Welchen Stellenwert hat das Thema Nachhaltigkeit in internationalen Jugendbegegnungen? Eine Antwort auf diese Frage liefert eine Umfrage, die IJAB zwischen Dezember 2024 und Januar 2025 durchführte. 36 Organisationen mit internationalen Austauschprogrammen beteiligten sich an der Erhebung. Zusätzlich wurden sieben Vertreter*innen aus Jugendorganisationen in persönlichen Interviews befragt.
Nachhaltigkeit in internationalen Begegnungen
Längst Standard oder unrealistischer Wunschtraum?
Dokumentation
Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste in Kürze .......................................................................................................................................................3
I. Nachhaltige internationale Begegnungen – die Größenordnung ...........................................................................4
Anzahl der internationalen Maßnahmen ................................................................................................................ 4
Länderabdeckung ....................................................................................................................................................... 5
Grad der Nachhaltigkeit der Begegnung ................................................................................................................. 5
II. Nachhaltige internationale Begegnungen – die Umsetzung ................................................................................6
Relevanz von Nachhaltigkeit...................................................................................................................................... 6
Häufigste Nachhaltigkeitsmaßnahmen ................................................................................................................... 6
Unterkunft.................................................................................................................................................................... 6
Anreise und Mobilität vor Ort ................................................................................................................................... 7
Leitlinien und Strategien ............................................................................................................................................ 8
Bildungsansätze und Methoden zum Thema Nachhaltigkeit............................................................................... 8
III. Erfahrungen und Wirkungen ................................................................................................................................. 10
Aha-Erlebnisse und Wirkung auf die Teilnehmenden ......................................................................................... 10
Herausforderungen .................................................................................................................................................. 12
Nationale Unterschiede in Annahme und Umsetzung........................................................................................ 12
IV. Potenziale ................................................................................................................................................................. 13
V. Fazit ........................................................................................................................................................................... 15
Impressum ......................................................................................................................................................................... 16
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Der folgende Bericht gliedert sich wie folgt: Zunächst erfolgt eine Einordnung der Größenordnung (I) , gefolgt von einer Analyse ausgewählter Aspekte der nachhaltigen Umsetzung internationaler Begegnungen (II) . Der Darstellung konkreter Erfahrungen der Organisationen (III) folgt eine Diskussion über Potenziale (IV) und ein Fazit (V) , das unterstreicht, warum es sich lohnt, internationale Begegnungen nachhaltig zu gestalten. An der IJAB-weiten Umfrage (12.12.24 – 31.1.25) nahmen 36 Organisationen teil, die selbst internationale Begegnungen veranstalten und dabei unterschiedliche Ansätze verfolgen. Zusätzlich fließen die Aussagen aus persönlichen Interviews mit sieben Vertreter*innen von Jugendorganisationen in die Ergebnisse ein. Die Erhebung ist weder repräsentativ noch erhebt sie den Anspruch auf Vollständigkeit. 1 Die gute Nachricht: Kulturelle Unterschiede lassen sich durch gezielte Planung und Moderation als Bereicherung nutzen. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass Nachhaltigkeit längst fester Bestandteil internationaler Begegnungen ist – mit großem Potenzial für Weiterentwicklung, insbesondere bei Mobilität, Finanzierung und sozialer Nachhaltigkeit. Internationale Jugendbegegnungen sind eine einzigartige Plattform, um Nachhaltigkeit nicht nur zu diskutieren, sondern aktiv zu leben. Das Wichtigste in Kürze 36 Organisationen, über 50 Länder, ein klares Ziel: Nachhaltigkeit spielt in internationalen Jugendbegegnungen eine immer größere Rolle. In 86 % der Maßnahmen wurden nachhaltige Ansätze umgesetzt – vor allem durch ökologische Anreise, nachhaltige Ernährung und Müllvermeidung. Fast 70 % der Programme behandelten Nachhaltigkeit inhaltlich. Während Nachhaltigkeitskriterien bei der Wahl der Unterkunft noch eine untergeordnete Rolle spielen, ist das Bemühen um möglichst klimaverträgliche Mobilität stark ausgeprägt. Die Hälfte der befragten Organisationen verfügt bereits über eigene Nachhaltigkeitsstrategien, und für die große Mehrheit ist Nachhaltigkeit ein zentraler Bildungsauftrag. Vielfältige Methoden und praktische Erlebnisse helfen, nachhaltiges Handeln erlebbar zu machen – der interkulturelle Austausch sorgt für wertvolle Aha- Momente. Doch nachhaltige Jugendbegegnungen erfordern viel Einsatz: Reisezeiten, Kosten und organisatorische Hürden machen nachhaltige Mobilität zur größten Herausforderung. Die Budgets sind knapp. Zudem verlangt nachhaltige Bildung interkulturelle Sensibilität, um Werte authentisch zu vermitteln. Theorie und Praxis klaffen in der Umsetzung teils auseinander.
