Bahn Extra

fen. 1991 war auch das Jahr, in dem die Städteexpresszüge gestrichen wurden. Für Lichtenberg entfielen rund 30 Zugpaare. Dass Reichsbahn und Bundesbahn den Bahnhof in das Interregio-Netz einbanden, war da zumindest ein gewisserTrost. Berlin- Lichtenberg blieb vorerst noch wichtig, selbst wenn die Zahl der Fernreisezüge sank. Zumal Lichtenberg vorübergehend ein wenig ICE-Flair zu schnuppern bekam: Weil im Frühjahr 1993 noch keine durchge- hende Fahrt auf der Stadtbahn möglich war, leitete die DR die weißen DB-Triebzüge nach Lichtenberg; ein IC-Shuttle stellte un- terwegs die Verbindung vom Zwischenhalt Michendorf nach Berlin Zoo her. Einen Hauch von Ferne erhaschte man auch Ende der 1990er-Jahre, wenn abends die Talgo-Nachtzüge nach München und Köln – Frankfurt (Main) bereitstanden, wäh- rend am Nachbarbahnsteig die Fernzüge nach Russland warteten und ihre befeuer- ten Samoware für Tee in den Schlafwagen- abteilen den Bahnhof einräucherten. 1998 gab es in Lichtenberg noch rund 50 Abfahr- ten von Fernzügen, mit dem neuen Jahrtau- send bloß sieben (Minsk – Saratov, Wroc- law, Moskau, Kiew, Malmö, München Ost, Bonn). Bis 2019 verschwanden sie ganz. Im Nah- und Regionalverkehr wurde Lichten- berg dagegen stärker eingebunden, sei es mit RE- oder RB-Linien über den Außen- ring, ins Umland oder gar nach Polen. Was bleibt, was wird? Der Bahnhof Lichtenberg ist heute ein Schatten seiner selbst. Selbst die Fahrkar-

An den Bahnhof Lichtenberg schließt sich ein weitläufiges Bahnbetriebswagenwerk an. Dort rangiert „Goldbroiler“ 346 574 im April 1992 einen Mitropa-Wagen Volker Emersleben (2)

tenausgabe für Fernfahrten, umgezogen aus der Haupthalle in den Keller, ist seit Jah- ren geschlossen. Die BEGA verkam schon Mitte der 1990er-Jahre zur Bedeutungslo- sigkeit, die Mitropa-Einrichtungen gibt es nicht mehr. Fraglich, ob das Geschäft für erotische Wäsche geöffnet hat. An einigen Verkaufsständen für Kuchen und Curry- würste vorbei führt der Weg zu den Bahn- steigen, einiger Bilder erinnern an die Ver- gangenheit. Die Funktionalität von einst wirkt heute bisweilen großzügig, wenn nicht überdimensioniert: An den drei Fern- bahnsteigen, an denen früher Wagenschlan- gen mit zwölf, 13 oder 14 Wagen hielten, verliert sich jeder Regionaltriebwagen. Dabei wirkt der Betrieb keinesfalls ver- schlafen: S-Bahnen fahren unentwegt, es verkehren über 150 Regiozüge im Durch- lauf, einige Güterzüge und Rangierfahrten mit den Triebwageneinheiten zum Tanken oder Reinigen. Damit ist nach heutigen

Richtlinien schon eine Leistungsgrenze er- reicht. Auch die Abstellgleise am und im Bahnhof sind oft gut mit Fahrzeugen gefüllt – einschließlich eines Schnelltriebwagens der Bauart „Görlitz“ (VT 18.16), der als mu- sealer Dauergast an frühere Zeiten erinnert. An die damaligen Jahre, von denen altge- diente Fahrdienstleiter noch schwärmen … Aber wer weiß, vielleicht geht es mit dem Bahnhof auch wieder aufwärts. Manche Politiker sehen Lichtenberg als Drehschei- be im künftigen Nachtzugangebot. Auch der Busbahnhof vor der Tür soll erweitert werden. Womöglich dürfen die (nach wie vor vielen) Reisenden in BLO bald nicht nur in Nahverkehrszüge nach Senftenberg, Templin oder Eberswalde steigen, sondern ebenso aufs Neue die Sehnsucht nach Bahnreisen zu Fernzielen stillen. Selbst wenn der Titel des Berliner Hauptbahnhofs mittlerweile klar an eine neue, andere Sta- tion vergeben ist. 

Überblick Berlin-Lichtenberg im Sommer 1987 – An- und Abfahrtsplan – Fortsetzung Zug-Nr. BLO an/ab von/ nach Zug-Nr. BLO an/ab von/ nach

D 1312 19:09 Angermünde – Szczecin (Fr) D 917 19:18 19:37 Binz – Stralsund – Greifswald – Dresden D 667 19:43 Leipzig D 519 19:48 Greifswald – Angermünde (So) Ex 156 20:06 Erfurt – Halle D 679 20:07 Dresden D 312 20:11 Szczecin – Gdynia D 566 20:26 Zwickau – Leipzig D 518 21:01 Angermünde – Stralsund Rgd (So) E 1686 21:05 Cottbus (So) D 719 21:16 21:39 Stralsund – Greifswald – Leipzig D 556 21:17 Meiningen – Erfurt – Halle D 527 21:23 Rostock D 1647 21:30 Magdeburg (So) D 1539 21:31 Schwerin (So) E 1687 21:37 Cottbus D 919 22:00 22:13 Stralsund – Neubrandenburg – Dresden D 619 22:01 Stralsund – Neubrandenburg D 374 22:12 Wien – Prag – Dresden D 506 22:18 Saalfeld – Leipzig D 377 22:25 Dresden – Budapest – Sofia D 1556 22:36 Erfurt – Halle D 1527 22:43 Warnemünde – Rostock

D 539 22:50 Schwerin D 318 22:52 23:06 Saßnitz – Malmö* D 2059 22:59 23:31 Stralsund – Greifswald – Halle – Gotha D 678 23:00 Dresden (So) D 1271 23:06 23:37 Binz – Stralsund – Dresden – Prag – Bratislava (Sa/So) IEx 78 23:12 Prag – Dresden D 328 23:27 23:39 Rostock – Kopenhagen* D 559 23:49 00:07 Stralsund – Leipzig – Eisenach D 718 23:53 00:11 Leipzig – Greifswald – Stralsund – Binz * D 318, 328, 510, 514 von / D 319, 329 weiter nach Berlin Ostbahnhof Der Großteil der Züge verkehrte täglich, Ausnahme die Städteexpresszüge (Ex) sowie einige D-Züge: diese fuhren nur Mo – Fr; weiterhin sind die Züge gekennzeichnet, die nur einmal wöchentlich fuhren: z.B. (So) – nur sonntags usw. *Sommer 1987 – die DR hatte bereits den Jahresfahrplan eingeführt, dennoch gab es unterschiedliche Zugläufe, wie den D 912 bis 14.09. und den D 612 ab 15.09.1987 nach Stralsund in gleichen Fahrzeiten *D 371 fuhr in BLO ab 12:49 Uhr über Außenring nach Schönefeld (an 13:09), Dresden (an 15:06 Uhr); D 923 fuhr in BLO ab 12:49 Uhr über Innenring Schöneweide nach Schönefeld (an 13:15 Uhr), Dresden (an 15:32 Uhr) Auf die regelkonforme Bezeichnung der Bahnhöfe (z.B. Zwickau (Sa – Sachs)) wird bei der Aufstellung verzichtet.

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BAHN EXTRA 4/2022

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