Letzte Zuflucht In Westaustralien haben zahlreiche bedrohte Arten einen Rückzugsort gefunden
D as Pärchen im Scheinwerferlicht erstarrt. Geblendet blicken die bei- den Kängurus aus unschuldigen Zwergkaninchen-Augen in Richtung des Rie- sengefährts, das langsam auf sie zurollt. Eben noch hatten sie sich unbeobachtet gewähnt auf ihrem Inselausflug im nächtlichen Nirgendwo. Selbst als der Geländewagen nur wenige Me- ter von ihnen entfernt ist, haben die kleinen Beuteltiere mit dem auffallend dicken Pelz anscheinend noch immer keine potentielle Ge- fahrenquelle ausgemacht. Will Wardle hat rasch den Fuß vom Gaspedal genommen, als er die beiden in der Dunkelheit entdeckt hat. „Rufous Hare-Wallabies“, sagt der Australier, auf Deutsch: Zottel-Hasenkängurus. „Ihr Verhalten ist ganz typisch”, erklärt der 22-jährige Fotograf und Dokumentarfilmer, „Sie verharren einfach in Starrhaltung.“ Die seltesten Beuteltiere Die kleinen Kängurus sind nicht nur äußerst niedlich, sie gehören auch zu den seltensten Beuteltieren Australiens. Dirk Hartog oder Wir- ruwana, wie die Ureinwohner die größte Insel vor der westaustralischen Korallenküste nen- nen, ist in den letzten Jahren nicht nur für rare Kängurus zum Zufluchtsort geworden. „Als ich ein Kind war, gab es auf der ganzen Insel keine Beuteltiere mehr“, sagt Wardle, während er seinen Geländewagen weiter über die Sandpisten der nächtlichen Insel steuert,
nur wenige Raubtiere lebten, die den Zottel- kängurus und anderen kleinen Beuteltieren ge- fährlich werden konnten, be- deutete die Ankunft der Europäer und die von ihnen eingeführten Tiere für viele einheimische Arten eine Katastrophe. Vor allem für Katzen, Füchse und Marder wa- ren die Kleinbeutler leichte Beute. Zudem wur- den Wildkaninchen und Weidetiere zu ernst- haften Nahrungskonkurrenten und zerstörten ihren Lebensraum. Auch Wirruwana verlor einen großen Teil der Tierarten, die die europäischen Seefahrer hier im 17. Jahrhundert vorfanden. 1616 wurde die Insel von dem Niederländer Dirk Hartog ent- deckt und nach ihm benannt. Er war der zweite Europäer überhaupt, der hier australischen Bo- den betrat. Zwar wurde die Insel erst viel später für mehrere Schaffarmen erschlossen, infolge- dessen wurden jedoch zehn der einst hier ein- heimischen Landsäuger bald ausgerottet. Ein besonderes Schauspiel Bereits seit 1991 gehört Wirruwana zum Welterbe Shark Bay. 2009 wurde die Insel zum Nationalpark erklärt und anschließend das Arche-Noah-Projekt „Return to 1616“ ins Le- ben gerufen. Zum Schutz der einheimischen Fauna und Flora wurden auf der größten Insel Westaustraliens bis 2017 Tausende Schafe und Ziegen ausgeschifft oder erlegt. Bis 2018 waren auch sämtliche verwilderte Katzen ausgerottet. Inzwischen wurden wieder neun der Tierarten angesiedelt, die vormals auf der Insel zuhause waren, darunter der Streifen-Langnasenbeut- ler, das Bürstenschwanz-Rattenkänguru und die Sprenkelbeutelmaus. Wardle ist heute bereits in den frühen Mor- genstunden aufgebrochen, denn er möchte am anderen Ende der Insel ein besonderes Schau- spiel festhalten. Um diese Jahreszeit schlüpfen
„jetzt aber sehen wir immer mehr von ih- nen, vor allem in der Nacht. Es ist aufre-
gend, mitzuerleben, wie sich dieser Ort gerade verändert“. Weil hier vor der europäischen Be- siedlung Australiens
Kuschelige Beutler Nicht nur Zottel- Hasenkängurus leben nun wieder auf der Insel Wirruwanaor
September 2025 / Ein Herz für Tiere 71
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