Zur Autorin : Im Studium machte Susanne Rauh vielfältige Erfahrungen mit internationalen Jugendbegegnungen und arbeitete anschließend viele Jahre in Jugendverbänden als Referentin für die Themen Nachhaltigkeit und Entwicklungspolitik. Mittlerweile arbeitet sie als freiberufliche Trainerin und Evaluatorin.
————————————— 1 Bildnachweis Titelbild: Susanne Rauh
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I. Nachhaltige internationale Begegnungen – die Größenordnung Anzahl der internationalen Maßnahmen Die befragten Organisationen veranstalteten im Jahr 2024 zwischen einer und mehr als 2.000 internationale Maßnahmen. Diese lassen sich in vier Kategorien einteilen: kleine Anbieter (1 – 3 Maßnahmen), mittlere (4 – 10), größere (11 – 25) und große Anbieter (mehr als 25 Maßnahmen pro Jahr). Unter den Beteiligten der Umfrage verteilt sich die Größenordnung wie folgt:
Aufteilung der beteiligten Organisationen nach Anzahl der internationalen Maßnahmen
13,9%
41,7%
25,0%
16,7%
1-3 Maßnahmen 4-10 Maßnahmen 11-25 Maßnahmen über 25 intern.Maßnahmen
Abbildung 1: Diagramm (Aufteilung der beteiligten Organisationen nach Anzahl der internationalen Maßnahmen)
• Für über 40 % der Organisationen sind internationale Begegnungen mit einer bis drei Begegnungen jährlich eher außergewöhnliche Ereignisse. • Knapp 14 % der Organisationen führt hingegen (zum Teil weit) über 25 Begegnungen pro Jahr durch, sodass diese einen zentralen Bestandteil ihrer Arbeit ausmachen. • Die Formate der Begegnung variieren: Es gibt kleine und große feste Gruppen, die gemeinsam reisen, beispielsweise bei Begegnungen von Partnerstädten oder verbandlichen Jugendgruppen, genauso wie individuelle Teilnehmende, die sich einer internationalen Gruppe anschließen, beispielsweise bei Freiwilligendiensten oder Workcamps. • Die Angaben zur Gesamtzahl der Teilnehmenden waren zu ungenau, um sie aussagekräftig analysieren zu können.
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Länderabdeckung Internationale Maßnahmen fanden in mehr als 50 Ländern statt: • Knapp 20 % der Organisationen konzentrierten sich auf ein einziges Land (z. B. Tschechien, Frankreich, Israel). • 40 % organisierten Maßnahmen mit Teilnehmenden aus zwei bis sechs Ländern . • Weitere 40 % boten weltweit Begegnungen an. • 44 % der Organisationen veranstalteten Begegnungen ausschließlich in Europa , einschließlich der Türkei. Grad der Nachhaltigkeit der Begegnung Die Einschätzung, inwiefern ihre Begegnungen nachhaltige Maßnahmen waren, ergab folgendes Bild: • 5,5 % gaben an, keine nachhaltigen Begegnungen anzubieten. • 38,9 % bezeichneten nur einen kleinen Teil ihrer Maßnahmen als nachhaltig.
• 36,1 % bewerteten einen großen Teil als nachhaltig. • 19,4 % sahen alle ihre Maßnahmen als nachhaltig an.
Einschätzung: Anteil nachhaltiger Maßnahmen
19%
6%
39%
36%
alle
ein großer Teil
ein kleiner Teil
keine
Abbildung 2: Diagramm (Einschätzung: Anteil nachhaltiger Maßnahmen) Da sich die Maßstäbe für nachhaltige Maßnahmen stark unterscheiden, lohnt sich eine nähere Betrachtung der praktischen Umsetzung.
