Transferarbeit_Luisa Vonarburg_öffentlich

«Was bewegt junge Menschen dazu,

dass sie Freiwilligenarbeit leisten?»

Eine studentische Arbeit der Hochschule Luzern – Wirtschaft

Bachelor of Science in Business Psychology, Major Markt- und Konsumentenpsychologie

Autorin

Luisa Vonarburg, winterthur@sam-global.org

SAM global, Wolfensbergstrasse 47, 8400 Winterthur, 052 269 04 69

22. April 2022

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, II

Diese Arbeit wird von SAM global kostenlos zur Verfügung gestellt. Über eine freiwillige

Spende freuen wir uns: https://www.sam-global.org/spenden

Vielen Dank!

Bei Fragen, Unklarheiten oder Anregungen dürfen Sie sich gerne melden.

© SAM global, alle Rechte vorbehalten, keinerlei Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, III

Management Summary

Seit 133 Jahren leistet SAM global, eine Non-Profit-Organisation, in elf Ländern Entwick-

lungszusammenarbeit. Freiwillige Einsatzleistende sind seit jeher ein wichtiger Bestandteil

der Bestehensgeschichte. Schon seit mehreren Jahren ist ein rückläufiger Trend bei den

Mitarbeitendenzahlen festzustellen. Um dem entgegenzuwirken, setzt sich SAM global aktiv

mit dieser Problematik auseinander und möchte potenzielle Einsatzleistende gezielter an-

sprechen. Der Fokus soll besonders auf junge Menschen gerichtet sein. Wichtig ist nun,

dass die Bedürfnisse der jungen Menschen verstanden werden und das Angebot auf sie

angepasst wird. Wie das Angebot aussehen soll, wurde mit dieser Transferarbeit analysiert.

Freiwillige Einsatzleistende sind auch für die Gesellschaft ein wichtiges Gut. Ohne diese

geleistete Arbeit wäre Vieles nicht möglich. In der Schweiz führten im Jahr 2020 rund 1.2

Millionen Personen eine unbezahlte Tätigkeit bei Organisationen, Vereinen oder öffentlichen

Institutionen aus (Benevol Zug, 2022). Damit auch in Zukunft Freiwilligenarbeit geleistet

wird, gilt es die Bedürfnisse, Motive und Werte der (potenziellen) Einsatzleistenden zu ver-

stehen.

In den letzten Jahrzehnten wurde viel Forschung zum Thema Freiwilligenarbeit betrieben.

Damit auch in Zukunft Freiwilligenarbeit geleistet wird, sollten diese Erkenntnisse in die Ge-

staltung der Freiwilligenarbeit einfliessen: Der Zielgruppe muss präsent sein, wo und wie sie

einen Einsatz leisten können. Bedürfnisse und Wünsche der jungen Menschen sollen be-

rücksichtigt werden und die Einsätze individuell anpassbar sein. Nachhaltige Aspekte der

Freiwilligenarbeit lohnt es sich hervorzuheben, da die jungen Menschen besonderen Wert

darauflegen. Ihre eigene Handlungsfähigkeit soll betont werden. Ihnen soll bewusst werden,

dass sie etwas Positives bewirken können. Kürzere themen- und projektbezogene Einsätze,

die auf wichtige Themen der jungen Menschen ausgerichtet sind, sprechen junge Menschen

ebenfalls an. Die Bedeutsamkeit der Aufgaben hat einen hohen Stellenwert. Freiwilligenar-

beit sollte ausserdem beispielsweise in einem Praktikum erfahrbar gemacht und Handlungs-

möglichkeiten konkret aufgezeigt werden.

