beyond 02|2024

Die Beschäftigung mit dem Thema sexualisierte Gewalt ist auch eine große Chance

Was unsere Arbeit mit anderen Organisationen angeht: Wir führen hauptsächlich Kurzzeitmaßnahmen durch – beispielsweise in Schulen. Aber wir sind auch in der Ju- LeiCa-Ausbildung aktiv und nutzen sie dafür, angehende Jugendleitungen gut auf das Thema sexualisierte Gewalt in der Jugendarbeit vorzubereiten und ermutigen andere, das auch zu tun. Es geht darum Sprechfähigkeit herzustel- len und immer wieder Gesprächsanlässe zu bieten. Wie ist das, wenn man zum ersten Mal von zu Hause weg ist? Was ist, wenn man mit mehreren Personen in einem Zimmer übernachtet? Was ist beim gemeinsamen Duschen okay und was nicht? Ganz wichtig ist es, gegenüber jungen Men- schen Ansprechpartner*innen zu benennen, denen sie vertrauen können. Dass das oft nicht der Fall ist, erleben wir zum Beispiel im schulischen Kontext. Lehrer*innen und Eltern sind eben oft nicht die Personen, denen man sich direkt anvertraut. Aus wissenschaftlichen Studien wis- sen wir, dass junge Menschen teilweise bis zu acht Erwach- sene ansprechen müssen, bis sie ernst genommen werden. Im Kontext unserer Freizeiten behandeln wir Übergriffig - keit im größeren Kontext von „wie gehen wir miteinander um, was sind unsere Grenzen?“. Da werden dann auch Regeln vereinbart, also zum Beispiel keine Spiele wie Fla- schendrehen, die schnell aus dem Ruder laufen können und in denen nicht unbedingt Einverständnis herrscht. Man kann auch Leseecken aufstocken, es gibt einige gute Materialien zum Thema, zum Beispiel von den Falken. Das kann ein Gesprächsanlass sein. Wir achten außer- dem auf die Sprache. Wir benutzen das Wort Missbrauch zum Beispiel nicht, weil es suggeriert, dass es auch einen regelgerechten Gebrauch gibt und wir sprechen nicht von Kinderpornografie, sondern von der Darstellung sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Ein Tipp für Organisationen: Oft ist es gut, sich Partner ins Boot zu holen und Organisationen von extern in Anspruch zu nehmen, die sich mit dem Thema gut auskennen. Für junge Menschen kann das ein Anlass sein, über Dinge zu sprechen, über die sie sonst nicht oft sprechen.

IJAB: Über sexualisierte Gewalt und wie junge Men ­ schen geschützt werden können, wird nicht gerne öffentlich geredet. Worauf führen Sie das zurück? Lena Groh-Trautmann: Es ist tatsächlich für Organisa- tionen kein angenehmes Thema. Wenn ich uns selbst anschaue, dann sagt uns die Statistik, dass es auch bei uns in der Zeit unseres Bestehens Vorfälle gegeben ha- ben muss. Das ist kein gutes Gefühl, besonders, weil wir wissen, dass in den meisten Fällen nicht eine unbe- kannte Person der Täter oder die Täterin ist, sondern jemand aus dem direkten Umfeld des Opfers. Man hat die Täter*innen also zumeist in der eigenen Organisati- on oder ihrem Umfeld. Das ist beunruhigend. Außerdem wissen wir von übergriffigem Verhalten zwischen jungen Menschen. Diese Peer-Gewalt ist nur schwer zu greifen. Wir müssen zudem sehen, wie politisch aufgeheizt die öffentliche Diskussion ist. Wir haben in den letzten Jah - ren eine ganze Kette von Fällen erlebt, in denen sexuali- sierte Gewalt von den Opfern öffentlich gemacht wurde. Prompt gab es zahlreiche Reaktionen, bei denen die Vor- fälle als „normale Sache“ bagatellisiert wurden. Es ist also für eine Organisation nicht leicht, sich diesem Thema zu stellen. Trotzdem schlafe ich als Geschäftsführerin der Servicestelle Jugendbeteiligung besser, wenn ich weiß, dass das Thema bei uns nicht tabuisiert wird und wir uns damit auseinandersetzen, um bestmöglichen Schutz und Unterstützung zu bieten. Insofern können Organisati- onen die Beschäftigung mit dem Thema auch als große Chance wahrnehmen, denn sie trägt etwas zu einem si- cheren Umfeld junger Menschen bei und das ist nicht nur unser Job, sondern ein sicheres Umfeld ist Grundlage für die Arbeit in der Kinder- und Jugendarbeit. Oft ist es gut, externe Partner ins Boot zu holen

IJAB: Unterstützt die Servicestelle andere Organisationen bei solchen Prozessen?

Lena Groh-Trautmann: Nicht direkt. Aber wir bieten die Möglichkeit für Austausch und man kann sich sicher gut Dinge bei uns abschauen und gemeinsam lernen. Bei al- len Fragen zu „Wie kann Beteiligung gelingen“, stehen wir selbstverständlich als Partner*in zur Verfügung.

Kontakt Lena Groh-Trautmann Geschäftsführerin der Servicestelle Jugendbeteiligung Mail: lena@jugendbeteiligung.info

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