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II. Nachhaltige internationale Begegnungen – die Umsetzung
Relevanz von Nachhaltigkeit Nachhaltigkeit ist präsent , aber nicht immer explizit:
• 13,8 % der Organisationen gaben an, dass Nachhaltigkeit keine explizite Rolle spielte. • In 86,2 % der internationalen Begegnungen wurde Nachhaltigkeit jedoch zumindest in gewisser Form berücksichtigt.
Häufigste Nachhaltigkeitsmaßnahmen
• Abfallvermeidung : 63,9 % achteten auf Müllreduktion. • Nachhaltige Ernährung: • 52,8 % boten überwiegend vegetarische Verpflegung an. • 19,4 % setzten ausschließlich auf vegetarische Kost . • 55,5 % legten Wert auf regionale und ökologische Lebensmittel . • Integration ins Programm: 69,4 % behandelten Nachhaltigkeit inhaltlich, teils als zentrales Thema oder mit spezifischen Aktivitäten. • Soziale Nachhaltigkeit: 58,3 % thematisierten Aspekte wie Chancengleichheit, faire Arbeitsbedingungen oder fairen Handel. • Digitale und organisatorische Nachhaltigkeit: • 25 % nutzten digitale Planungstools zur klimafreundlichen Reiseplanung. • 30,5 % integrierten Online-Elemente zur Vorbereitung .
Unterkunft Die Trägerorganisationen nutzen verschiedene Unterkunftsarten:
Abbildung 3: Diagramm (Unterkunft bei internationalen Jugendbegegnungen)
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• Jugendgästehäuser (55,5 %) und Jugendherbergen (44,4 %) sind am weitesten verbreitet. • Hotels/Pensionen (22,2 %) , Zeltplätze (22,2 %) und Gastfamilien (16,7 %) spielen eine kleinere Rolle. Auf andere Übernachtungsstätten wie Jugendzentren, Turnhallen oder Kirchengemeinden entfallen 11,1 %. • Die Wahl der Unterkunft wird maßgeblich durch Lage, Kosten, Kapazitäten, Sicherheitsaspekte und Überlegungen zur Gruppendynamik beeinflusst. • Nachhaltigkeitszertifikate sind nur für 19,4 % der Organisationen entscheidend. • Beispiel guter Praxis: Die Naturfreundejugend entwickelte ein eigenes Siegel für nachhaltige Verpflegung mit dem Fokus auf saisonale, regionale und zertifizierte Lebensmittel. Mindestens sieben von zehn Kriterien müssen erfüllt sein, um das Siegel zu erhalten. Anreise und Mobilität vor Ort Nachhaltige Mobilität ist eine zentrale Herausforderung: • Flugreisen sind oft unvermeidbar : 72,2 % der Organisationen nutzen sie, insbesondere für transatlantische Begegnungen. • Bahn und ÖPNV dominieren innerhalb Europas : 88,9 % der Organisationen setzen darauf. • Reisebusse (58,3 %) sind eine beliebte Gruppenoption. • Als Alternative Transportmittel werden Fahrrad oder Fußwege (19,4 %) sowie Fähren (13,8 %) genutzt.
Abbildung 4: Diagramm (Gewählte Verkehrsmittel bei internationalen Jugendbegegnungen)
Bei der Wahl des Verkehrsmittels zum und am Veranstaltungsort zeigt sich eine deutliche Priorisierung von ökologischen, ökonomischen und praktischen Faktoren .
