Rheingold

78 –– RHEINGOLD

79 EINE WEINREISE ––

RHEINROMANTIK

» WENN WIR IN EINEM JAHR ALLE QUALITÄTEN LESEN, DANN HABEN WIR ZEHN VERSCHIE- DENE WEINE AUS EINER REBSORTE. «

Die berühmtesten Zeilen der grassierenden Rhein- romantik sind allerdings ein kurioser Irrtum. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“, singen tau- sende japanischer, amerikanischer und sonstiger Touristen textsicher, wenn sie zwischen St. Goar und Oberwesel den steilen Felsen der Loreley per Schiff passieren. Kaum ein Deutscher kann da noch mithalten. Wer kennt schon Heinrich Heines Loreley auswendig? FRIEDRICH SCHLEGEL KONNTE NICHT AUFHÖREN ZU SCHWÄRMEN. STROM- SCHNELLEN, WILDE NATUR, STEILE HÄNGE, VERFALLENE BURGEN, UND WENN MAN AN LAND GING, FLOSS GOLDENER WEIN IN DIE GLÄSER. FRIEDRICH HÖLDERLIN SANG VOM „EDELSTEN DER STRÖME“ UND SOGAR DIE ENGLÄNDER INFIZIERTEN SICH MIT DEM VIRUS DER RHEINROMANTIK. LORD BYRON UND WILLIAM TURNER MACHTEN SIE IN ENGLAND POPULÄR.

te, plötzlich mehrfarbig. Jeder Qualitätsstufe und Ge- schmacksrichtung wurde eine Farbe zugeordnet. Der Clou war: Es wurde nicht offen kommuniziert, welche Farbe für was stand. Das galt als Insiderwissen, was einen enormen Hype auslöste. Fürst von Metternich – ein Meister der Ge- heimdiplomatie. „Wir haben die Lacke auf zehn Stufen aus- geweitet“, führt Stefan Doktor aus, „dabei stehen die Metall- farben für die trockenen Weine.“ Überhaupt hat sich in den letzten 15 Jahren, in denen er das Weingut leitet, einiges verändert. Vor allem in den Qualitäten. „Man dachte vorher, man müsse irgendwie je- den bedienen“, erzählt er, „einfache Weine für den Super- markt, was für die Gastronomie und irgendwas in der Spit- ze. Das geht aber auf 50 Hektar und bei nur einem Keller nicht, man muss sich entscheiden. Wir haben uns entschie- den, den alten, großen Ruf von Johannisberg wieder herstel- len zu wollen. Und das geht nur mit Top-Qualität, einem klaren Konzept und es braucht Zeit.“ Wir finden, es ist be - eindruckend, was in den letzten 15 Jahren entstanden ist. Schloss Johannisberg thront jetzt nicht mehr nur geogra- phisch als Königin des Rheingaus und des Rieslings auf dem einmaligen Weinberg hoch über dem Rhein. ab

Stefan Doktor

„Wir haben noch einen Vorteil“, so Stefan Doktor, „dass wir in vielen Teilen des Weinbergs eine sehr gute Was- serspeicherkapazität haben.“ In vielen Teilen. Ja, das ist ein Thema: 50 Hektar – und alles ein Grand Cru sozusagen. Der Trend geht eher dazu, aus den Lagen noch einzelne Gewan- nen herauszunehmen. „Der Johannisberg ist schon etwas Besonderes“, weiß mein Gesprächspartner, „er zieht sich rund um den Hügel, auf dem das Schloss steht, und das Ter- roir ist überall gleich. Wir haben hier im Unterboden eisen- haltigen Taunusquarzit und darauf eine Auflage aus sehr ei - senhaltigem Lehm, deren Dicke stark variiert. Außerdem ist die Sonneneinstrahlung in jeder Parzelle anders, das heißt, in der Homogenität liegt paradoxerweise eine erstaunliche Vielfalt.“ Ich denke an die Châteaus in Bordeaux, wo man auch aus den Weinbergen selektiert, andererseits gibt es da aber keine Weinbergsklassifizierung, denn der Johannis - berg ist festgelegt. Sollte Stefan Doktor links oder rechts noch ein paar Parzellen dazukaufen, hießen die Vogelsang, Mittelhölle oder würden direkt zu Winkel, dem Nachbarort, gehören. „Dazu kommt“, ergänzt Doktor meine laut geäu- ßerten Gedanken, „dass der Riesling uns eine enorme Viel- falt bringt. Aus den meisten anderen Rebsorten wird ein Wein gemacht, vielleicht in zwei bis drei Abstufungen. Wenn wir in einem Jahr alle Qualitäten lesen, dann haben wir zehn verschiedene Weine.“ Die Mönche hatten immer drei Qualitätsstufen: gut, mittel, weniger gut. Mit Fürst von Metternich kam dann ein anderes, feineres System. Der österreichische Karriere-Dip- lomat, dessen Familie aus Koblenz stammte, erwarb das Weingut 1816. Auch das eine Meisterleistung, denn August Graf Neidhardt von Gneisenau, Gebhard Leberecht von Blü- cher, der Freiherr von Stein und selbst der russische Zar machten sich Hoffnungen, Johannisberg in Besitz nehmen zu dürfen. Unter Fürst von Metternich wurde der Siegellack, mit dem man damals die Korken der besten Flaschen schütz-

STEFAN DOKTOR IST SEIT 15 JAHREN GUTSDIREKTOR AUF SCHLOSS JOHANNISBERG

Bereits 24 Jahre vor Heine dichtete Clemens Bren- tano über die Jungfrau auf dem Felsen. Sie kam aus Bacharach „Und machte viel zuschanden/Der Männer rings umher ...“ Sogar der Bischof erlag ihrer Schönheit. Am Ende des Gedichtes sind die Loreley, die Ritter, die sie ins Kloster bringen, und auch ein paar Schiffer am Fuße des Felsens, die ihrem immerwährenden Gesang lauschten, tot. So geht also Romantik. Und was fällt Heine, dem Düsseldorfer Spötter und romantischen Anti-Ro- mantiker, dazu ein? Erst einmal hat er keine Ah- nung, warum er so traurig ist, dann kämmt eine Frau ihr Haar und singt „dabei“ und er weiß nicht einmal mehr genau, wie es ausgeht, das Märchen von der Loreley. Mit dem profansten Gedichtende der deutschen Lyrik stößt er die ganze Romantik auf romantische Weise vom Felsen hinab. Das hat mit seiner Feder der Heinrich Heine „gethan“.

EDLE KOLLEKTION – DIE LACKFARBEN DER WEINKAPSELN GEBEN AUFSCHLUSS ÜBER DEN WEINSTIL UND DIE QUALITÄT

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SEPTEMBER 2023

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