Eisenbahn Romantik

BAHNMENSCHEN

Komplizierte Herausforderun- gen an den Betrieb und ein breites Fahrtenangebot, wie geht das heute noch zusammen? Wie bei einem anderen Fahrzeug auch gibt es Wartungszyklen, die eingehalten werden müssen - und Reparaturen: Manchmal sind das abenteuerliche Geschichten, wenn ein Ersatzteil von irgendwoher besorgt werden oder nachgefertigt werden muss. Dann gibt es Vor- schriften und aufwändige Nachweis- pflichten natürlich auch für histori- sche Züge. Solche Züge dürfen auch nicht ohne Zugsicherung auf dem Netz verkehren, was teure Nachrüs- tungen erfordert. Aber wenn eine Strecke ein Jubiläum hat, dann versuchen wir wirklich, auf dieser Strecke zu fahren, um so Geschichte erzählen zu können. Zusammen mit den SBB haben wir bisher immer Lösungen gefunden. Wir haben in unserem Angebot dabei jährlich wiederkehrende Fahrten, wie unseren „Erlebniszug San Gottardo“, mit dem wir über den Gotthard fahren und den Leuten dabei Information zu Brücken, Tunnels oder anderen interessanten Bauwerken geben. Wir planen dort Langsamfahrten ein und per Lautsprecher erfährt man alle technischen Details, damit diese in Ruhe erfasst werden können. Pro Jahr widmen sich außerdem spezielle Fahrten Ereignissen und Jubiläen. So fahren wir am 18. Juni 2022 mit unserer C 5/6 von Erstfeld nach Göschenen anlässlich „150 Jahren Baubeginn des Gotthard- scheiteltunnels“. Wir servieren den Gästen dann auch ein „historisches Mittagessen“, so, wie es seinerzeit üblich war. Eisenbahngeschichte darf eben auch durch den Magen gehen. Trotzdem, die Herausforderun- gen für die Zukunft bleiben enorm. Können Sie einschätzen, worauf wir zählen können, worauf eher nicht?

entsprechende Elektronik nicht mehr vorhalten. In der Archiv- welt wiederum gibt es zukünftig spannende Möglichkeiten z.B. anhand virtueller Realitäten. Das Wagenmaterial ist eine beson- dere Herausforderung. Im letzten Jahr nahmen wir zwei Personenwa- gen wieder in Betrieb, zwei weitere kommen nun hinzu. Wir sind in der glücklichen Lage, Personenwagen aus verschiedenen Zeitepochen zu besitzen. Bei unserer Leichtstahl- Flotte haben wir sogar neue Achsen und Radsätze in Reverse-Engineering herstellen lassen und können so weitere Leicht-Stahlwagen in Betrieb nehmen. Ähnlich ist es mit Personenwagen aus den 1930er Jahren; hier bauen wir Drehgestell- Komponenten nach, so vergrößern und stabilisieren wir unsere Be- triebs-Personenwagenflotte. Das Stabilisieren einer betriebsfähigen Flotte für unser „Erleben, nicht nur Bewahren-Konzeption“ überhaupt bleibt die Herausforderung, der wir uns mit Kreativität und Zukunfts- planung stellen müssen.

Entscheidend ist die emotionale Verbundenheit der Schweizer Gesellschaft mit ihrer Bahn, die wir stimulieren können. Man hat Freude an uns. Wenn man aber notwendige Unterhaltsarbeiten in Zahlen ausdrückt, ergibt sich sofort ein limitierender Faktor: Wir werden zukünftig kaum einen Großteil unserer 200 Fahrzeuge betriebsfähig erhalten können und uns auf Perlen fokussieren müssen. Ein weiterer limitierende Faktor ist der Platz: Für unsere Fahrzeuge bräuchte es vier (!) Kilometer Abstellfläche, möglichst unter Dach. Da stoßen wir an Grenzen. Ein wichtiger Punkt ist die Know-how-Sicherung für den Unterhalt aber auch die Bedienung der Fahrzeuge. Ein Lokführer mit heutiger Lokführerschulung kann per se keine 100-jährige Elektrolok und keine 120-jährige Dampflok bedienen. Hier nun leisten unsere kooperierenden Vereine Unglaubli- ches und helfen mit viel Frontarbeit, dieses Wissen und Know-how zu pflegen. Unser Ziel ist es trotzdem, auch heute verkehrende Fahrzeuge bei Ausscheiden aus dem Betrieb in Sammlung und Archiven aufzunehmen und zu dokumen- tieren. Wir führen ein Verzeichnis aller sich im Besitz der SBB befindlichen Fahrzeuge und machen Evaluationen. Ob das zukünftig betriebsfähige Fahrzeuge sind, ist schwer zu beantworten. Eine 100-jährige Dampflok werde ich in 20 Jahren noch betreiben können. Eine heutige Betriebslok, vollgestopft mit Elektronik, wird zum Problem, sobald Hersteller

Lieber Herr Andermatt, vielen Dank für das Interview. Interview 5/2022, Hendrik Bloem

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