PERSPEKTIVEN
Bringt das Neun-Euro-Ticket wirklich etwas für den ÖPNV?
Es ist in aller Munde und bald vermutlich auch in allen Taschen – das Neun-Euro-Ticket, mit dem die Bundesregierung die Menschen entlasten und den Nahverkehr attraktiv machen möchte. Aber ist das auch sinnvoll?
Lok Magazin-Redakteur Max Voigtmann
Für 27 Euro 90 Tage lang mit dem Nahverkehr durch ganz Deutschland – das ist ein Angebot, wie man es vom Aale-Hein auf dem Hamburger Fisch- markt oder beim billigen Jakob auf der Auer Dult kaum besser kriegt. In zwölf Stunden ist man von München in Hamburg, in elf Stunden von Aachen in Berlin. Zugegeben: Mit dem ICE braucht man nur die Hälfte der Zeit, und man muss auch nicht drei-, vier- oder sechsmal umsteigen. Allerdings kostet die Probe-Bahncard 100, mit der man dann auch den ICE benützen darf, für den gleichen Zeit- raum 45-mal mehr. Neun Euro – das war bisher in etwa der Preis ei- ner Tageskarte in München (8,20 Euro), Berlin (8,80 Euro) oder Hamburg (8,20 Euro). Nur für den Innenraum, versteht sich. Schon wer einen Tag lang durch Bayern fahren wollte, musste dafür dreimal mehr bezahlen (26 Euro) und durfte erst um 9 Uhr einsteigen. Ein Super-Sparpreis-Ticket von München nach Berlin gibt es ab 29,90 Euro – wenn man Glück hat, flexibel ist und früh bucht. Andernfalls können es auch 59,90 Euro oder 99,90 Euro oder mehr sein – ohne Rückfahrt. 2,5 Millarden Euro Der Vergleich der Zahlen zeigt: Das Neun-Euro-Ti- cket ist nicht billig – es ist spottbillig. Der Gedanke dahinter ist gut gemeint: Menschen, die bereits jetzt auf die Bahn angewiesen sind, sollen finan- ziell entlastet werden, allen anderen will man das Bahnfahren schmackhaft machen. Das sind gute, das sind wichtige Ziele. Und die Bundesregierung lässt sich das einiges kosten – 2,5 Milliarden Euro. Allerdings ist das mehr als das Doppelte von dem, was die Bundesregierung 2021 im Rahmen des Ge- meindeverkehrsfinanzierungsgesetzes für den Ausbau von kommunalen Straßenbahnen, Bussen oder U-Bahnen bereitgestellt hatte, und das Fünf- fache der Summe von 2020. Nein, nachhaltig ist das Neun-Euro-Ticket nicht. Es ist ein Strohfeuer, das für wenige Wochen das Bahnfahren supergünstig macht. Und dann? Dann
wird der Kater kommen. Es fährt nicht ein Bus mehr in die Provinz von Brandenburg oder Nieder- bayern, es wurde keine einzige Bahnstrecke reakti- viert, es wurde kein einziger FLIRT oder TALENT beschafft. Im Grund bleibt alles beim Alten, außer dass wir hinterher 2,5 Milliarden Euro weniger in der Staatskasse haben. Oder, um präzise zu sein: 2,5 Milliarden Euro Schulden mehr. Bloß nicht mit der Bahn! Ja, es werden in den Sommermonaten viele Men- schen mit der Bahn fahren, die das sonst nicht tun. Nach den zwei entbehrungsreichen Corona-Jahren ohne Reisen und ohne Kontakte dürften viele die Gelegenheit nutzen, mal wieder etwas rauszukom- men, einen Städtetrip zu unternehmen, Freunde zu besuchen. Auch wenn man nach Berlin neun Stunden braucht. Und diejenigen, die seit Jahren mit der Bahn in die Arbeit fahren, freuen sich über eine Rückerstattung ihres Verkehrsverbundes. We- niger freuen dürften sie sich über die überfüllten Züge, die es zwangsläufig geben wird. Und die Frage ist, ob sich der öffentliche Nahverkehr damit von seiner besten Seite präsentiert. Anstatt auf den Geschmack zu kommen werden sich einige Leute hinterher bestätigt sehen: Bloß nicht mit der Bahn fahren! Gezielte Maßnahmen statt Rundumschlag Den Nahverkehr günstiger anzubieten, das ist ein richtiger Gedanke. Aber es muss nicht so medien- wirksam spektakulär sein. Die Preise moderat sen- ken, das Angebot deutlich verbessern – damit macht man die Bahn attraktiv und konkurrenzfä- hig. Aber das ist ein Langzeitprojekt, das über die nächsten Umfragewerte deutlich hinausgeht. Und ja, der Nahverkehr muss auch für Menschen be- nutzbar werden, die kein Geld haben – und kein Geld heißt nicht selten: Noch nicht einmal die 3,50 Euro für eine Einzelfahrt zum Bewerbungsge- spräch. Dazu braucht es aber gezielte Maßnahmen und keinen Rundumschlag.
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