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, IV

Inhaltsverzeichnis

ORGANISATIONSPORTRAIT SAM GLOBAL .................................................................................. 1

SAM GLOBAL, FREIWILLIGENARBEIT UND JUNGE MENSCHEN............................................... 2

AUSGANSLAGE FREIWILLIGENARBEIT, UMFELDBEDINGUNGEN SAM GLOBAL UND

DEFINITIONEN ................................................................................................................................... 3

F UNKTION VON F REIWILLIGENARBEIT IN DER G ESELLSCHAFT ............................................................... 3

R ELEVANTE U MFELDBEDINGUNGEN VON SAM GLOBAL ........................................................................ 5

B EGRIFFSDEFINITIONEN ..................................................................................................................... 7

IST-ZUSTAND SAM GLOBAL BEZÜGLICH DER PROBLEMSTELLUNG UND

FRAGESTELLUNG............................................................................................................................. 7

DARSTELLUNG DER WISSENSCHAFTLICH-THEORETISCHEN GRUNDLAGEN ..................... 10

B EDINGUNGEN FÜR EINEN F REIWILLIGENEINSATZ UND DER E INFLUSS DES W ERTEWANDELS ................ 10

W AS JUNGE M ENSCHEN MOTIVIEREN KANN ....................................................................................... 12

E NTSCHEIDEND FÜR DIE D AUER UND H ÄUFIGKEIT EINES F REIWILLIGENEINSATZES .............................. 14

M ENSCHEN IM J UGENDALTER UND FRÜHEN E RWACHSENENALTER VERSTEHEN ................................... 15

THEORIEN, DIE DAS ZIELVERHALTEN ERKLÄREN KÖNNEN .................................................. 18

T HEORIE DES GEPLANTEN V ERHALTENS ............................................................................................ 18

S ELBSTBESTIMMUNGSTHEORIE ......................................................................................................... 20

KRITISCHER VERGLEICH THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND IST-SITUATION.................. 21

WIE SAM GLOBAL JUNGE MENSCHEN FÜR DIE FREIWILLIGENARBEIT GEWINNEN KANN23

DISKUSSION, REFLEXION UND FAZIT ......................................................................................... 25

LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................................... IV

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, V

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Werthaltungen und Engagement nach Huxhold und Müller (2016) ...................12

Tabelle 2 Sechs Funktionen Freiwilligeneinsatz, in Anlehnung an Clary et al. (1998) ......13

Tabelle 3 Soll-Ist-Vergleich theoretische Grundlagen und SAM global.............................21

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Fünf Wettbewerbskräfte in Anlehnung an Porter (1998) ................................6

Abbildung 2 Mitarbeitende SAM global 2017-2021, Jahresbericht (2022) .........................8

Abbildung 3 Hinderungsgründe Freiwilligenarbeit, (Arriagada & Karnick, 2021)..............15

Abbildung 4 Verkürzung der Lebensphase Jugend, (Leven 2017) ..................................17

Abbildung 5 Theorie des geplanten Verhaltens, in Anlehnung an Ajzen (1991) ..............19

Abbildung 6 Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan (1985), in Anlehnung an

Vorlesungsfolien ............................................................................................................... 20

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 1

Organisationsportrait SAM global

SAM global ist eine christliche Non-Profit-Organisation mit Schwerpunkt personelle

Entwicklungszusammenarbeit, die in Winterthur ihren Hauptsitz hat. Zweigstellen befinden

sich in Ecublens (Romandie), Belgien und Frankreich. Mit rund 75 Mitarbeitenden

(Schweiz und Ausland) und zahlreichen Partnerorganisationen ist SAM global in elf Län-

dern in Afrika, Asien und Südamerika tätig. Die Kernthemen sind Grund- und Berufsbil-

dung, medizinische Arbeit und Prävention, theologische Bildung und Praxis sowie Verbes-

serung der Lebensgrundlagen. Im Jahr 1889 von Frederik Franson gegründet, kann der

Verein auf eine lange und erfolgreiche Bestehensgeschichte zurückblicken. SAM global

pflegt in den verschiedenen Ländern vor Ort enge Beziehungen zu Einheimischen und den

Projektmitarbeitenden. Die Vision von SAM global: «Menschen erleben Gottes uneinge-

schränkte Liebe, blühen auf durch angepasste Bildung und Praxis und investieren sich in

andere.»

SAM global übernimmt Verantwortung für langfristiges und ganzheitliches Handeln in allen

Schwerpunkten. In der Schweiz sensibilisiert SAM global mit Events und Informationsmate-

rial für die extreme Armut in den Einsatzländern und motiviert, dass man sich mit dieser

Thematik auseinandersetzt.