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• Kosten und Nachhaltigkeit sind die beiden meist genannten Faktoren bei der Wahl des Verkehrsmittels. • Praktikabilität, Erreichbarkeit und Reisezeit spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle. • ÖPNV wird stark bevorzugt , aber Sicherheitsbedenken können hier eine Rolle spielen (z. B. für israelische Gruppen). • Flugreisen werden vermieden , sofern es eine andere Möglichkeit gibt, insbesondere innerhalb Europas. • Positiv bewertet werden Programme wie Green Travelling (Erasmus+), das nachhaltige Reiseoptionen fördert und Zwischenübernachtungen für lange Bahnreisen finanziert. • Eine Kompensation des CO ₂ -Ausstoß ist für viele Gruppen selbstverständlich. Leitlinien und Strategien Genau die Hälfte (50 %) der Organisationen, die an der Erhebung teilnahmen, haben eigene Leitlinien und Strategien zur nachhaltigen Gestaltung von internationalen Jugendbegegnungen. Zwei Beispiele: Bereits vor zwanzig Jahren erarbeitete die Naturfreundejugend ein Leitbild für die nachhaltige Gestaltung von Begegnungen und Veranstaltungen. Anfang 2024 veröffentlichte das Deutsch-Französische Jugendwerk neue Förderrichtlinien, die unter anderem Leitlinien für klimafreundliches Reisen aufstellen. Die Verankerung von Nachhaltigkeit in den organisatorischen Grundsätzen und Leitlinien erleichtert und fördert die konsequente Umsetzung und untermauert den Bildungsanspruch der Veranstaltenden (siehe 6.) Bildungsansätze und Methoden zum Thema Nachhaltigkeit Viele Organisationen betrachten es als wesentlichen Bestandteil ihres Bildungsauftrags in internationalen Jugendbegegnungen, Themen der Nachhaltigkeit aufzugreifen und den Austausch darüber zu fördern. Wie in der praktischen Umsetzung so variiert auch in den Bildungsansätzen der befragten Organisationen die Intensität, die Nachhaltigkeit in den Programmen der Organisation spielt. Während einige Organisationen tiefgreifende Strategien verfolgen, haben andere kaum oder keine spezifischen Bildungsansätze zu Nachhaltigkeit. Die verwendeten Ansätze und Methoden sind vielfältig. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) als Leitprinzip • Viele Organisationen orientieren sich an den Prinzipien der BNE und nutzen das Konzept als Rahmen ihrer internationalen Bildungsarbeit. • Inhalte wie die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN (SDGs) sind häufig Teil der Programme. Workshops, Seminare und interaktive Methoden • Zahlreiche Organisationen bieten Workshops und Einheiten an zu Themen wie z.B. Fair Trade, Fast Fashion oder Klimaschutz. • Gerne genutzt werden Toolboxen mit pädagogischen Ansätzen (Übungen, Spiele, Reflexionsformate). Dabei wird sowohl auf organisationsinterne Sammlungen verwiesen, beispielsweise das Gruppenleiter*innen-Handbuch der IJGD, aber auch auf trägerübergreifende
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Plattformen. So stellt das Deutsch-Polnische Jugendwerk mit Sherpa eine ganze Website zur Verfügung, die Wissen, BNE-Methoden und Projektideen bündelt. • Vereinzelt gibt es auch Peer-Ansätze , bei denen ältere Jugendliche Wissen an Jüngere weitergeben sowie Exkursionen und Museumsbesuche . Praktische Anwendung als Schlüsselaspekt • Nachhaltigkeit wird oft durch aktive Beteiligung vermittelt, z. B. in Projekten mit direkter Umweltauswirkung. • Nachhaltigkeit wird in internationalen Begegnungen oft durch konkrete Maßnahmen vermittelt, die nachhaltiges Verhalten vorleben, beispielsweise die Vermeidung von Einmalplastik, nachhaltiger Einkauf, Ausleihen von Fahrrädern. • Beispiele für innovative Praktiken sind die Verwendung eines eigenen Online-Tool mit veganen Rezepten für große Gruppen oder das Austeilen einer wiederverwendbaren Trinkflasche als Geschenk für jede/n Teilnehmende zum Start der Begegnung. • Häufig stehen konkrete nachhaltige Projekte im Mittelpunkt der Maßnahme, beispielsweise Strandsäuberungen, Bäume pflanzen, Entfernen von invasiven Pflanzen und vieles mehr. • Sensibilisierungs-Maßnahmen zeigen die Konsequenzen von individuellem Verhalten auf, z.B. tägliches Müllwiegen zur Sensibilisierung für Abfallreduktion, das Berechnen des ökologischen Fußabdrucks der Maßnahme, und die Kompensation des entstandenen C02-Ausstoßes. Interkultureller Austausch und lokale Nachhaltigkeitsstrategien • Kulturelle Prägungen spielen in vielen Begegnungen – geplant oder ungeplant - eine Rolle, insbesondere durch die Reflexion von Konsumverhalten und lokale Praktiken. Häufiges Thema dabei ist die Trennung von Müll, das Einsparen von Wasser und Strom oder der Fokus auf regionale und nachhaltige Lebensmittel bei Veranstaltungen. • Zahlreiche Maßnahmen arbeiten mit lokalen Initiativen zusammen (z. B. Rhine Clean Up; HOP! Hannover ohne Plastik) oder fördern auf andere Weise die Begegnung mit der lokalen Bevölkerung. • Bemerkenswert sind auch Ansätze, beispielsweise der Naturfreundjugend, die versuchen, entstandene Emissionen direkt vor Ort auszugleichen, zum Beispiel durch das Anpflanzen von Mangroven. Im Gesamtbild der befragten Organisationen, konzentrieren sich die Bildungsansätze auf individuelles Verhalten (z. B. Müllvermeidung, nachhaltiger Konsum), während systemische Ursachen (z. B. wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen) kaum thematisiert werden.
