A nfang der Sechzigerjahre hat Deutschland noch einen Bundes- kanzler, der in seinem Garten Boc- cia spielt und Rosen pflanzt. Kennedy ist ein Berliner. Und im Schwarzweißfernsehen, treffenderweise als Mattscheibe bezeichnet, treten zwischen Nachrichten und Wasch- mittelreklame plötzlich sogenannte Werbe- trenner auf, eine Zwergentruppe namens Mainzelmännchen. Automobilistisch steht Porsche mit seinem Ur-Elfer im Rampen- licht. Im Heck arbeitet ein vergleichsweise bescheidener Zwei-Liter-Boxer. Achtzylin- der mit mehr als sechs Liter Hubraum gibt es auch. Aber wer so etwas fährt, ist mindestens Vorstandschef, wenn nicht Staatsoberhaupt oder Papst – und sitzt höchstwahrscheinlich in einem Mercedes 600. Ganz anders dagegen in den USA. Nicht kleckern, klotzen ist die Devise, vor allem bei General Motors: Dort peilt man junge Käufer an mit der Formel „fetter Motor zum kleinen Preis“. Für schlappe 2.800 Dollar haut die Marke Pontiac 1964 ein Auto raus, das quasi über Nacht ein neues Power-Seg- ment begründet. Drei Buchstaben elektrisie- ren fortan jeden jungen Petrolhead: G-T-O. Die Eckdaten dieser Fahrmaschine lauten 6,4 Liter V8, 348 SAE-PS. Die Ära der legendären Muscle Cars beginnt. DeLorean versteht den Markt Doch bevor wir uns zwei besonderen Vertre- tern dieser Spezies widmen, müssen wir noch einmal die Vorgeschichte erzählen. Sie be- ginnt mit einem Mann namens John Zachary
zoll oder 421 Kubikzoll Hubraum finden. Deshalb passt das Aggregat praktisch ohne Änderungen in den Motorraum des Tempest. Das Ergebnis ist der Pontiac GTO. In einem Interview erklärt DeLorean im Jahr 1994, wie er auf den Namen kam: Demnach woll- te er nicht den Ferrari 250 GTO nachahmen, der 1962 auf den Markt gekommen war; ihm schwebten lediglich ein starkes Image von Sportlichkeit und ein europäisches Flair vor. Ein kleines Problem bestand seinerzeit jedoch darin, dass GM intern den Einbau von Motoren über 330 Kubikzentimeter in seinen Mittelklassemodellen verboten hat. DeLorean und sein Team umgehen dieses Problem jedoch, indem sie den neuen, grö- ßeren Motor nur als Option für den Tempest anbieten. Am 3. September 1963 läuft der erste Pontiac Tempest Le Mans des Modell- jahres 1964 mit dem optionalen GTO-Paket vom Band. Die Verkaufsabteilung rechnet mit etwa 5.000 GTO-Verkäufen. Was für ein Irrtum. Tatsächlich verkauft Pontiac 1964 mehr als das Sechsfache, exakt 32.450 GTO. Und es hätten sogar noch viel mehr sein können, doch die Produktionska- pazitäten geben dies nicht her. Derweil reibt sich die Konkurrenz verblüfft die Augen. Erst mit Verspätung folgen eine ganze Reihe Mit- bewerber, nicht nur von Plymouth und Dodge, sondern auch aus anderen Abteilungen von General Motors selbst. Cabriolets sind seltener Zwei Monate nach Produktionsbeginn läuft das hier vorgestellte rote 64er Cabriolet vom Band. Sein älterer Bruder in Schwarz ist ein Hardtop-Coupé mit säulenlosen Fenstern von 1966. Als dritte Variante wäre theoretisch noch ein Sportcoupé mit festen B-Säulen in- frage gekommen, aber wir wollen es nicht übertreiben. Das Hardtop-Coupé ist 1964 das beliebteste Modell, 18.422 Käufer entscheiden sich für die- se Version des GTO. An zweiter Stelle rangie- ren die Sportcoupés vor den Cabrios, mit 7.384 gegenüber 6.644 Stück. Unser Cabriolet beginnt sein Leben in Jacksonville, Florida, wo es neu an das örtli- che Pontiac-Büro geliefert wird. Aber innerhalb weniger Monate gelangt das Auto auf einem Schiff nach England, wo es im April 1964 zu- gelassen wird. Die ursprüngliche Farbe, eine cremefarbenes Cameo Ivory, ist inzwischen in tiefes Schwarz umgewandelt. Später folgen Lackierungen in Grün und Himmelblau, ehe der Wagen das aktuelle Rot erhält. Der heutige Besitzer ist seit etwa zehn Jahren mit einer laufenden Restaurierung beschäftigt. Nach Abschluss aller mecha- nischen Arbeiten will er als Nächstes alle abgenutzten Zierleisten ersetzen und die ursprüngliche Farbe wiederherstellen. Das Hardtop-Coupé von 1966 wiederum fährt in makellosem Originalzustand vor. In die- sen hat es Paul Teutul Senior versetzt, der
Der Beifahrer blickt auf ein GTO-Logo mit Zielflaggendesign.
Die Typenbe- zeichnung am Heck fällt de- zent aus, wenn man bedenkt, welcher Motor vorne sitzt.
Äußerst schlicht: Offensichtlich ist der Drehzahl- messer nicht wirklich wichtig.
DeLorean. Es soll noch Jahr- zehnte dauern, ehe dieser einen eigenen Autokonzern gründet und Margaret That- cher dazu überredet, in Nord- irland eine Fabrik für ihn zu finanzieren. Fern ist auch der Tag, an dem er wegen eines angeblichen Kokaindeals ver- haftet wird. Zu Beginn der Sechziger ist DeLorean Ende dreißig und Chefingenieur der Pontiac-Abteilung bei General
„Eigentlich hat GM intern den Einbau von Motoren über 330 Kubikzentimeter in seinen Mittelklassemodellen verboten. DeLorean umgeht dieses Problem.“
Motors. Ein talentierter Ingenieur, der auch den Automobilmarkt versteht und insbe- sondere die Jugendkultur. Er erlebt das Auf- blühen der Hot-Rods, die Geburt des Drag Racing. Und er ist sicher, der Markt ist reif für ein starkes Auto für ein junges Publikum, zu einem attraktiven Preis. Sein Plan: Man neh- me ein Mittelklasseauto, in diesem Fall einen Pontiac Tempest Le Mans, und setze einen großen Motor aus den höherklassigen Model- len Catalina und Bonneville ein. Genauer ge- sagt den 389 Kubikzoll großen V8. Das ist eine leichte Aufgabe, denn anders als die V8-Motoren von Chrysler, Ford und anderen GM-Divisionen hat Pontiacs Einheit stets die gleichen Außenblockabmessungen, ganz gleich, ob sich im Inneren 326 Kubik-
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