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Die Nebenbahnen auf Usedom Die Inselbewohner Mit dem Namen „Usedom“ verbinden die meisten Begriffe wie „Sommer“, „Sonne“, „Ostseestrand“. Eisenbahnfreunde denken hingegen an Tenderdampflokomotiven mit Windleitblechen, eine schon früh eingeleitete Dieseltraktion und das kleinste Bahnbetriebswerk der Deutschen Reichsbahn Von Dirk Endisch/GM
Vorbereitungen für denTraktionswechsel auf Usedom voran. Spätestens im Frühjahr 1974 soll der Strukturwandel im Bahnbetriebs- werk Seebad Heringsdorf und damit auch auf der Nebenbahn Wolgaster Fähre – Zinno- witz – Seebad Ahlbeck abgeschlossen, die Dampflok durch die Diesellok ersetzt sein. Die Voraussetzungen dafür sind geradezu ideal, denn die Eisenbahner in Seebad He- ringsdorf, dem kleinsten Bahnbetriebswerk der Deutschen Reichsbahn, konnten dank der Zweigstrecke Zinnowitz – Peenemünde Dorf schon erste Erfahrungen mit der Diesel- traktion sammeln. Die 12,2 Kilometer lange Strecke war am 28. Juli 1937 als Werkbahn für die Heeres- versuchsanstalt Peenemünde in Betrieb ge- nommen und zunächst mit elektrischen Triebwagen ähnlich jenen der S-Bahn-Ber- lin befahren worden. Im Juni 1949 über- nahm die Rbd Greifswald die Strecke, auf der aber weiterhin nur ein nicht öffentlicher Personen- und Güterverkehr angeboten wurden. Für die Personenzüge hielt das Bw Seebad Heringsdorf jetzt einen zweiachsi- gen Altbau-Dieseltriebwagen vor, der mit einem Beiwagen der Baureihe VB 140 zum Einsatz kam. Für den Güterverkehr griff das Bw See- bad Heringsdorf zunächst auf seine Dampf- loks der Baureihe 56 2–8 zurück. Durch Fun- kenflug kam es aber im Frühjahr 1958 zwischen Karlshagen und Peenemünde zu einem Waldbrand. Das Feuer erfasste schnell große Flächen des mit Munition aus dem Zweiten Weltkrieg belasteten Waldes. Durch explodierende Blindgänger wurden einige Feuerwehrleute und zu Löscharbei- ten abkommandierte Soldaten der Nationa- len Volksarmee (NVA) getötet. Daraufhin verbot die NVA den Einsatz von Dampflo- komotiven auf der Strecke Zinnowitz – Pee- nemünde Dorf und forcierte damit gewis- sermaßen denTraktionswechsel. V 16,V 36 undV 100 Dies schlug sich auch im Fahrzeugpark des Bw Seebad Heringsdorf nieder. Die Dienst- stelle erhielt zunächst eine zweiachsige Die- sellok der Baureihe V 16, bevor ab Januar 1959 planmäßig eine Wehrmachtsmaschine der BaureiheV 36 den Zugbetrieb zwischen Zinnowitz und Peenemünde Dorf bestritt. Auf der Nebenbahn Wolgaster Fähre – Zinnowitz – Seebad Ahlbeck bildete hinge- gen weiterhin die Baureihe 56 2–8 das Rück- grat der Zugförderung. Ab 22. Mai 1966 setzte das Bw Seebad Heringsdorf planmä- ßig die Baureihe 86 auf der Insel Usedom ein, von der täglich vier Maschinen für den Streckendienst und eine Lok als Reserve bzw. für Sonderleistungen benötigt wurden. Wie zuvor die 86 bespannen nun die V 100/110 die Rekowagen (Aufnahme im Bahnhof Wolgaster Fähre, Oktober 1986) Volker Emersleben
E in früher Julimorgen 1973: Dichtes Gedränge herrscht auf dem Bahn- steig des Bahnhofs Wolgaster Fähre. Viele Urlauber wollen an die Ostseeküste. Vor einer guten halben Stunde ist der Schnellzug D 649 Wernigerode – Wolgast Hafen angekommen. Familienväter mit gro- ßen Koffern und Mütter, die ihre Kinder an der Hand halten, haben den rund einen Ki- lometer langen Fußmarsch vom Bahnhof Wolgast Hafen über die Klappbrücke auf die Insel Usedom zurückgelegt. Alle eilen zum bereitstehenden Personenzug P 18173 nach Seebad Ahlbeck. In den zwölf zwei- und dreiachsigen Reko-Wagen beginnt der Tumult um die letzten freien Sitzplätze. Da interessiert sich kaum jemand für das Ge- schehen an der Zugspitze.
Dort hat noch die Dampftraktion das Sa- gen. Langsam und routiniert dirigiert der Lokführer „seine“ 86 1030 an den Zug. Klir- rend fällt die Kuppelkette in den Zughaken der Tenderlok. Fauchend entweicht die Luft aus der Bremsleitung. Aus der Esse quillt ein schwarzer Rauchpilz, die Sicherheits- ventile beginnen zu säuseln. Pünktlich um 5:02 Uhr gibt die Aufsicht mit derTrillerpfei- fe das Abfahrtsignal, 86 1030 bringt den Train mit lauten Auspuffschlägen in Gang. Umstellung mitVorerfahrung So läuft der Zugbetrieb auf der Ostsee-Insel schon seit Jahren, doch soll es nicht mehr lange dabei bleiben. Die Verwaltung der Ma- schinenwirtschaft der Reichsbahndirektion (Rbd) Greifswald treibt mit Hochdruck die
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BAHN EXTRA 5/2025
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