auf mehr machen soll. Dieses Essen packt sie in die Lunchbox, einen Turm aus gleich großen Schälchen, die die einzelnen Menü- anteile (wie Reis, Gemüse, Soße, Brot) auf- nehmen. Wie jeden Tag gibt sie das einem Dabbawala, der die in eine Stofftasche ver- packte Box nebst anderen auf seinem Fahr- rad zum Bahnhof bringt, von dort per Zug in den Stadtteil fährt, in dem der Empfänger arbeitet, und dann per Fahrrad zum Büro kommt. Dort wird das Essen dem Etagen- Dabbawala übergeben, der die Box an den Empfänger weiterleitet. Doch diesmal geht etwas schief: Statt zu Ilas Mann gelangt die Box zu Saajan, einem Versicherungsangestellten, der sein Essen bei einem kleinen Restaurant bestellt und Statt zum Ehemann gelangt das Essen zu einem Angestellten – die Liebesgeschichte beginnt sich nach 35 Dienstjahren auf die Rente vor- bereitet. Dieses verpackt die Lunchboxen (in Hindi Dabba, daher die Bezeichnung Dabbawala) in blaue Warmhaltetaschen, wie sie auch Ila verwendet. Statt der ge- wohnten Kartoffeln mit Blumenkohl findet Saajan ein raffiniertes Curry mit Bohnen und anderen Leckereien vor – das Essen, das Ila zubereitet hat und das der Angestell- te mit großem Genuss verputzt. Als er sich nach Feierabend bei seinem Restaurant be- dankt, wundern die sich zwar, nehmen das Lob aber erfreut zur Kenntnis. Das Restau- rantmenü erhielt übrigens Ilas Mann. Ila merkt, dass etwas schief gegangen ist, und schreibt am nächsten Tag eine kleine Notiz, die zu Saajan kommt und die jener liest. Seine Reaktion fällt allerdings schroff aus: „Das Essen war versalzen.“ Ila kocht daraufhin am folgenden Tag extra scharf, die „Fehllieferung“ geht weiter, wobei das neue Essen Saajan nicht unbedingt miss-
Dichtes Gedränge und überfüllte Züge sind im Vorortverkehr von Mumbai die Regel. In separaten Gepäckabteilen bringen Essensboten dann noch ihre Transportgestelle unter. Das Foto von 2019 zeigt einen moderneren, mit Ventilatoren klimatisierten Zug Picture alliance/Reuteres/Francis Mascarenhans
fällt.Tag fürTag gehen nun kleine Briefe hin und her und werden dabei auch immer per- sönlicher. Schließlich schlägt Ila ein Treffen vor. Saajan hält sich noch zurück, weil er sich für zu alt hält, doch ist das letzte Wort in der Angelegenheit nicht gesprochen. Indische Bahn mit indischen Liedern „Lunchbox“ zählt nicht zu den Bollywood- Filmen, obwohl einige – in Indien – sehr po- puläre Bollywood-Schnulzen zitiert wer- den. Das geschieht einmal auch sehr satirisch, als die Platte, die sich Ila von ihrer Nachbarin vorspielen lässt, nahtlos über- wechselt in den gut gefüllten Vorortzug, in dem Saajan nach Feierabend nach Hause fährt. Nun übernehmen bettelnde Straßen- kinder die Funktion der „Liedsänger“, was aber nurTextkundige merken.
Lunchbox ist nach heutiger Lesart Art- house-Kino – ein Film nicht unbedingt für das breite Publikum, dabei jedoch durchaus Wohlfühl-Kino, das genau jene Balance zwi- schen Romantik, Komödie undTragik findet, die gutes Kino dieser Spezies auszeichnet. Obwohl mit Produktionsjahr 2013 ver- gleichsweise jung, zeigt der Film ein schon wieder weitgehend vergangenes Mumbai; die rasante wirtschaftliche Entwicklung In- diens hat auch vor dieser Megastadt und ih- remVorortverkehr nicht haltgemacht. Ungeachtet dessen gibt „Lunchbox“ ei- nen Eindruck von dem turbulenten Nahver- kehr – und man fragt sich, wie das Filmteam manche der Szenen realisieren konnte. Die zwölf bis 15 Wagen umfassenden Züge kön- nen bis zu 7.000 Fahrgäste aufnehmen. Da- bei reisen die Dabbawalas in den Gepäck- abteilen, ihre Lunchboxen sind auf großen Rohrgestellen zusammengepackt. Mum- bais Vorortzüge rollen nicht nur in dichtem Takt, sondern auch immer mit offenen Fens- tern und Türen. Als der Film entstand, hat- ten die meisten Züge noch eine solche Küh- lung durch Zugluft; mittlerweile gibt es auch Züge mit Klimatisierung. Im Film übernehmen die Zugszenen eine wichtige Rolle: Sie verknüpfen einerseits die Schauplätze (Ilas Wohnung, Saajans Büro und sein Zuhause), andererseits trei- ben sie – dies immer in Innenaufnahmen – die Handlung voran. Als DVD ist der Film gebraucht bei den bekannten Plattformen erhältlich, als Stream schien er Mitte 2025 nicht verfügbar zu sein. Als Einblick in indi- schen Großstadt-Alltag (und die indische Küche) empfiehlt er sich auf jeden Fall. Er macht, wie gesagt, buchstäblich Appetit.
Irfan Khan (l.) spielt den verwitweten Angestellten, der irrtümlich das Essen von Ila erhält. Die Rolle von Ila übernimmt Nimrat Kaur (r., mit Regisseur Ritesh Batra bei der Filmpremiere in Berlin, November 2013) Picture alliance/dpa/AKFPL/NFP (l.), picture alliance/Geisler-Fotopress/Frederic/Geisler-Fotopress (r.)
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