Bahn Extra

verwaltungTransportmaschinenbau (HVT)“ über. Wer von der Belegschaft Lust hatte, wurde sofort von der „Neuen Produktion“, dem Flugzeugbau, übernommen. Die Auf- arbeitung der Elloks geriet zur Nebensache und sollte in dem längst stillgelegten Aus- besserungswerk Magdeburg-Buckau erfol- gen. Wer bei der Eisenbahn bleiben wollte, hatte dies ebenfalls seinem Vorgesetzten zu melden. Im Werk setzte nun ein geschäfti- ges Treiben ein. Das Verwaltungsgebäude durfte nur noch von Personen mit Sonder-

uns stets eine Fundgrube. Hier fanden wir ein hochpoliertes Ventil, welches vielver- sprechend aussah. In der Werkstatt sägten wir es am Schaftansatz durch. Es enthielt tatsächlich Natrium. Der Lehrgeselle war gerade nicht zugegen.Wir stellten einen Ho- cker mit einem halbvollen Eimer Wasser an die Wand und warfen den Natrium-Ventil- Teller hinein. In einigem Abstand warteten wir auf die Reaktion. Es tat sich erst einmal nichts. Wir wollten gerade nachsehen, da gab es einen Knall. Der Hocker ging in die

Neulehrer. Unsere Klasse war durch „Um- siedler-Kinder“ auf über 40 Köpfe ange- wachsen. Neben den normalen Heften für die Fächer hatten wir „Friedensmappen“ zu führen. Hauptthema war der große Stalin, „der beste Freund des deutschenVolkes, der Bannerträger des Friedens und des Fort- schritts in der ganzen Welt“. 1951 beendete ich meine achtklassige Schulzeit. Zum Oberschulbesuch wurde ich wegen meines politisch belastetenVaters nicht zugelassen. Lehre bei der Eisenbahn Am 15. September 1951 begann ich im Raw Dessau eine dreijährige Lehre zum Moto- renschlosser. Die Lehrwerkstatt befand sich auf der Bühne (einer Art erste Etage) am Westgiebel der Halle 1. Unser erstes Werk- stück war ein Klotz Eisen, aus dem wir, be- ginnend mit einer großen Schruppfeile, nach und nach mit anderen Werkzeugen, einen Handhammer von etwa 1.000 Gramm fertigten. Es folgten Durchschlag, Körner, Meißel, Schlüssel,Vorhängeschloss und an- dere Dinge. Dabei lernten wir die Grund­ fertigkeiten eines Schlossers. Im zweiten Lehrjahr kamen Tätigkeiten an Werkzeug- maschinen, in der Schmiede und der Schweißerei dazu. Die Grundausbildung war solide und gut. Im dritten Lehrjahr schraubten und montierten wir dann an Ge- trieben, Kompressoren und Dieselmotoren. In der Werkschule erhielten wir den zuge- hörigen theoretischen Unterricht. Verschie- dene Ausbilder und Werkschullehrer stammten aus den Junkers-Werken. Unser Fachkunde-Lehrer konnte wunderbare Ge- schichten aus seiner Junkers-Zeit erzählen. Verschiedene Schnittmodelle von Junkers- Flugmotoren waren damals in der Werk- schule aufgestellt. Die Unterschiede zwi- schen Flug- und Bahnmotoren waren gewaltig. Hier platzsparender Leichtbau bei hoher Leistung, da vor allem Robustheit bei Eine unserer Aufgaben lauteteः technische Vorarbeiten für den Wiederaufbau der Elloks guter Zugänglichkeit. Am ehesten kamen noch die Zwölf-Zylinder-Maybachmotoren an einen Junkers-Flugmotor heran. Natürlich wurde unter Jugendlichen auch Blödsinn getrieben. Wir waren da kei- ne Ausnahme. Unser Fachlehrer erzählte uns, dass es Baureihen von Junkers-Moto- ren gab, bei denen die Zylinder-Auslassven- tile zur Kühlung der hoch belasteten Ventil- teller mit Natrium gefüllt waren. Aus dem Chemieunterricht wussten wir, dass Natri- um mit Wasser heftig reagiert. Etlicher Schrott aus den ehemaligen Junkers-Wer- ken war zum Raw transportiert worden. Nach Werkstoffen getrennt ging er in die Altstoffnutzung. Der Schrottbansen war für

Lehrwerkstatt auf der Westbühne der Halle 1 im Reichsbahnausbesserungswerk Dessau: Hier brachten uns erfahrene Ausbilder das Einmaleins des Schlossers bei

ausweis betreten werden. In der Halle 1 wurde eine größere Fläche mit Maschen- draht eingezäunt. An großen Maschinen übte man sich beim Schneiden und Verfor- men von Alu-Blechen. Politische Ereignisse machten plötzlich und unerwartet derVerlegung des Raw Des- saus nach Magdeburg ein Ende. Das kost- spielige Rüstungsprogramm der DDR beför- derte die Krise von 1953. Die Ereignisse um den 17. Juni 1953 zwangen die Regierung zu Änderungen in der Wirtschaft. Eine Folge da- von war die Rückgabe des Werkes Dessau an die Deutsche Reichsbahn. Die großen Blech- bearbeitungsmaschinen und Absperrungen verschwanden in Richtung Dresden. Arbeit als Schlosser Am 31. August 1954 lernten wir aus und nannten uns nun Motorenschlosser. Das Raw baute die Aufarbeitung von Triebwa- gen mit Verbrennungsmotoren langsam zu Gunsten der Ellok-Generalreparaturen ab. Im Motorenbau stagnierte der Arbeitskräf- tebedarf. Nur zwei von uns erhielten in der Meisterei eine Beschäftigung. Ich kam zu einer Dreimann-Gruppe, die gerissene Mo- torengehäuse kleinerer Leistung mit Kup- ferblech, Bärenkleister und „Schraube an

Knie, der Eimer flog ohne Boden nach oben und an der Wand lief das Wasser herab. Un- ser Geselle und der Werkstattmeister ka- men gerannt und sahen die Bescherung. Es folgten Befragungen, wer was getan hatte. Wir hielten dicht. Es gab schließlich einen Kollektivverweis. In meine Lehrzeit fielen drei besondere Ereignisse. Mitte 1952 kehrten die ersten El- loks aus der UdSSR zurück. Bald waren alle Gleise, auch die von der Bahnmeisterei Des- sau verlegten Behelfsgleise, mit den Elloks in teils desolatem Zustand belegt. Außer- dem gelangten Ausrüstungen der Unter- werke des mitteldeutschen und des schlesi- schen Netzes in das Raw. Das Zeichenbüro wurde personell verstärkt und leistete tech- nische Vorarbeiten für die Wiederaufarbei- tung der Lokomotiven. Denn mit der De- montage hatte das Werk 1946 auch alle Zeichnungen – samt einziger Lichtpausma- schine – an die Russen abgeben müssen. Im Herbst sickerte durch, dass das Raw wieder als Flugzeugwerk eingerichtet wird. Zum Jahreswechsel 1952/53 ging das Raw Dessau tatsächlich auf Regierungsbe- schluss von der Deutschen Reichsbahn in dieVerwaltung des „Ministeriums fürTrans- portmittel und Landmaschinenbau – Haupt-

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BAHN EXTRA 4/2022

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