SAM global hilft durch die Projekte mit, die Sustainable Developement Goals (SDGs)

der UNO zu erreichen. Allein im Jahr 2020 konnten knapp 440 000 Menschen mit medizi-

nischer Arbeit und Prävention unterstützt werden. Folgende Werte sind die Basis des tägli-

chen Handelns: Authentizität, Wertschätzung und die Arbeit soll lebensverändernd sein.

Seit 2020 darf SAM global das Zewo-Gütesigel tragen. Die Zewo hat ihre Tätigkeit

1934 als «Zentrale Auskunftsstelle für Wohlfahrtsunternehmungen» aufgenommen und ist

seit 1936 als Verein aufgestellt (Stiftung Zewo, 2020). Seit dem Jahr 2001 wird die Zewo

als unabhängige Stiftung geführt. Die Stiftung Zewo (2020) beschreibt ihre Tätigkeit fol-

gendermassen:

Die Zewo setzt sich dafür ein, dass gemeinnützige NPO ihre Spenden zweckbe-

stimmt, wirksam und wirtschaftlich einsetzen. Dazu hat sie 21 Standards verabschie-

det. Sie verpflichten NPO zum vertrauenswürdigen Umgang mit Spenden und zu ei-

ner klaren Information der Spenderinnen und Spender. NPO, die das Gütesiegel der

Zewo tragen wollen, müssen sich von der Zewo prüfen lassen. Erfüllen sie die 21

Standards, verleiht ihnen die Zewo das Gütesiegel. Das Signet dient Spenderinnen

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 2

und Spendern als Orientierungshilfe. Sie erkennen daran, dass ihre Spende bei ei-

ner zertifizierten NPO in guten Händen ist.

Die Zertifizierung bedeutet, dass die 21 Standards der Zewo erfüllt sind (Stiftung

Zewo, 2020). Somit zählt SAM global zu den vertrauenswürdigen gemeinnützigen Organi-

sationen in der Schweiz. Aufgrund der Zewo-Zertifizierung und der damit nachweislichen

transparenten und professionellen Arbeit erhält SAM global jährlich DEZA-Gelder. Dies in

Form eines Programmbeitrags via die Dachorganisation Unité in der Höhe von rund CHF

550 000. – . Die DEZA, Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, ist verantwortlich

für die Umsetzung der aussenpolitischen Strategien der Schweiz in den Bereichen huma-

nitäre Hilfe, globale und regionale Entwicklungszusammenarbeit. Die Dachorganisation

Unité ist der Schweizerische Verband für Personelle Entwicklungszusammenarbeit und

setzt sich in Partnerschaft mit der DEZA für wirksame, nachhaltige und gerechte Zusam-

menarbeit ein (Verband Unité, 2022).

Die höchsten Organe von SAM global sind der Vorstand, bestehend aus sieben Mit-

gliedern und die Mitgliederversammlung, bestehend aus 153 Mitgliedern.

Einsätze mit SAM global sind ausschliesslich im Ausland möglich. Zusätzlich müs-

sen sich die Einsatzleistenden einen Spendendenkreis aufbauen, damit die entstehenden

Kosten gedeckt sind, womit der Einsatz unentgeltlich geleistet wird. Da die von Wehner et

al., (2015) bestimmten Kriterien Freiwilligenarbeit «Freiwilligkeit», «Unentgeltlichkeit» und

«Gemeinnützigkeit» sind, wird somit ein Einsatz bei SAM global mit einem Freiwilligenein-

satz, wie in der Literatur und in Studien beschrieben, gleichgesetzt. Für diese Arbeit ver-

einfachend, ist davon auszugehen, dass die Grundlagen, Gegebenheiten und Motivatio-

nen für einen Einsatz mit SAM global annähernd identisch sind.