Aspekte wie Klimagerechtigkeit, koloniale Kontinuitäten und die Verantwortung des Globalen Nordens werden nur vereinzelt erwähnt.
Der Fokus liegt stark auf ökologischer Nachhaltigkeit (z. B. Plastikvermeidung, CO ₂ -Kompensation). Themen wie soziale Gerechtigkeit, faire Arbeitsbedingungen und nachhaltige Stadtentwicklung kommen weniger vor.
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III. Erfahrungen und Wirkungen Seit vielen Jahren versuchen Organisationen internationale Jugendbegegnungen möglichst nachhaltig zu gestalten und nachhaltiges Verhalten erlebbar werden zu lassen. Viele der Erfahrungen, die die befragten Organisationen mit dem Thema Nachhaltigkeit machten, sind positiv und führten zu positiven Erlebnissen, die über die Maßnahme hinaus nachwirken können.
Aha-Erlebnisse und Wirkung auf die Teilnehmenden Nachhaltigkeit ist von Interesse
• Das Interesse an Nachhaltigkeitsthemen ist bei vielen Teilnehmenden internationaler Programme groß. Viele Teilnehmende sind informiert, kritisch und engagiert. Sie zeigen sich motiviert und bringen eigene Ideen ein. • Bildungsmaßnahmen wie Workshops und Reflexionsformate führen oft zu positiven Lernerfahrungen und Aha-Momenten, insbesondere wenn sie mit praxisnahen Lösungen verknüpft sind. Nachhaltigkeit praktisch umgesetzt! • Vor allem bei Begegnungen, die in Deutschland stattfinden, beruhen zahlreiche Aha-Erlebnisse auf dem alltäglichen Erleben von ökologischen Standards. Oftmals sind ausländische Teilnehmende überrascht über die Selbstverständlichkeit der Mülltrennung in Deutschland und über die Unterschiede im Umgang mit Müll und Recycling zwischen Ländern. • Ressourcenschonung ist ein häufiges Thema für Erkenntnisse, ob es sich beispielsweise um Alternativen zum Spülen von Geschirr am laufenden Wasserstrahl handelt, um das Nutzen von Trinkwasser aus der Leitung oder das Sparen von Strom. Bewundert werden häufig deutsche und skandinavische Pfandsysteme verbunden mit der Idee, diese europaweit einzuführen. Vegetarische Ernährung schmeckt – ÖPNV rockt!? • Positives Feedback zu vegetarischen und veganen Speisen kann zur Erkenntnis führen, wie schmackhaft und vielfältig diese sein können. In vielen Jugendherbergen ist es beispielsweise schon Standard, möglichst ökologisch, regional und weitgehend vegetarisch zu kochen. Hilfreich ist, wenn nicht der Fleischverzicht im Mittelpunkt steht, sondern das großartige Angebot vegetarischer Speisen und die Neugier, Neues auszuprobieren. • „Travel like a local“ – für die meisten Organisationen ist es selbstverständlich, vor Ort öffentlich oder zu Fuß, mit Rädern etc. unterwegs zu sein. Positive Beispiele zeigen, dass es nicht nur ökologisch sinnvoll ist, sondern auch richtig viel Spaß machen kann, gemeinsam mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein. Die Reichweite und Flexibilität des ÖPNV in deutschen Städten überrascht viele internationale Teilnehmende. Über weitere Strecken kann die gemeinsame Anreise eine wichtige gruppendynamische Funktion haben und ist bestenfalls nicht nur lästiger Weg von A nach B, sondern bereits Teil der internationalen Begegnung.
