GEKRÖNTE ANMUT Peryphylla peryphylla ist eine Tiefseequalle und gehört zu den Nesseltieren
A bsolute Dunkelheit, extreme Kälte, enormer Wasserdruck – und dazwi- schen fast kochend heiße Quellen. Klingt lebensfeindlich? Ist es aber nicht – am Grund der Ozeane ist nämlich allerhand los. Denn als größter Lebensraum der Erde beherbergt die Tiefsee eines der artenreichsten Ökosysteme. Lei- der ist erst ein Drittel dieser Artenvielfalt bekannt und wissenschaftlich beschrieben. Das heißt im Umkehrschluss: Zwei Drittel der Lebewesen auf und in den Tiefseesedimenten warten noch auf ihre Entdeckung. Forscher schätzen ihre Zahl auf eine Million noch unentdeckter Tierarten. Was man aber sicher weiß, ist, dass in den licht- losen Weiten von stellenweise fast 11.000 Metern Tiefe eine Vielzahl verschiedenster Organismen dafür sorgt, die absinkenden, meist von Plankton stammenden, organischen und anorganischen Stoffe wiederzuverwerten oder zu binden. Das ist für das gesunde Funktionieren der Nahrungs- netze in den Ozeanen unglaublich wichtig. Aber auch, vor allem in den Polarregionen, für das Binden von atmosphärischem Kohlendioxid. Ganz klar: Die Tiefsee – und wie wir mit unseren Ozeanen umgehen – beeinflusst nicht weniger als das gesamte Weltklima. Kaum zu glauben, dass die Tiefsee dennoch bis heute viel weniger erforscht ist als das Weltall – und dass schon mehr Menschen auf dem Mond waren als am tiefsten Punkt des Meeres.
Die letzte Terra incognita Was man jedoch bereits entdeckt hat, ist un- glaublich faszinierend – denn viele Lebewesen dort unten sehen recht eigenartig aus. Je weiter man abtaucht, desto bizarrer wirken sie. Begegnet man in der oberen Dämmerzone (Tiefseezonen: siehe Kasten auf S. 20) noch „Allerweltsarten“ wie Schwertwal, Gelbe Haarqualle, Mondfisch, Japanische Riesenkrabbe sowie Blau-, Buckel- und Narwal, schwimmen in der Mitternachtszone beinahe ein wenig gruselig wirkende, da an die speziellen Umstände angepasste Wesen umher: die leuchtenden Laternen- und Anglerfische et- wa, oder die mit nach oben hin durchsichtigen Köpfen ausgestatteten Gespensterfische, der geleeartige Blobfisch, aber auch Riesenkalmar, Kolosskalmar (mit Augen, die größer als Fußbälle sind!), Weißer Hai, Koboldhai, Grenadierfisch und Pottwal, der mit bis zu drei Kilometern Tauchtiefe die tiefsten Tauchgänge unter den Lungenatmern macht. Diese Mitternachtszone ist die Zone, in der die meisten Tiefseetiere leben. Auch der auf- fällige, leuchtende Bucklige Tiefsee-Anglerfisch (Melanocetus johnsonii), dessen Weibchen mit ihrem angelartigen Auswuchs am Kopf und un- glaublich scharfen Zähnen andere Fische erbeu- ten und dessen Männchen als Zwergmännchen auf ihnen festgewachsen sind. Und die nur 30 bis 40 mm kleine Qualle Halicreas minimum, die mit ihren bis zu 64 Randtentakeln durch die Nordwest-Pazifische Tiefsee schwebt.
JUNI/JULI 2022 / EIN HERZ FÜR TIERE 19
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