SAM global, Freiwilligenarbeit und junge Menschen

Seit 1889 kann SAM global auf genügend Mitarbeitende zählen, die einen Freiwilli-

geneinsatz leisten. So können und konnten Leben positiv beeinflusst und langfristig ganz-

heitlich verändert werden. Somit konnten wichtige und unverzichtbare Aufgaben in ver-

schiedenen Kontexten und Gesellschaften erfüllt werden.

Im Verlauf der Zeit sind die Zahlen der Einsatzleistenden kontinuierlich zurückge-

gangen, was die Arbeit von SAM global langfristig gefährdet. Um die Entwicklungszusam-

menarbeit auch noch in Zukunft zu gewährleiten, ist SAM global auf neue Einsatzleistende

angewiesen – speziell auch auf junge Menschen.

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 3

Inmitten einer jungen Generation, die Gesundheit und Wohlbefinden für Geist, Kör-

per und Umwelt als selbstverständlich sieht (Wulff et al., 2020), stellt sich die Frage, was

es braucht, damit sich diese jungen Menschen für einen Freiwilligeneinsatz entscheiden.

Konkret gilt es zu verstehen, was die jungen Menschen denken, wie sie fühlen und wie sie

schlussendlich wirken. Dies, damit Freiwilligeneinsätze so gestaltet werden können, dass

Entwicklungszusammenarbeit auch noch in Zukunft gewährleistet werden kann.

Es ist selbstverständlich, dass auch ältere Generationen einen wichtigen und gros-

sen Beitrag in der Freiwilligenarbeit leisten. Zur Einfachheit wird in dieser Arbeit der Fokus

auf die junge Generation gelegt. Auf die genaue Definition von «jung» wird im nachfolgen-

den Kapitel eingegangen.

Als erstes wird die Ausgangslage genauer betrachtet und die Umfeldbedingungen

von SAM global werden analysiert. Für klare Abgrenzungen der Begrifflichkeiten folgen ei-

nige Definitionen. Das Unternehmensportrait gibt einen tieferen Einblick in die Tätigkeit

von SAM global und schafft Verständnis für die Problemstellung, die danach thematisiert

wird. Für ein fundiertes wissenschaftlich-theoretisches Verständnis werden einige Studien,

Artikel und weitere Literatur näher betrachtet. Den theoretischen Teil schliessen zwei The-

orien aus der Psychologie ab. Für den Transfer in die Praxis wird anschliessend ein Ver-

gleich der behandelten theoretischen Konstrukte gezogen. Danach werden konkrete Opti-

mierungsvorschläge abgegeben. Die Diskussion, die Reflexion und das Fazit schliessen

die Transferarbeit ab.

Das Ziel dieser Transferarbeit ist es, junge Menschen besser zu verstehen, damit

SAM global konkret Handlungen vornehmen und Prozesse anpassen kann in der Rekru-

tierung neuer Einsatzleistenden. Auf dieser Basis ergibt sich folgende Fragestellung:

«Was bewegt junge Menschen dazu, dass sie Freiwilligenarbeit leisten?»

Ausganslage Freiwilligenarbeit, Umfeldbedingungen SAM global und Definitionen

Für eine grobe Übersicht wird nachfolgend auf die Ausgangslage der Freiwilligenarbeit

und die Umfeldbedingungen von SAM global eingegangen. Zusätzlich werden einige Be-

griffe definiert.

Funktion von Freiwilligenarbeit in der Gesellschaft

Wie Lehmann (2016) festgestellt hat, befindet sich die Freiwilligenarbeit in einem

Wandel. Zentral ist dabei die demographische Entwicklung. Der grosse Anteil der Men-

schen die immer älter werden und der allgemeine Bevölkerungsrückgang stellt die

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 4

Freiwilligenarbeit vor Herausforderungen. Lehmann (2016) hält fest, dass die Probleme

der Nachwuchsgewinnung auf die traditionellen Engagement-Formen zurückzuführen

sind. Gleichzeitig führt der demographische Wandel dazu, dass neue Engagement-For-

men geschaffen werden können. Diese neuen Engagement-Formen sprechen die Bedürf-

nisse der älteren Menschen an, was die Frage aufwirft, wie die junge Generation ange-

sprochen werden kann. Der Zeitgeist setzt der Freiwilligenarbeit ebenfalls zu durch er-

höhte Arbeitsanforderungen in der Erwerbsarbeit. Durch den stetig steigenden Flexibili-

tätsdruck wird zusätzliches freiwilliges Engagement ausgebremst. Die zunehmenden An-

gebote von Engagement-Formen sind zwar attraktiv für Interessierte, erhöhen aber den

Konkurrenz-Druck unter den Organisationen (Lehman, 2016).

