GESUNDHEITSINTERVIEW
GESUNDHEITSINTERVIEW
WIE SICH DIE PANDEMIE AUF DEN SCHLAF AUSWIRKT – POSITIV UND NEGATIV
Aber Sie sagen doch, dass manche durch den Lockdown wieder zum natürlicheren biologischen Rhythmus zurückgefunden haben?
Das stimmt in der Tat: Die Eindämmungsmassnahmen haben es einigen Patienten, die unter Schlafstörungen leiden, ermöglicht, zu ihrem natürlichen biologischen
Rhythmus zurückzufinden. Weniger «eingeengt» finden sie zu einem besseren Schlaf. Darum sollten wir auch über die Verantwortung der Gesellschaft nachdenken. Sie zwingt allen den gleichen Rhythmus auf, obwohl bekannt ist, dass dieser manchen überhaupt nicht entspricht. Die einfache Tatsache, sich für flexible Arbeitszeiten entscheiden zu können, macht es möglich, zum natür- lichen Rhythmus zurückzufinden.
Die mit der COVID-19-Epidemie verbundenen Ängste und der Stress wirken sich in mancher Hinsicht auf die psychische Gesundheit der Menschen aus, teils mit lang anhaltenden Folgen. Darunter leidet auch die Nachtruhe, weil die psychische Anspan nung bei vielen Schlaflosigkeit verursacht. Andere wiederum sehen es positiver, weil ihre eigene biologische Uhr neu in den Gleichtakt kommt.
Gibt es aufgrund der Pande- mie vermehrt Konsultationen?
Zunächst muss man festhalten, dass Konsultationen wegen Schlafstörungen auch ausser
Hat die Pandemie etwas über den Schlaf an den Tag gebracht?
halb des Pandemiekontextes extrem häufig sind. Wir gehen davon aus, dass etwa ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung im Allgemeinen schlecht schläft. Bestätigt hat diese Zahl unsere letzte grosse Schlafstudie «Hypno Laus», die in Lausanne durchgeführt wurde. Seit dem Lockdown verzeichnen wir zwar keinen dramatischen Anstieg der Konsultationen, doch berichten unsere Pa- tienten über vermehrte Angstzustände. Sie sorgen sich zum Beispiel darüber, wie sich die Gesundheitskrise auf ihre Arbeit auswirkt. Klar beeinflussen diese Unsi- cherheiten auch den Schlaf.
Nur wenige Monate einer Pan- demie reichen nicht aus, um die tatsächlichen Auswirkun-
gen auf den Schlaf zu erkennen. Was wir jedoch beo- bachten, bestätigt alles, was wir bereits über die Physio- logie des Schlafes wissen: Es gibt Mechanismen, die den Schlaf kontrollieren, und Stressfaktoren, die ihn stören können.
Ist unser Immunsystem effizienter, wenn wir gut schlafen?
Natürlich ist die Rolle des Schlafes seit Langem bekannt, auch wenn wir nicht genau wissen, wie er funktioniert ...
Wie wirken sich diese Sorgen auf das Schlafen aus?
Bedenken erhöhen das Risiko von Schlaflosigkeit. Schlaf ist ein sehr komplexes Phäno-
Schlaf bleibt auch für Forschende ein grosses Rätsel! Bis jetzt wissen wir nicht genau, warum wir schlafen. Aktuelle Forschungen haben zu diversen Hypothesen über die wesentlichen Funktionen des Schlafes geführt. Einige davon beschäftigen sich mit der Regulierung und Stimulation des Immunsystems. Während der Impfung gegen Hepatitis A wurde eine Studie mit zwei Personengruppen durchgeführt. Die erste Gruppe konnte nach der Impfung wie gewohnt schlafen, während die zweite in der Nacht nach der Impfung am Schlafen gehindert wurde. Man hat klar gesehen, dass die zweite Gruppe weit weniger Antikörper entwickelte als die schlafende Gruppe. Während des Schlafs passiert also etwas, das das Immunsystem stärkt. Was genau wissen wir nicht. Eine andere Studie zeigte Ähnliches: Man verabreichte Rhinovirus-Tropfen an Menschen, die gut schliefen und an solche, die unter Schlafentzug litten. Bei der zweiten Gruppe trat die Krankheit deutlich häufiger auf als bei der ersten. Hinzu kommt eine allgemeinere und einfachere Beobachtung: Wer krank ist und Fieber hat, ist sehr müde und braucht Schlaf. Unser Körper produziert entzündungs- fördernde Substanzen, die uns zum Schlafen bringen. Sehr wahrscheinlich ist das der beste Weg, um Infek- tionen zu bekämpfen. Guter Schlaf stärkt also eindeutig unser Immunsystem.
men. In unserem Gehirn spielen sich etliche Dinge ab, damit wir einschlafen können. Ausserdem gibt es viele externe Einflüsse, denn so ziemlich alles kann die Schlaf- qualität stören – eine schlechte Matratze natürlich, aber auch die Präsenz von Lärm oder Licht. In diesem Kontext spielen zudem psychologische Faktoren eine extrem wichtige Rolle.
Wird das empfindliche Gleichgewicht zwischen dem «wachen» und dem «schlafenden» System auf die Probe gestellt?
Ja, denn die Flut angstaus lösender Informationen verur- sacht einen Zustand des Hyper vigilanz. Das Gleichgewicht zwischen dem Wachzustand und dem Schlafzustand ist
Für einige Forscher ist die COVID-19-Epidemie die grösste globale Gesundheitskrise seit dem Zweiten Weltkrieg.
sehr subtil und fragil. Läuft alles gut, erfolgt der Wechsel vom einen zum anderen ganz natürlich. In der wachen Phase hemmt das Wachsystem den Schlaf und verlang- samt ihn. Beim Schlafen wird das Schlafsystem aktiviert, es hemmt und verlangsamt das Wachsystem. Ist Letzt eres sehr aktiv, weil wir Sorgen und Bedenken haben, entwickeln wir die sogenannte Hypervigilanz. Obwohl die Balance zwischen Wachsein und Schlaf sehr delikat ist, neigt Wachsamkeit dazu, den Schlaf zu verdrängen. Dies macht es viel schwieriger, einzuschlafen. Damit man dann in den Schlaf kippt, muss man schon einen übermässigen Nachholbedarf an Schlaf kumuliert haben. Aber selbst in der Anfangsphase des Schlafs ist das Wach- heitssystem noch sehr aktiv. Selbst das kleinste Geräusch genügt, um wieder hellwach zu sein. Das Gehirn fängt sehr schnell wieder mit Grübeln und negativen Gedanken an. So entsteht Schlaflosigkeit.
2017 veröffentlichte das Bundesamt für Statis- tik Zahlen zum Gesundheitszustand und zu schlafbezogenen körperlichen Störungen in der Schweiz. 22,9 % der Bevölkerung litten an «durchschnittlichen» Schlafstörun- gen, 6,3 % gar an «pathologischen». Doch wie sieht es während einer Pandemie aus, wenn anzunehmen ist, dass psychische Stressfaktoren und ihre Auswirkungen alle Menschen betref- fen? Was beobachten Schlafkliniken zur Zeit? Darüber haben wir mit Dr. José Haba-Rubio, Neurologe und ärztlicher Co-Leiter am Schlafzentrum Florimont, gesprochen. Der Spezialist für Schlafstörungen arbeitet als Dozent und klinischer Forschungsprofessor an der Fakultät für Biologie und Medizin in Lausanne. Zudem ist er zugelassener Arzt am Schlafuntersuchungs- und Forschungszentrum des CHUV (Centre hospitalier universitaire vaudois).
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