ALTES AUTO, NEU GEFAHREN | Fiat/Bertone X1/9 (1972 – 1988)
Mit dem X1/9 gelang Fiat Mitte der Siebzigerjahre ein spaßiges Targa-Erlebnis für zwei. Heute erscheint einem aber das Modell bei einer Ausfahrt irgendwie geschrumpft – wie eine Zeitreise nach Liliput Text: Simon Buchholz X Fotos: Michael Printz Kleiner Keiler
Fast wie ein Ferrari für die Westentasche. Die vier Endrohre sind nicht original, aber ein cooles Extra
Das Streifendesign gab es nur in der „Exclusiv Serie“, die Space-Instrumente dafür bei allen frühen Modellen
D er Fiat X1/9 ist eine der eigenwilligs- ten Konstruktionen aus Turin: Alles an dem zweitürigen Targa ist irgend- wie klapp- oder herausnehmbar. Insgesamt neun Karosserieteile lassen sich mit wenig Aufwand spielerisch bewegen. So viel konst- ruktiven Aufwand betrieb Fiat, um das kleine Sportcoupé mit einem Targadach und zwei Klappscheinwerfern auszurüsten. In einer Welt der Kosteneffizienz könnte man damit heute kaum noch Geld verdienen. Und wie man mit so viel losem Blech noch eine solide Basis für ein Höchstmaß an Fahrvergnügen legen konnte, verwundert umso mehr. Ob das bis heute gilt? Mittelmotor für zwei Fahrvergnügen ist das Stichwort, als es darum geht, den X1/9 im Hier und Jetzt zu fahren. Die Eckdaten lassen hoffen, denn der aus dem Fiat 128 entnommene Motor leistet in der Ver- gaserversion immerhin 75 PS und treibt über ein Vierganggetriebe die nicht gerade überdi- mensionierten Hinterräder an. Also reinsetzen und ausprobieren, wie sich die 880 Kilo ums Eck werfen lassen. Doch vor den Spaß haben die Götter den Schweiß gesetzt. Alles an dem Fiat wirkt aus heutiger Sicht eine Nummer zu klein. Klar, ich bin mit 185 cm und Schuhgröße 45 sicher nicht der Normkunde von Fiat aus dem Präsentations- jahr 1972, doch dass es so eng ist? Und die Pedale so klein? So viel ist klar, dem Targa- dach kommt neben der Freizeitfrischluftkom-
Warmes Gepäck gefällig? Im X1/9 saß der Kofferraum hinter dem Motor
Das leichte Targadach fand sicheren Halt im vorderen Abteil
ponente im Fall von akuter Platzangst auch die Bedeutung als Notausstieg zu. Falls man sich doch einmal verknotet hat. Irgendwie finde ich dann doch meine Sitz- position, wenngleich nicht wirklich bequem, denn der Verstellbereich der Sitze endet an der Spritzwand zum Motor. Die Nähe zu dem feu- rigen Zweiventiler macht übrigens die Heizung überflüssig. Insofern erhält das Targadach noch mehr Zuspruch, vor allem im Sommer. Kanten für die Ecken Der Lampredi-Vierzylinder ist neben seiner Funktion als Wärmequelle aber vor allem für den Vortrieb vorgesehen. Und das macht er ausgesprochen munter. Natürlich ist er kein Quell unerhörter Drehfreude, doch wer mit dem Schalthebel fröhlich in der Kulisse rührt, kommt schnell dahinter, dass bei rund 3.500/ min so richtig die Post abgeht. Zu Not und bei
feuchter Straße und viel Platz auch quer, denn so viel Halt haben die 145er-Pneus dann nicht. Für die anschließende Orientierung bietet es sich an, zuvor die Scheinwerfer aus ihren Lichtschächten zu holen, dann lässt sich die Front besser wieder in Fahrtrichtung zirkeln. Überhaupt die Scheinwerfer. Das Prinzip der ultraflachen Front mit den bei Bedarf auf- klappbaren Lichtquellen fasziniert bis heute. Begeisternde Einfachheit Die Controller weniger, denn die haben so etwas Aufwendiges inzwischen aus den Las- tenheften der Entwicklung verbannt. Schade, auch, dass die Vorschriften dem Fiat irgend- wann die hässlichen Bahnschwellen als Stoß- stangen vorgaben. Das ruiniert das Gandini- Design, dessen kompromisslose Kantigkeit typisch für die damalige Sportwagenwelt war.
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