Benevol Zug (2022), die Dachorganisation der regionalen Fachstellen für freiwilliges

Engagement in der Deutschschweiz, gehen sogar so weit zu sagen, dass Freiwilligenar-

beit Milliarden Wert ist, und ohne sie vieles in der Schweiz stillstehen würde. Rund 1.2 Mil-

lionen Personen führten im Jahr 2020 eine unbezahlte Tätigkeit bei Organisationen, Verei-

nen oder öffentlichen Institutionen in der Schweiz aus. Dies bereits ab einem Alter von 15

Jahren. In einer am 30. November 2021 veröffentlichten Studie des Bundesamts für Statis-

tik wurde ein Rückgang der Freiwilligenarbeit von 19.5 % auf 15.9 % festgestellt. Gleich-

zeitig gaben 16 % der Befragten an, dass sie uneingeschränkt bereit wären, sich in einer

Organisation oder einem Verein freiwillig zu engagieren. Benevol Zug (2022) gelangten

zum Fazit, dass viele Menschen sich engagieren wollen, das Problem liegt aber darin,

dass sie nicht wissen wo und wie .

Die Rolle der jungen Erwachsenen beziehungsweise Jugendlichen ist entscheidend

für die Zukunft der Freiwilligenarbeit. So gilt es, diese Generation besser zu verstehen. Im

Jahr 2022 betrifft dies die Generation Z, was die Jahrgänge 1995 bis 2010 betrifft. Zum

Zweck dieser Arbeit wurden nachfolgend einige Aspekte der Generation Z aus verschiede-

nen Studien zusammengetragen. Die Analyse ist nicht abschliessend.

PricewaterhouseCoopers hat 2020 eine Studie zur Generation Z veröffentlicht. Sie

kamen zum Ergebnis, dass sich diese Altersgruppe besonders häufig mit dem eigenen

Wohlbefinden und der eigenen Gesundheit auseinandersetzt. Die eigenen Gesundheitsda-

ten überprüfen 44 % über eine App auf dem Smartphone. Apps und digitale Produkte

müssen praktisch angelegt sein, damit sie den Anforderungen der Generation Z entspre-

chen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Individualisierbarkeit der Produkte, sodass sie ih-

ren Bedürfnissen und Wünschen entsprechen. Nachhaltigkeit ist ebenfalls ein wichtiger

Bestandteil der Bedürfnisse der jungen Generation. Zusammenfassend hält die Studie

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 5

fest, dass die Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren sehr gesundheitsbewusst ist und Nach-

haltigkeit eine wichtige Rolle spielt (PricewaterhouseCoopers, 2020) Dies alles in einer zu-

nehmend digitalen Welt.

Die vodafone-Stiftung hat im April 2022 eine Studie zum Thema «Wie junge Men-

schen die Politik in Deutschland und die Vertretung ihrer Interessen wahrnehmen» heraus-

gegeben (Börsch-Supan et al., 2022). Jugendliche im Alter von 14 bis 24 Jahren wurden

befragt ( n = 2124). 86 % gaben an, dass sie sich Sorgen um die Zukunft machen. Künfti-

gen Generationen würde es «etwas schlechter» oder «viel schlechter» gehen, gaben 58 %

an. Dass in 30 Jahren Menschen aufgrund Nationalität, Hautfarbe, Religion oder Gender

nicht mehr benachteiligt werden, schätzten 39 % als wahrscheinlich ein (Börsch-Supan et

al., 2022).

Die Generation Z scheint pessimistisch in die Zukunft zu schauen. Entscheidend ist,

ob und wie sie Initiative ergreifen und sich engagieren – für ganz allgemeine Themen und

die Freiwilligenarbeit.

