Ende 1962 verhandelten die DDR und Polen, wie der Militärverkehr an der Oder- Neiße-Grenze mittels eines Höchstleistungs- fahrplans abzuwickeln sei. Die PKP gaben an, sie könnten im Bahnhof Gumien´ce/ Scheune in 24 Stunden je 72 Züge übergeben und übernehmen. Im Gegensatz dazu konnte die DDR-Reichsbahn damals über Gram- bow lediglich 33 Zugpaare und über Tantow sogar nur 30 Zugpaare im Fahrplan unter- bringen. Die DR stellte jedoch in Aussicht, die Durchlassfähigkeit über Grambow bis 1965 auf 48 Zugpaare zu erhöhen; dann wür- de sie dort 48 Zugpaare und über Tantow 24 Zugpaare vorsehen. Als Variante wurde ein Höchstleistungsfahrplan ausgearbeitet, der auf beiden Strecken einen Einrichtungs- verkehr – in der Richtung nach Gumien´ce/ Scheune über Tantow, in der Gegenrichtung über Grambow – vorsah. Die Entwicklung von 1972 an Ab 1972 gab es zwischen der DDR und Po- len einen visafreien Reiseverkehr; DDR-Be- wohner konnten nun erstmals seit Kriegs- ende ohne größere Probleme und Sondergenehmigungen in das benachbarte Polen – und damit auch in die verlorenen Ostgebiete – einreisen. Für den Eisenbahn- Personenverkehr nach Szczecin/Stettin wurde zunächst der Grenzübergang Gram- bow wieder geöffnet. Vom 28. Mai 1972 an verkehrten hier täglich drei, an Wochenen- den sogar fünf Personenzugpaare durchge- hend zwischen Pasewalk und Szczecin Główny/Stettin Hbf. Seit dem 26. Mai 1974 gab es über Grambow sogar durchgehende Zugverbindungen von Rostock und von Schwerin nach Szczecin/Stettin und zurück. Ab 3. Juni 1973 verkehrten auch auf der historischen Strecke über Tantow erstmals nach dem Krieg wieder Reisezüge durchge- hend zwischen (Ost-)Berlin und Szczecin/ Stettin. Für Tagesausflügler gab es nun ein D-Zugpaar zwischen Berlin und Szczecin/ Stettin; der Wagenzug lief als Personenzug
Szczecin Główny/Stettin Hbf: Straßenansicht des wiederhergestellten Empfangsgebäudes. Die 1923 hinzugefügte dritte Etage des Südflügels ist nicht mehr vorhanden Slg. Peter Bley (3)
über Wolin/Wollin nach und von S´ winoujs´cie/ Ostswine durch. Ein zweites D-Zugpaar ver- kehrte als Nachtverbindung zwischen Berlin und Gdynia/Gdingen über Szczecin/Stettin und die frühere Hinterpommersche Bahn. Die Züge begannen und endeten in Berlin zumeist im Bahnhof Lichtenberg, vereinzelt auch im Ostbahnhof. Für die Grenzkontrol- len sah der Fahrplan in Gumien´ce/Scheune etwa 40 Minuten Aufenthalt vor. Der erneute Ausbau der eingleisigen Nebenbahn Anger- münde–Tantow Grenze zur Hauptbahn war damals bereits im Gange. Am 30. September 1973 nahm die DDR-Reichsbahn hier wieder den Hauptbahnbetrieb – bis Passow sogar zweigleisig – auf; dadurch konnte die Stre- ckengeschwindigkeit von 50 km/h auf 100 km/h, bald darauf sogar auf 120 km/h he- raufgesetzt werden. Nachdem die polnische Bevölkerung be- gonnen hatte, sich gegen die seit 1945 be- stehende Bevormundung durch die Sowjet- union und deren Gefolgsleute aus dem eigenen Land zu wehren, unterband die DDR-Führung im Spätherbst 1980 den visa- freien Reiseverkehr nach Polen. Kurz vor Ende November 1980 wurde der gesamte
Personenzugverkehr über Grambow hinaus eingestellt, zur gleichen Zeit entfiel das bis- herige D-Zugpaar zwischen Berlin und Szczecin/Stettin(–S´ winoujs´cie/Ostswine). Das Nachtzugpaar verkehrte zwar weiter- hin, doch war es für DDR-Bewohner im grenzüberschreitenden Verkehr fortan wie- der nur mit besonderer Genehmigung be- nutzbar. Mit diesem Zugpaar reisten nun zunehmend Polen visafrei durch die DDR nach Berlin, um im Westteil der Stadt auf wilden „Polen-Märkten“ unversteuerte Zi- garetten und andere Schmuggelwaren zu verkaufen. Der Bahnhof Gumien´ce/Scheune wurde spätestens seit Anfang Juni 1984 – vielleicht auch schon seit dem Wegfall der Personen- züge von/nach Pasewalk – von Zügen des Nahverkehrs nicht mehr bedient; nur das nächtliche D-Zugpaar Berlin–Gdynia/Gdin- gen hatte hier weiterhin einenVerkehrshalt. Nachdem Polen bereits Ende 1981 das Kriegsrecht verhängt hatte, hob die DDR etwa Mitte der 1980er-Jahre ihre einseitigen Reisebeschränkungen dorthin wieder auf. Trotzdem blieb der Personenzugverkehr über Grambow unterbrochen, auch auf dem Weg überTantow verblieb es bei dem Nacht- zugpaar Berlin–Gdynia/Gdingen. Erst mit dem Fahrplan 1989 kam hier in den Som- mermonaten ein D-Zugpaar zwischen Ber- lin und Olsztyn/Allenstein in Masuren dazu. Inzwischen hatte der sowjetische Partei- chef Gorbatschow in seinem Land Refor- men angestoßen, durch die 1989 auch der schon etliche Jahre vorher von Polen aus- gegangene Zerfall des von der Sowjetunion dominierten „Ostblocks“ in schnellem Tem- po vorankam. Mit weitgehend friedlichen Revolutionen gelang es sowohl Polen und der DDR als auch allen anderen Staaten in Osteuropa, das sowjetische Joch abzuschüt- teln und sich einem vereinten Europa zu- zuwenden. Über die von 1990 bis in die Ge- genwart in Stettin und seinem Umland eingetretene stürmische Entwicklung wird in der nächsten Folge berichtet werden.
Die Brücke über die Westoder im Zuge der früheren Güterverbindungsbahn erhielt beim endgülti- gen Wiederaufbau Ende der 1950er zwei eingleisige Überbauten in auseinandergezogenen Achsen
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