KULTUR DES REISENS
vergleichsweise ruhig. Diese Ruhe macht den kollektiven Schock spür- bar. Sogar die zahlreichen Haustiere scheinen die Wartezeit still zu er- tragen. Während die Menschen, die sofort zu Kriegsbeginn flohen, meist noch keine Kampfhandlungen erleben mussten, erzählen einige Wochen später viele geschockt davon, dass sie die Bombardierungen und das tagelange Ausharren im Keller nicht mehr ausgehalten hätten und sie fliehen mussten. Oftmals ohne zu wissen wohin. Einige haben Ver- wandte oder Freunde in anderen europäischen Staate, andere sind völlig ratlos, wohin die Reise gehen soll. Hauptsache weg. Viele wollen auch erst mal in Polen bleiben, um bei Ende oder Abkühlung des Kon- flikts schnell wieder in die Heimat zurückkehren zu können. GEGEN PUTINS TRUPPEN Am Bahnhof in Przemyśl bilden sich zwei Schlangen. Die eine, viel grö- ßere, mit den Menschen die aus der Ukraine fliehen, die andere, deutlich kleinere, mit Menschen, die wieder in die Ukraine zurückkehren wollen. Viele verschiedene Menschen stehen hier vor der Passkontrolle an. Eine ukrainische Familie berichtet, sie sei im Ägypten-Urlaub von dem Krieg überrascht worden. Nun wollen sie mit ihren Koffern bepackt wieder nach Hause. Junge ukrainische Män- ner, die sich eigentlich im Ausland aufgehalten hatten, stehen nervös in der Schlange. Sie haben sich ent- schieden, zu kämpfen. Wohlwissend, dass sie die Ukraine so schnell nicht mehr verlassen dürfen, denn dies gilt aktuell für alle Männer im wehr- pflichtigen Alter von 18-60 Jahren. Zwischen ihnen stehen immer wie- der Freiwillige aus der ganzen Welt. Kanadier, Schweden, Amerikaner, Israelis, Franzosen. Sie wollen sich den ausländischen Kampfeinheiten anschließen und selber gegen Putins Truppen kämpfen.
Die imperiale Wartehalle des 1860 eröffneten Bahnhof Przemyśl erin- nert noch heute an das Reisen zur Zeit von Kaiser Franz-Joseph auf der österreichischen Magistrale Wien-Krakau-Lemberg-Czernowitz.
Yana, Tatjana, Miroslava und Sofia mussten aus Slowjansk im Oblast Do- nezk im Osten der Ukraine fliehen. Sicher in Polen ange- kommen, essen sie im Bahnhof zu Abend.
George und Sasha sind
beide 17 Jahre alt. Gemeinsam mit ihrer Mutter, Oma und dem Hund Toy sind sie aus Kyiv geflohen. Beide würden gerne kämpfen, sind jedoch zu jung.
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