In den oben erwähnten Studien wurde auf die Generation Z verwiesen. Im weiteren

Verlauf der Arbeit referenziert «junge Menschen» und «Menschen im Alter von 14 bis 29

Jahren» im Allgemeinen auf diese(s) Alter(spanne) und nicht per se die Generation Z.

Relevante Umfeldbedingungen von SAM global

SAM global ist als Non-Profit-Organisation nicht den exakt gleichen «Wettbewerbs-

kräften» ausgesetzt wie ein profitorientiertes Unternehmen. Trotzdem scheint es sinnvoll,

das Modell der «Fünf Wettbewerbskräfte» von Michael E. Porter für die Analyse der Um-

weltbedingungen anzuwenden. Das Model ist ein Hilfsmittel zur Strategieanalyse in der

unternehmerischen Planung. Zum Zweck dieser Arbeit wurden die fünf Kräfte in Abbildung

1 auf SAM global angepasst.

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 6

Abbildung 1

Fünf Wettbewerbskräfte in Anlehnung an Porter (1998)

Die Mitarbeitenden im Ausland stellen bei SAM global die Verhandlungsstärke der

Lieferanten dar. Ihre erbrachte Arbeit stellt sicher, dass SAM global dem Zweck ihrer Ar-

beit nachgehen kann. Eine weitere verhandlungsstarke Position haben die Spendenden.

Durch sie wird sichergestellt, dass SAM global über genügend Finanzen verfügt. Dank ih-

rer treuen und grosszügigen Spenden kann SAM global schon seit 1889 bestehen. Eine

weitere Verhandlungsmacht haben die Dachverbände/Institutionen. Durch die Mitglied-

schaft ist SAM global an gewisse Standards und Vorschriften gebunden. Gleichzeitig er-

hält SAM global dadurch Gütesiegel, die Vertrauen bei den Spendenden und Mitarbeiten-

den generieren. Als Substitute kann man die Möglichkeiten zur Freiwilligenarbeit in der

Schweiz bezeichnen. Potenzielle Mitarbeitende können sich auch in der Schweiz sinnvoll

engagieren. Der Vorteil dabei ist, dass die Familie in der Nähe ist und somit das Leben in

der Schweiz nicht aufgegeben werden muss. Aufgrund der Vertrauensbasis, die zu Spen-

denden und Begünstigten geschaffen werden muss, schätzt SAM global die Bedrohung

durch potenzielle Wettbewerber eher gering ein. Die weit grössere Bedrohung ist der Wett-

bewerb unter den bereits bestehenden Mitbewerbern. Auch diese können auf lange Beste-

hensgeschichten zurückblicken und auf die Treue ihrer Mitarbeitenden zählen. Dies ist

nicht schlecht, da alle einen Teil zur Entwicklungszusammenarbeit beitragen. Trotzdem

sind die Mitbewerber nicht zu unterschätzen und stetiges Weiterentwickeln und Erkennen

der Bedürfnisse potenzieller freiwilliger Mitarbeitender notwendig.

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 7

Aufgrund der vielen verschiedenen Modelle, Freiwilligenarbeit zu gestalten, lässt

sich die allgemeine Lage der Branche der NGOs/ Organisationen nicht tiefer analysieren.

Begriffsdefinitionen

Zum besseren Verständnis, zur Einfachheit und zur Abgrenzung werden nachfol-

gend diverse Begriffe definiert.

Gemäss Freund (2019) gibt es viele verwendete Begriffe und Definitionen für das

Feld des Freiwilligenengagements. Beispielsweise bürgerschaftliches Engagement, Frei-

willigenarbeit, frei-gemeinnützige Tätigkeit oder Ehrenamt. Da diese Begriffe die grosse

Bandbreite der Formen des Engagements widerspiegeln, wird stellvertretend der Begriff

Freiwilligenarbeit verwendet.

