–– RHEINGOLD
25 EINE WEINREISE ––
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Schon in Colmar kam ich mir fast vor, als wäre ich in einen Fantasy-Film geraten, aber als ich das kleine Riquewihr durch das Dolder-Tor aus dem 13. Jahr- hundert betrete, bin ich wirklich mittendrin im Mittelalter. Hier ist alles klein, schnuckelig, krumm, Fachwerk und alte Steine – genau so, wie man es sich vor- stellt, wenn Reiseführer von „pittoresk“ sprechen. Zu fotografieren sind die meisten Ecken aber nur, wenn man die Linse geschickt an den Touristen aus aller Welt vorbei richtet. Ich will gar nicht wissen, wie viele Reisende in der Hochsaison auf einen der 1000 Einwohner kommen.
H i er in diesem uralten Ort bin ich mit dem Nachkommen einer der ältesten Familien im Weingeschäft verabredet. Jean-Frédéric ist ein Vertreter der 13. Generation der Hugels. (Der Name spricht sich üb- rigens wie das deutsche Wort Hügel.) Wie sooft hier im El- sass folgt die Aussprache weder französischen noch deut- schen Regeln. Kurz nachdem der 30-jährige Krieg nicht mehr durch die Gegend tobte, baute der erste Hugel hier Wein an, erzählt Jean-Frédéric Hugel. Er redet freundlich über die Französische Revolution oder Louis XIV., als wä- ren das alles weniger bedeutende Ereignisse aus der vorver- gangenen Woche. Das klingt aber nicht einmal im Ansatz hochtrabend oder schnöselig. „Vielleicht hängt es damit zu- sammen, dass wir evangelisch sind“, meint er, „die Rique- wihrer gelten als besonders bescheiden und auch sparsam. „Und die Hugels setzen noch einen drauf“, erzählt er la- chend weiter. „Wenn ein Hugel etwas wegwirft, bück dich nicht danach“, sage man im Dorf, „es lohnt nicht …“ Dass man ziemlich bodenständig ist, zeigt sich auch beim Weingut selbst. Die gesamte Produktion befindet sich mitten im historischen Ortskern, wo man die alten Gebäude neu unterkellert hat. „Das wurde alles in den 70ern gebaut und war damals absolut bahnbrechend.“ Noch heute, so er- klärt der Winzer, kämen Besucher aus Australien und den USA und erzählten, die Kellerei, die damals schon so aufge- baut war, dass der Wein nur von Schwerkraft bewegt wird und nicht gepumpt werden muss, habe Pate gestanden für die modernsten Weingüter in Übersee. Auf den ersten Blick macht die Anlage in Riquewihr gar nicht so viel her, nichts ist auf Repräsentation ausgelegt, alles eher praktisch, nicht mehr ganz neu, offensichtlich in stetiger Nutzung, aber sau - ber und funktional. „Wir haben damals alles ein bisschen zu groß gebaut. Das ist ein Luxus, den wir uns leisten.“ Er deutet auf die Abfüllanlage, wo gerade gearbeitet wird. „Dort könnte man etwa fünf Mal so viele Flaschen pro Stunde verarbeiten. Aber wir brauchen es nicht schneller. Und wenn man die
FAMILLE HUGEL
BITTE NICHTS WEGWERFEN!
Maschine nicht auslastet, geht sie auch kaum kaputt.“ Noch ein Beispiel, das er mir gibt, ist die Pressgeschwindigkeit. Während in den meisten Weingütern Trauben nur im Aus- nahmefall mal über Nacht gepresst werden, kann die Pres- sung für die Top-Süßweine der Domaine durchaus sieben Tage lang dauern. Mir bleibt der Mund offen stehen und Je - an-Frédéric Hugel freut sich mit einem ansteckenden La- chen, das ich noch oft hören werde. Im Keller gibt es neben erwartbaren Stahltanks eine unüberschaubare Anzahl großer Fuderfässer, die teilweise von Urahnen der Familie selbst gebaut wurden. „Hier, schau‘ mal“, feixt der Winzer, „da wurde unser Name kurzzeitig mal mit einem Umlaut geschrieben!“ Die Prägung aus dem 19. Jahrhundert ist kaum zu entziffern, aber tatsächlich, da steht buchstäblich Hügel. Wie es sei, mit derart alten Fässern zu arbeiten, frage ich. Das Grinsen des Gastgebers wird etwas breiter. „Keine Ahnung. Das sind eigentlich neutrale Tanks.“ Meine Verwunderung darf ich kurz sacken lassen und
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