtig, dass nicht ohne ukrainische Stimmen geredet wird. Was die Kommunikation vor Ort angeht: Dass wir mit den lokalen Behörden sprechen, ist ein Ergebnis der Dezentralisie - rung, die über Jahre vorangetrieben worden ist.

32

Made with FlippingBook - Online catalogs