Bei SAM global gibt es verschiedene Möglichkeiten, Freiwilligenarbeit zu leisten. Ein

Einsatz, der ab einem Monat bis zwölf Monate möglich ist, wird bei SAM global als Kurzzeit-

einsatz bezeichnet. Da die meisten «jungen Menschen» einen solchen leisten, referenziert

Einsatz/Freiwilligenarbeit in dieser Arbeit auf diese Dauer – in Verbindung mit SAM global.

Damit sich ein Kurzzeiteinsatz nicht nur für den/die Einsatzleistende/n lohnt, sondern auch

für die Begünstigten einen nachhaltigen Nutzen bringt, wird durchschnittlich eine Einsatz-

dauer von mindestens 6 Monaten empfohlen.

Ist-Zustand SAM global bezüglich der Problemstellung und Fragestellung

SAM global ist darauf spezialisiert, Bildung in elf verschiedenen Ländern ganzheit-

lich zu vermitteln. Mit Einsatzleistenden, die Fach- und Praxiswissen weitergeben und an-

wenden, können die einheimischen Mitarbeitenden und Bewohner/innen nachhaltig ge-

schult und ausgebildet werden. Das Ziel ist, dass lokale Mitarbeitende beziehungsweise

Schüler/innen und Lernende das Gelernte wiederum weitergeben können, damit das Wis-

sen multipliziert wird.

SAM global hat sich auf Länder spezialisiert, die einen sehr niedrigen Human Deve-

lopment Index aufweisen. Das heisst, dass der Entwicklungsstand eines Einsatzlandes

aufgrund Lebenserwartung, Ausbildung und Kaufkraft sehr niedrig ist. Mit der Anwesenheit

westlicher Einsatzleistenden wurden insbesondere im Hinblick auf die Qualitätssicherung

in diesen Ländern sehr gute Erfahrungen gemacht.

Das Wissen der qualifizierten Einsatzleistenden wird unter anderem an lokale Perso-

nen in Leitungsfunktionen weitergegeben. Dies mit dem Ziel, dass das Projekt an einem

gewissen Punkt an die Einheimischen übergeben werden kann.

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 8

Einsatzleistende zu finden, wird zunehmend schwieriger. Immer weniger Familien

und Singles beziehungsweise junge Menschen wollen für einen Freiwilligeneinsatz ins

Ausland reisen. Zusätzlich kommen langjährige Mitarbeitende (seit über zehn Jahren im

Einsatz) zurück in die Schweiz und verlassen SAM global.

Die letzten 133 Jahre konnte SAM global auf bewährte Strategien und Massnahmen

zurückgreifen, um Personal zu finden. Auf die bekannten Kontakte konnte sich SAM global

verlassen. Die Digitalisierung und der Zeitgeist sind da eine grosse Herausforderung. Die-

ser schnelle Wandel wird auch als VUCA bezeichnet. VUCA steht für volatil, unsicher,

komplex und mehrdeutig. Sich in der VUCA-Welt als langjähriges und bewährtes Non-Pro-

fit-Unternehmen zurechtzufinden, ist ein grosser herausfordernder Schritt. Da die Zahlen

der aktuellen Mitarbeitenden und Bewerbenden einen klaren Rückgang verzeichnen, wie

Abbildung 2 zu entnehmen ist, ist aktives und zeitnahes Handeln unumgänglich.

Abbildung 2

Mitarbeitende SAM global 2017-2021, Jahresbericht SAM global (2022)

**

** Hauptbüro in Winterthur

Durch die vielfältige Veränderung der Gesellschaft haben sich auch die gesellschaft-

lichen Rahmenbedingungen für die Freiwilligenarbeit gewandelt. Themen wie die Individu-

alisierung, die demografische Entwicklung sowie die Verdichtung von Schul- und Studien-

zeiten beeinflussen die Freiwilligenarbeit sondergleichen (Beher et al., 2000). Wie in diver-

sen Studien festgestellt wurde, haben sich Motivationen, Arten und Formen sowie die

Dauer der Freiwilligenarbeit verändert (Anheiner, & Salamon, 1999). Viele Menschen

möchten sich entsprechend ihres Lebensabschnitts und der individuellen Motive für die

Themen engagieren, die für sie eine hohe persönliche Wichtigkeit aufweisen (Freund,

2019). Gemäss Anheiner und Salomon (1999) ist auf diese Entwicklung die Dauer der

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 9

Freiwilligenarbeit zurückzuführen. Entsprechend werden kürzere themen- und projektbe-

zogene Einsätze durchgeführt.

