04-2015 D

...ganz persönlich:

DROGENHÄNDLER,

wie MEIN VATER

In unserem Kurzeinsatz in Belém, im Norden Brasiliens, arbeiteten mein Mann und ich un- ter anderem im Vorschulkindergarten (PePe) und in Jugendgefängnissen. Dabei lernten wir Kinder und Jugendliche kennen, die aus den Armenvierteln kommen. Manchmal waren wir erschüttert und traurig über die Lebens- geschichten, denen wir begegneten. Aber immer wieder gab es auch lustige Erlebnisse, weil das Denken dieser jungen Menschen so ganz anders ist, als wir es uns gewohnt sind. Schmunzeln mussten wir beispielsweise über diese Geschichte: Das Thema während der PePe- Stunde war „Ich und meine Stadt“. Die Lehrerin- nen erklärten den Kindern, welche Berufe es gibt, und fragten die Kleinen nach ihren Berufswün- schen. Ein Junge sagte voller Stolz:„Drogenhänd- ler, wie mein Vater!“ Die Lehrerinnen nahmen ihn später beiseite und versuchten ihm zu erklären, dass Drogen nicht gut sind und dieser Beruf nicht so toll ist. Er will jetzt Polizist werden! Oder das Erlebnis aus dem Jugendgefängnis: Mein Mann bot einen Kurs zum Thema „Berufs- träume realisieren“ an. Eines der Mädchen wollte Richterin werden. Der Betreuer war darüber recht erstaunt. So hakte er nach, um zu erfahren, was ihre Motivation sei. Die Antwort kam sofort: „Da- mit ich alle Freundinnen freilassen kann!“ Dass wir keine Ahnung davon haben, wie es ist, in Armut aufzuwachsen, wurde uns bei vielen Gelegenheiten bewusst. Deutlich erlebten wir es bei der Zwischenverpegung während einer Schulung für PePe-Lehrerinnen. Etliche dieser Frauen stammen selber auch aus ärmlichen Ver- hältnissen. Essen bedeutet, zu überleben. Aus diesem Grund achtet man weder auf gute Ma- nieren noch darauf, ob die anderen auch etwas bekommen. In einer nächsten Schulung müssten vor der ersten Zwischenverpegung ein paar Re- geln eingeführt werden: Das Essen darf nicht in die Taschen gepackt werden, die Kerne gehören in den Abfall und nicht auf den Boden gespuckt, das Essen soll für alle reichen …

Christine HÜMBELI: ehemalige Kurzzeiterin im ProVIDA, Brasilien

120

Made with FlippingBook flipbook maker