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Unterschiedliche Perspektiven auf Nachhaltigkeit • Augenöffnend sind Situationen, die – oft ungeplant – zeigen, wie unterschiedlich die Gewohnheiten der Teilnehmenden sind und der Blick auf deren Auswirklungen für Umwelt, Klima, Arbeitsbedingungen etc. Diskussionen reichen von der Unmöglichkeit von Mülltrennung in Serbien bis zum Dilemma, ein T-Shirt für zwei Euro zu kaufen. Die Diskussionen der Jugendlichen schärfen das Bewusstsein für andere Sichtweisen und Bedürfnisse , aber auch für eigene Prioritäten. • Augenöffnend und motiviert ist es, beispielsweise Schüler*innen in Indien zu begegnen, die in Ökoclubs engagiert sind oder Jugendlichen, die aus einfachsten Verhältnissen kommen und sich mit Zuversicht für ihre Mitmenschen und die Gesellschaft einsetzen. • Augenöffnend kann es auch sein, den unterschiedlichen Stellenwert von Nachhaltigkeit in der Wahrnehmung von Gleichaltrigen zu erleben; zu erleben, dass Nachhaltigkeitsthemen für manche Jugendlichen gar keine Rolle spielen, weil sie mit anderen Themen zu kämpfen haben; zu erleben, dass was für die einen zum guten Ton gehört (sich den Teller voll zu laden) für andere als Lebensmittelverschwendung wahrgenommen wird. Eine Organisation erzählt von einem Geländespiel in einem sehr vermüllten Waldstück – was sowohl die Teilnehmenden als auch die Gastgebenden schockiert und frustriert hat. Andere Perspektiven schärfen die eigenen Werte und die Reflexion des eigenen Verhaltens. Mein Engagement kann etwas verändern! • Wirkungsvolle Erfahrungen im Alltag finden statt, wenn Teilnehmende erleben, wie durch die Nutzung von RE-Cups oder das Auffüllen der eigenen Wasserflasche am Wasserhahn Ressourcen und bares Geld gespart werden. Oder wenn erkannt wird, dass das Nutzen erneuerbarer Energien auch mit finanziellen Vorteilen einhergeht. • Wirkungsvolle Erfahrungen finden statt, wenn Teilnehmende erleben, dass durch ihren aktiven Beitrag und ihr tatkräftiges Engagement etwas Nachhaltiges entsteht: Sei es das Bauen von Nistkästen oder das Gestalten eines Jugendraums. Persönliche Betroffenheit • Wirkungsvolle Erfahrungen werden verstärkt, wenn betroffene Jugendliche selbst ihre Themen transportieren und eine stärkere emotionale Verbindung zu ihren Peers herstellen. Auch dazu bieten internationale Begegnungen oft sehr gute Gelegenheiten. • Trockenheit und Wasserknappheit als Auswirkungen des Klimawandels werden begreifbar durch persönliche Erfahrungen, wenn beispielsweise das Wasser zeitweise abgestellt und rationiert wird. Die Aha-Momente für Teilnehmende an internationalen Begegnungen resultieren aus der direkten Erfahrung von Nachhaltigkeit im Alltag, dem Austausch mit Jugendlichen aus anderen Kontexten sowie aus praktischen Tätigkeiten. Diese Erlebnisse tragen dazu bei, das Bewusstsein zu schärfen und neue Perspektiven auf Nachhaltigkeit zu gewinnen.
