Lok Magazin

FAHRZEUGE

150 lag in den letzten Zügen, sie sollte durch die 155 ersetzt werden. Dutzende Hammer, Paderbor- ner, Altenhundemer und nicht zuletzt auch Hage- ner Lokführerkollegen mussten für die 155 ausge- bildet werden. Während die Reichsbahner in der DDR nahezu jeden Kontakt dieses Monstrums aus- wendig lernen mussten, gestand man dem DB-Per- sonal lediglich ein paar Tage Einweisung zu. So bat ich an einem eigentlich dienstfreien Wochenende einen in Vorhalle eingesetzten ehemaligen Reichs- bahnkollegen, mir dieses Wunderwerk namens 155 etwas näher zu bringen. Der Maschinenraum besaß kein einziges Fens- ter, die Beleuchtung wurde durch ein paar trübe Deckenfunzeln bewerkstelligt. Kurzum: Auf den ersten Blick ein finsteres Verlies, eine Kopfleuchte oder zumindest eine Taschenlampe leistete will- kommenen Beistand. Der Führerstand 1 war dank des Batterieladegerätes und der Elektronik aus den 1970er-Jahren immer bestens geheizt, besonders bei hochsommerlichen Außentemperaturen. Revolutionäre Technik Doch nun wollte ich mir das eigentliche Innenle- ben der 155 zu Gemüte führen, eine Woche später sollte der erste Lehrgang starten. Ich wollte es erst kaum wahrhaben, aber ich konnte eine gewisse Be- wunderung für die ohne Zweifel sehr fortschrittli- che Technik der 155 nicht verbergen. Konstruiert wurde sie etwa im gleichen Zeitraum wie die 151, doch uns Ex-Bundesbahnern erschien sie dennoch revolutionär. Da wäre zum einen: Die Hilfsbetriebe der Lok wurden mit Drehstrom gespeist! Bei der

151 liefen Fahrmotorlüfter, Drucklufterzeuger und andere edle Teile nur mit der Bahnfrequenz von 16 2/3 Hertz, deswegen mussten teure, in Kleinse- rie gefertigte Motoren verwendet werden. Das war seinerzeit in allen DB-Loks gängige Praxis. Nicht jedoch bei der 155. Ein zwischen den Drehgestel- len der 155 angeordneter, rotierender Umformer – eigentlich ein Generator, der mit einer bestimm- ten Trafospannung betrieben wird – schluckt 16 2/3 Hertz und liefert 50-Hertz-Drehstrom ab. Der Vorteil: Es können für die Hilfsbetriebe seri- enmäßig hergestellte 380-Volt-Motoren verwendet werden, wie sie millionenfach industriell in Kreis- sägen, Waschmaschinen oder sonstigen Geräten verbaut sind. Damit war die 155 ihrer Zeit voraus, denn im Westen war das erst mit dem Aufkom- men der Drehstromlokomotiven möglich, wie sie heute ausschließlich gebaut werden. Computergesteuert Gesteuert und überwacht wurde die 155 nicht mehr mit Hilfe von Relais, sondern mittels eines Rechners und dessen Einschüben – rustikal zwar, aber bereits ein Computer. Und unsere 155 war ein Pionier dieser Technik. So lernte ich, sie mit ande- ren Augen zu betrachten. So wie die Bundesbahn- 218 und die 111 besaß auch die 155 eine Tableau- Anzeige, die eventuelle Fehler in der Maschine meldete. Eine gewöhnungsbedürftige Besonderheit der 155 bildet jedoch ihre sogenannte „Zugkraftüberla- gerte Traktionssteuerung“. Welch ein schreckliches Wort! Übersetzt bedeutet das jedoch: Mittels einer

250 094 war 1979 auf der Internationalen Verkehrsaus- stellung (IVA) in Hamburg zu besichtigen Jürgen Hörstel

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