Der Städteexpresszug „Lipsia“ Leipzig – Berlin-Lichtenberg wird von der Deutschen Reichsbahn als „Jugendobjekt“ geführt – junge Eisenbahner und Eisenbahnerinnen begleiten unter Anleitung den Zug. Die Aufnahme entstand 1980 Ingrid Migura/Historische Slg. der DB
mussten zudem durch die „Goldbroiler“, die Rangierlokomotiven der Baureihe 106, um- gesetzt werden. Oft fehlte ein Rangierer. In der DDR fehlte es immer an irgendetwas – an Arbeitskräften sowieso. So kam es, dass vor allem in den Morgenstunden leitende Mitarbeiter des Betriebsbüros als Rangier- leiter einsprangen. Auf den ersten Trubel folgte am frühen Vormittag eine kurze Entspannung. Doch bis neun, halb zehn kamen die meisten Städteexpresszüge an. GeringsteVerspätun- gen führten zu kuriosen Szenen auf dem Ring: Oft fuhren der Schweriner und der Rostocker „Exer“ parallel. Die Signalisie- rung auf dem Außenring erlaubte das. Und jene Züge mussten dann alle wieder ran- giert werden, um sie im Bww zu reinigen. Zur Mittagszeit erreichten Züge aus Leipzig oder Stralsund den Bahnhof, die hier Kopf machten, ihre Zuglokomotiven tauschten. Hinzu kamen Leerzüge – kom- mend von Baumschulenweg –, abfahrende Güterexpresszüge (Gex) oder andere Zug- fahrten. Da der Platz in BLO knapp war, mussten Leertrains in Kaulsdorf, Ahrensfel- de, Leninallee oder im Wriezener Güter- bahnhof zwischengeparkt werden. Auch Güterzüge kreuzten noch den Fahrweg. All
dorfer Kreuz Parallelfahrten, so zwischen dem D 610 und dem E 681 (sieheTabelle). Der Norden war aber auch über den Innenring, die Gabelung B 1, Frankfurter Allee, Pankow, Blankenburg, Karower Kreuz zu erreichen. Das nutzte der D 510, der eine Minute vor dem D 610 abfuhr. Der D 610 war nach Fahr- plan schon um 10:18 Uhr in Stralsund, wäh- rend der D 510 dort um 10:31 Uhr eintraf. Bei all dem war es eine Meisterleistung der Technologen, Fahrdienstleiter und Ran- gierer, die dichte Zugfolge zu bewältigen. Es Fahrdienstleiter und Rangierer bewältigten pro Tag 100 Abfahrten plus Vor- und Nachbereitung galt ja nicht bloß, rund 100 Abfahrten zu be- werkstelligen, sondern dafür auch umfang- reiche Vorbereitungen zu schultern. Ein Großteil dieser Züge musste am Bww be- reitgestellt und mit der Zuglok bespannt werden, dann folgte die Rangierfahrt über das Wärterstellwerk R 8, vorbei am Fahr- dienstleiterstellwerk B 9 bis in Höhe des S-Bahn-Triebwagenschuppens und schließ- lich mit dem Rangierer an der Spitze zurück zum Bahnsteig. Einzelne Wagengruppen
Den Bahnhof Berlin-Lichtenberg machte die DR bei dem Angebot zum hauptsächli- chen Anlaufpunkt. Das verstärkte sich noch, als in den folgenden Jahren aufgrund der gu- ten Auslastung der Züge und des Reisebe- darfs in umgekehrter Richtung eine zweite Stufe der Städteexpresszüge mit neuen Am-/ Bm-Wagen aus Halberstädter Produktion eingeführt wurde. Diese Züge starteten in der Früh in Berlin-Lichtenberg. Alle Wagen waren im neuen Betriebswagenwerk (Bww) Lichtenberg beheimatet, das auf dem einsti- gen Rangierbahnhof seinen Platz fand. Nimmt man noch die erwähnten interna- tionalen Reisezüge von/ab Berlin-Lichten- berg hinzu, so überflügelte dieser Bahnhof Ende der 1970er-Jahre in seiner Bedeutung Berlin Ostbahnhof. Das änderte sich auch nicht, als 1987 der Ostbahnhof in Haupt- bahnhof umbenannt wurde; der wahre Hauptbahnhof in Berlins Osten blieb Lich- tenberg – vorerst jedenfalls. 200 Fernzüge am Tag Entsprechend ging es in Lichtenberg zeit- weise zu wie in einem Bienenstock. Nahezu im Minutentakt, alle drei, vier Minuten ver- ließ morgens in den 1980ern ein Schnellzug den Bahnhof.Teilweise gab es bis zum Bies-
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BAHN EXTRA 4/2022
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