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Herausforderungen Allerdings verlangt sowohl die nachhaltige Umsetzung als auch die Vermittlung nachhaltiger Bildungsinhalte im internationalen Kontext den Durchführenden einiges ab. Nachhaltige Bildung erfordert ein großes Maß an interkultureller Sensibilität und manchmal auch an Frustrationstoleranz. Mobilität • Umweltfreundliche Alternativen sind nach wie vor oft teurer und zeitaufwendiger. Partnerorganisationen sind nicht immer bereit, lange Reisezeiten und komplexe Routen in Kauf zu nehmen oder mit dem Bus zahlreiche Grenzen zu passieren, anstatt einfach von A nach B zu fliegen. • Die Planung von öffentlichen Anreisemöglichkeiten innerhalb Europas ist für die Durchführenden sehr aufwendig und schwer kalkulierbar . Rahmenbedingungen wie verschlechterte Stornobedingungen der Bahn sind zusätzliche Hindernisse. • Die mangelnde Anbindung im ländlichen Raum behindert nachhaltige Mobilitätskonzepte. Finanzielle Hürden • Fördermittel reichen oft nicht aus, um nachhaltige Maßnahmen flächendeckend zu etablieren. • Nachhaltige Lebensmittel, fair gehandelte Produkte und klimafreundliche Mobilität verursachen höhere Kosten . Kulturelle Unterschiede • Nachhaltigkeit hat nicht in allen Ländern denselben Stellenwert . Mülltrennung, vegetarische Ernährung oder ressourcenschonender Konsum stoßen teilweise auf Skepsis. Nachhaltigkeit kann als „Luxusthema“ wahrgenommen werden. • Kulturelle Gegebenheiten beeinflussen die Umsetzbarkeit nachhaltiger Maßnahmen und pädagogischer Ansätze, sodass bestimmte Praktiken – etwa die Messung des ökologischen Fußabdrucks oder vegetarische Verpflegung – auf Widerstand stoßen und Akzeptanz gefährden können, wenn sie als Bevormundung oder Überforderung empfunden werden. • Unterkünfte sind häufig nicht an nachhaltige Standards angepasst und nicht bereit, ihre Praktiken zu verändern. Inkonsistente Umsetzung • Fehlende strategische Vorgaben innerhalb der Organisationen erschweren eine einheitliche Umsetzung. • Eine weitere Hürde sind unterschiedliche Haltungen innerhalb des Teams oder die fehlende Sensibilisierung in Teams und Partnerorganisationen. Nicht nur das Interesse, auch das Wissen der Teilnehmenden variiert. • Theorie und Praxis klaffen manchmal auseinander (z. B. nachhaltige Workshops gefolgt von Shoppingtouren in Billigläden; Döner und Getränkedosen in der Freizeit). Nationale Unterschiede in Annahme und Umsetzung In der Erfahrung der befragten Organisationen zeigt sich innerhalb Europas ein Nord-Süd- und West- Ost-Gefälle : Während nachhaltige Praktiken in Nordeuropa oft etabliert sind, erfahren sie in süd- und
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osteuropäischen Ländern geringere Akzeptanz oder eine andere Priorisierung.
Internationale Austauschprogramme zeigen, dass Partnerorganisationen und Gastfamilien unterschiedlich stark für Nachhaltigkeit sensibilisiert sind. Besonders in außereuropäischen Ländern ist die Akzeptanz nachhaltiger Produkte und Verhaltensweisen oft geringer. Der Umgang mit Fleischkonsum und Mülltrennung gehört zu den größten länderspezifischen Differenzen. Trotz eines hohen Nachhaltigkeitsbewusstseins in Deutschland sorgen Aspekte wie der hohe Plastikverbrauch oder langwierige politische Prozesse bei internationalen Teilnehmenden für Verwunderung. Neben nationalen Unterschieden spielen individuelle, generationenbedingte und geschlechtsspezifische Faktoren eine große Rolle. Junge Menschen sind oft besonders offen für nachhaltige Ansätze. Durch gezielte Planung und Moderation können kulturelle Unterschiede als Bereicherung in internationalen Begegnungen genutzt werden. IV. Potenziale Neues entdecken, andere Kulturen erleben und den eigenen Horizont erweitern – das motiviert Jugendliche, an internationalen Jugendbegegnungen teilzunehmen. Ihre Offenheit und Neugier bieten eine wertvolle Chance, Nachhaltigkeit in diesen Begegnungen zu verankern. Die Erfahrungen der beteiligten Organisationen zeigen, dass trotz bestehender Herausforderungen viele Möglichkeiten bestehen, nachhaltige Ansätze erfolgreich in internationale Begegnungen zu integrieren und dadurch Denk- und Veränderungsprozesse anzuregen. Gleichzeitig gibt es in einigen Bereichen noch Verbesserungspotenzial.
In der Erhebung zeigen sich besonders nachfolgende Handlungsfelder:
Nachhaltige Unterkünfte als Standard etablieren
Verbindliche Nachhaltigkeitskriterien für Unterkünfte können Veränderungen anstoßen und das Bewusstsein der Teilnehmenden schärfen. Organisationen unterstützen nachhaltiges Handeln, indem sie klare Richtlinien aufstellen und konsequent kommunizieren. Zudem erleichtern Leitfäden und Checklisten die nachhaltige Vorbereitung der Begegnungen. Nachhaltige Mobilität gezielt fördern Finanzielle Anreize und Förderprogramme wie Green Travelling machen klimafreundliche Reiseoptionen attraktiver. Spezialisierte Anbieter erleichtern die Planung nachhaltiger Reisen. Vor Ort empfiehlt es sich, Wege zu reduzieren und sie umweltfreundlich per Fahrrad, ÖPNV oder zu Fuß zurückzulegen.
