Eisenbahn: Geschichte
Fahnen an DR-Lokomotiven Flagge zeigen an der Rauchkammer
Die Beflaggung von Lokomotiven war in der DDR eine gängige Praxis zu bestimmten Feiertagen. Die Fahnen wurden meistens von Partei- und Gewerkschaftsmitgliedern sowie Jugendbrigaden angebracht. Doch es gab auch Bahnbetriebswerke, in denen das Beflaggen verboten oder eingeschränkt war von Partei- und än s ngige Praxis
F rühjahr 1987: Die Tage der regelspurigen Dampflokomotiven bei der Deutschen Reichsbahn (DR) sind gezählt. Wer die letz- ten Maschinen noch im Plandienst erleben will, muss sich beeilen. Also auf zum Bahnhof Oschersleben (Bode). Gegen 14:30 Uhr versam- melt sich eine kleine Gruppe Eisenbahnfreunde am Ende des Bahnsteigs 2. Klappernd reckt sich der Flügel des Ausfahrsignals „N“ in die Höhe und schon ist das unverwechselbare Stampfen einer Dampflok der Baureihe 50.35 zu hören. Scheinbar mühelos schleppt 50 3705 des Bahn- betriebswerks (Bw) Halberstadt den rund 1.500 Tonnen schweren Nahgüterzug (N) 61744 durch den Personenbahnhof. Der optische Zustand der Lok ist katastrophal. Das Fahrwerk ist völlig verdreckt. Windleitbleche, Rauchkammer und Langkessel haben schon längere Zeit keinen Putzlappen mehr gesehen. Weiß-gelbliche Kalk- ablagerungen „verzieren“ den Stehkessel und die Tenderseitenwände. Doch was ist das? An der Rauchkammer fehlt das obere Spitzenlicht. Stattdessen hängt im sogenannten Laternen- halter ein Blechfähnchen. Auf der einen Seite die rote Arbeiterfahne und auf der anderen Sei- te die DDR-Fahne, Schwarz-Rot-Gold mit dem Staatswappen aus Hammer, Zirkel und Ähren-
kranz. „Was soll das?“, geht es mir durch den Kopf. Doch ein Blick in den Taschenkalender be- antwortet meine Frage. Heute ist der 8. Mai, der „Tag der Befreiung“, und da ist die Beflaggung der Lokomotiven und Triebwagen gewünscht. Feiertage und Jubiläen Ende der 1980er-Jahre waren bei der Deutschen Reichsbahn (DR) die Zeiten, in der Bw-Vorsteher, Abteilungsleiter, Partei- und Gewerkschaftsse- kretäre sowie Mitarbeiter der politischen Ver- waltungen in den Reichsbahnämtern die richti- ge Beflaggung der Triebfahrzeuge kontrollierten, längst vorbei. Doch das war nicht immer so. In den 1950er-Jahren erging die Weisung, die Ma- schinen am 1. Mai („Internationaler Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse“), am 8. Mai, am „Tag des Eisenbahners“ (zweiter Juni-Sonntag) und am 7. Oktober („Nationalfeiertag der DDR“) mit (kleinen) Fahnen zu schmücken. Diese sollten am Tag zuvor ab 12 Uhr angebracht und am Tag danach bis Mittag wieder entfernt werden. Fall- weise wurde das Beflaggen auch zu anderen Ge- denktagen, zum Beispiel am 7. November („Tag der Großen Sozialistischen Oktoberrevoluti- on“), oder anderen Anlässen, unter anderem Streckenjubiläen, angeordnet.
In den meisten Bahnbetriebswerken wurden kleine Blechfähnchen hergestellt und von den Schriftmalern entsprechend lackiert. Die For- men und Ausführungen waren mannigfaltig. Neben der DDR-Fahne – das Staatswappen wur- de erst am 1. Oktober 1959 eingeführt – und der roten Arbeiterfahne gab es auch Varianten mit der blauen Fahne der Freien Deutschen Jugend (FDJ), der Nachwuchsorganisation der Sozialis- tischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Nicht immer bestanden die „Winkelemente“, wie mancher Lokführer die Fahnen hinter vor- gehaltener Hand scherzhaft bezeichnete, aus Stahl. Im Bw Aue (Sachsen) wurden richtige Stofffähnchen verwendet. Die Schlosser des BwOebisfelde fertigten hingegen einzelne Blechfahnen an, die nicht in den Laternenhalter des Spitzenlichtes gesteckt, sondern links und rechts mit Schrauben an das Nummernschild an der Rauchkammer montiert wurden. Beflaggen untersagt! Trotz aller Bemühungen der DR konnte sich die Aufforderung zum Flagge zeigen nie wirklich durchsetzen. Meist schmückten nur sogenannte (SED-) Parteiaktive und Jugendlokbrigaden ihre Maschinen. Zudem gab es auch einzelne Bahnbe-
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