MENSCHEN 45
7. Sie haben an der Bauhaus-Univer- sität Weimar unterrichtet. Warum sieht „Bauhaus“ auch nach hundert Jahren noch so modern aus? Das Bauhaus ist die Wiege moderner Architektur. Die Begeisterung für Indust- rialisierung und Serienfertigung und der Anspruch, bestes Design für alle her- zustellen, der übrigens im International Style mündete, sind ebenso wie die Idee der Funktionstrennung von Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr und die damit einhergehende Idee der Freiheit durch Mobilität aber längst überholt. 8. Leerstehende Büros in Innenstäd- ten bieten viel Potenzial. Lassen sich diese in attraktive Wohnungen umbauen? In Zeiten von Wohnungsnot sollten auch leerstehende Bürogebäude in Wohnraum umgenutzt werden. Die neue Gebäudeklasse E arbeitet in diese Richtung. 9. Welchen Beitrag kann „Umbau“ zum Klimaschutz leisten; Stichwort: Nachhaltigkeit? Im Sinne der Nachhaltigkeit sparen Um- bauten einen unnötigen Ressourcenver- brauch und insbesondere CO2-Ausstoß ein, den ein Abriss oder Rückbau mit sich bringen würde. Bauabfälle machen weltweit die Hälfte des Müllvolumens aus. Neubauten sind in der Regel um das vierfache teurer als Umbauten. Nachhaltigkeit betrifft aber nicht nur die Substanz, sondern ebenso gesellschaft- liche Fragen: Soziale Motivation muss heute auch als nachhaltige Strategie verstanden werden: Kommunikative und kulturelle Aspekte der Gesellschaft, die sich auch in Architektur materiali- sieren, tragen dazu bei, den sozialen Frieden zu sichern. 10. Wie sieht Ihr Schleswig-Holstein der Zukunft aus? Schleswig-Holstein als materiales, dy- namisches Gebilde der Kultur steht be-
züglich seiner Anpassungsfähigkeit für heutige und auch für zukünftige Ent- wicklungen auf dem Prüfstand. Da wir in Deutschland nicht wie beispielsweise in Frankreich über ein Kulturministerium verfügen, sollten von Seiten der Politik Anstrengungen unternommen werden, um Gelder zur Verfügung zu stellen, die Studien zum Vorgehen für veränderte Ansprüche im Bauprozess, zum Beispiel durch Beteiligung der Nutzenden in die Planung, möglich machen.
Kunsthochschule bei. Die Zweckfreiheit von Kunst bringt neues Denken und Handeln in die Welt. 4. Warum lohnt es sich, alte (Wohn-) Gebäude zu erhalten? Der Erhalt alter Gebäude spart Ressour- cen und ermöglicht es Menschen, in ihren eigenen vier Wänden zu bleiben. Hannah Arendt zum Beispiel bezeichne- te es als die größte Aufgabe der Welt, „Menschen eine Behausung zu bieten, die beständiger und dauerhafter ist als sie selbst.“ 5. Bauherrn der selbstgenutzten Immobilie wollen ihren Neubau individuell gestalten. Geht das auch zum Beispiel mit einem alten Sied- lungshäuschen? Nicht nur Bauherr:innen, sondern auch Mieter:innen möchten ihren Wohnraum selbst gestalten. Wenn die Architektur großzügig gestaltet ist – und damit meine ich flexible Räume und ästheti- sche Bedingungen nach den Regeln der Wahrnehmungslehre – weist sie hohe Qualitäten auf. Und das gilt für jeden Bautypus. 6. Die Architektur der siebziger Jahre ist bei vielen unbeliebt. Zu recht? Lässt sich daraus etwas machen? Die Architektur der Nachkriegszeit stellt einen großartigen Handlungs- und Möglichkeitsraum für Architekt:innen bereit. An die Stelle der kausalistischen und funktionsgeleiteten Maximen der siebziger Jahre können nun bei Umbauplanungen topologische Frage- stellungen in den Vordergrund rücken: Handlungsformen wie Workshops unter Einbeziehung der Bewohner:innen etwa zu Fragen ihrer Alltagsroutinen erhöhen die Identifikation mit Ort und Raum. In dieser Denktradition bringen erst die Bewohner:innen den Raum hervor, der von Architekt:innen zur Verfügung gestellt wird.
Zehn Fragen an Sandra Schramke Die Architektin mit mehrjähriger Projekt- erfahrung in Deutsch- land und Spanien ist seit April 2017 Profes- sorin an der Muthesius Kunsthochschule Kiel.
1. Wie wohnen Sie und was wäre Ihr Traum der eigenen vier Wände? Ich wohne in einem Altbau in einem belebten Berliner Kiez. Die Nutzungsviel- falt auf engem Raum macht die Qualität des Lebens in der Stadt aus. Grundlage dafür bietet die Infrastruktur der 1862 von James Hobrecht geplanten Stadt, darunter die Größe der Baublöcke. Der Hobrecht-Plan und die Vielzahl der sicht- baren und unsichtbaren Netze ermög- licht das Zusammenleben aller Bevöl- kerungsgruppen auf engem Raum. Die steigenden Mietpreise haben allerdings eine negative Entwicklung auf die Stadt.
schung widmet sich die Projektarbeit dem Entwurf szenografisch temporärer, experimenteller und urbaner Räume wie auch kuratorischer Praktiken im Raum. Die transmediale künstlerische For- schung in räumlichen Kontexten sowie die kritische Szenografie – auch im öffentlichen Raum – umschreiben hier das Tätigkeitsfeld. 3. Apropos Kunsthochschule: Es gibt einen Spruch: Ist das Kunst oder kann das weg? Wie würden Sie das beantworten? Kunst ist unverzichtbarer Bestand- teil und trägt zum lebendigen Geist, zur Unbedingtheit eines künstlerisch wissenschaftlichen Studiums ganz allgemein und insbesondere einer
Lebensumstände ist ein großer Wunsch. Die Interpretation und der Gebrauch der Wohnräume in Abhängigkeit der jeweiligen Alltagsroutinen sollte im Zen- trum der Architektur stehen, damit sie einer ihrer Aufgaben, nämlich Schutz zu bieten, gerecht werden kann. 2. Sie unterrichten an der Muthesius Kunsthochschule Raumstrategie. Was ist Inhalt des Studiums? Im Studiengang Raumstrategien geht es um die Entwicklung gestalterischer Kompetenzen in Bezug auf mediale, politische, künstlerische und soziale Raumfragen. Auf der wissenschaftlichen Grundlage von Philosophie, Soziologie, den Kultur-, Medien- und Bildwissen- schaften sowie der Bewegungsfor-
Impressionen aus der Muthesius Kunsthoch- schule, der einzigen Kunsthochschule des Landes.
Die Möglichkeit der Anpassung der eigenen vier Wände an veränderte
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