Internationale Begegnungen als Lernplattform für Nachhaltigkeit nutzen
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Der Austausch nachhaltiger Lösungen aus anderen Ländern liefert wertvolle Impulse. Workshops, Simulationen und Reflexionsformate schärfen das Bewusstsein für Konsum und Ressourcenverbrauch. Hierbei gibt es eine Vielzahl bewährter Methodensammlungen. Gemeinnützige Aktionen wie Umweltprojekte erzeugen direkten Impact stärken den Teamgeist. Gut geschulte Multiplikator*innen vermitteln nachhaltige Themen interkulturell sensibel. Online- Tools wie Apps, Webseiten und Videokonferenzen unterstützen die nachhaltige Planung, Vorbereitung und den langfristigen Austausch. Persönliche Entwicklung durch Nachhaltigkeit stärken Praxisnahe nachhaltige Projekte stärken die Selbstwirksamkeit und Eigeninitiative der Teilnehmenden. Offene Dialogformate helfen, kulturelle Unterschiede als Lernchance zu nutzen und den interkulturellen Austausch zu bereichern. Nachhaltigkeit im regionalen Kontext anpassen An kulturelle und wirtschaftliche Gegebenheiten angepasste Nachhaltigkeitsmaßnahmen finden mehr Akzeptanz. Die Einbindung lokaler Akteur*innen sorgt für praxisnahe und realistische Lösungsansätze.
Soziale Nachhaltigkeit und Inklusion ausbauen
Barrierefreie Programme und gezielte Unterstützung finanziell benachteiligter Teilnehmender fördern die Inklusion. Kooperationen mit Jugendzentren und anderen Einrichtungen eröffnen bisher unterrepräsentierten Zielgruppen den Zugang zu internationalen Begegnungen. Langfristige Wirkung sicherstellen Systematisches Monitoring und konsequente Evaluierung könnten die langfristigen Fortschritte nachhaltiger Maßnahmen erfassen. Alumni-Netzwerke und Austauschformate könnten nachhaltiges Engagement über die Begegnung hinaus fördern. Strukturen, die nachhaltiges Handeln langfristig unterstützen, entfalten die größte Wirkung.
Nachhaltigkeit in internationalen Begegnungen - längst Standard oder unrealistischer Wunschtraum?
5,9%
5,9%
38,2%
50,0%
Längst Standard
Auf einem guten Weg
Noch dicke Bretter zu bohren
Unrealistisches Ziel
Abbildung 5: Diagramm (Nachhaltigkeit in internationalen Begegnungen - längst Standard oder unrealistischer Wunschtraum?)
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V. Fazit
Als Fazit der IJAB-weiten Umfrage gaben 50% der Organisationen an, sie sehen Nachhaltigkeit in internationalen Begegnungen „auf einem guten Weg“.
Die Umfrage zeigt, dass Nachhaltigkeit in internationalen Begegnungen längst keine Ausnahme mehr ist. Viele Organisationen sind auf einem guten Weg, sehen jedoch weiterhin Herausforderungen. Besonders in den Bereichen Mobilität und Finanzierung gibt es Verbesserungspotenzial. Internationale Begegnungen bieten eine wertvolle Plattform, um Nachhaltigkeit nicht nur theoretisch zu diskutieren, sondern auch aktiv zu erleben und umzusetzen.
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Impressum
Die Dokumentation zur Erhebung zum Thema „Nachhaltigkeit in Internationalen Begegnungen“ wurde zusammengestellt von
IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Godesberger Allee 142-148 53175 Bonn
Telefon: 0228 9506-0 Fax : 0228 9506-199 E-Mail: info@ijab.de Internet: https://www.ijab.de
Stand: Februar 2025
Verantwortlich: Daniel Poli Redaktion und Ansprechpartnerin: Susanne Rauh (susanne@pri.swiss)
Bei Fragen zu der Erhebung wenden Sie sich bitte an: Kira Schmahl-Rempel (schmahl@ijab.de)
Vorlagengestaltung: simpelplus.de, Berlin
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Die zusammengestellten Informationen wurden nach bestem Wissen recherchiert. Sie erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Hinweise, Änderungs- und Ergänzungsvorschläge nimmt die Redaktion gerne entgegen.
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