Gemäss Gensicke und Geiss (2010) wird die klassische Freiwilligenarbeit innerhalb

von Organisationen ausgeübt, was sogleich einen Hinweis auf die nötigen Rahmenbedin-

gungen liefert. Es gilt dabei insofern von der Erwerbsarbeit zu unterscheiden, als das die

Bedeutsamkeit der Tätigkeit, die Sinngenerierung, die Generativität und die Anerkennung

für den Freiwilligeneinsatz kennzeichnend sind (Wehner & Güntert, 2015). Zusätzlich wei-

sen Wehner und Güntert (2015) darauf hin, dass die oben erwähnten Faktoren wichtig

sind für die Gestaltung des Freiwilligeneinsatzes. Sie haben festgestellt, dass das organi-

sationale Commitment gegenüber Freiwilligenorganisationen stärker als zu einer Arbeits-

organisation und zusätzlich mehr emotional und wertorientiert ist. Ob sich diese Befunde

auch für SAM global bestätigen würden, lässt sich nicht sagen, da SAM global Freiwilli-

genorganisation und Arbeitsorganisation in einem ist. Zusätzlich lassen sich folgende Fak-

toren für die Rahmenbedingungen als wichtig identifizieren (Freund, 2019):

1. Autonomieunterstützender Führungsstil

2. Anerkennung durch die Organisation und das persönliche Umfeld

3. Unterstützung durch die Organisation

4. Organisationale Gerechtigkeit

5. Wertbezogenheit

Gemäss Haski-Leventhal und Bargal (2008) ist es entscheidend, dass die Werte des

Individuums und der Organisation übereinstimmen, damit die Werteausdrucksfunktion er-

füllt wird. Diese wird dann erfüllt, wenn Einstellungen dazu beitragen, dass Wertvorstellun-

gen zum Ausdruck gebracht werden.

Die Bedeutsamkeit der Aufgaben haben gemäss Wehner und Güntert (2015) einen

massgeblichen Einfluss auf die Zufriedenheit der Einsatzleistenden. Sind die Aufgaben zu-

sätzlich vielfältig, trägt dies zum positiven Erleben der Freiwilligenarbeit bei (Wehner &

Güntert, 2015).

Nordstrom et al. (2021) weisen darauf hin, dass zur Überzeugung der Zielgruppe

das kommunizierte Problem/Bedürfnis so ernst sein muss, dass eine Handlung folgen

muss. Gleichzeitig buhlen mehrere Organisationen um die Aufmerksamkeit der gleichen

Zielgruppe, den potenziellen Einsatzleistenden. Daher müssen sie überzeugt werden,

dass das explizite Problem das Wichtigste ist. Zusätzlich muss das verwendete Vokabular

bekräftigen, dass ihre Handlung eine Wirkung erzeugen kann. Was Nordstrom et al.

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 10

(2021) offenlassen, ist, ob der Lösungsansatz der Organisation ebenfalls eine wichtige

Rolle in der Überzeugung spielt.

Jardim und Marques da Silva (2018) halten fest, dass Jugendliche am stärksten von

den Konsequenzen des gesellschaftlichen Wandels betroffen sind. Als Reaktion auf diese

Bedingungen leisten sie dann zum Beispiel freiwillige Arbeit. Ein Hauptgrund dieser Reak-

tion sehen sie im individuellen Nutzen für das persönliche und berufliche Leben. Die Frei-

willigenarbeit stellt sich als eine Möglichkeit heraus, den anhaltenden Herausforderungen

und Zwängen der Gesellschaft zu entkommen und sie zu überwinden. Drei Resultate fas-

sen Jardim und Marques da Silva (2018) als Motivationsgründe für Jugendliche zusam-

men. Die Freiwilligenarbeit als Ausweg aus Arbeitslosigkeit und Unsicherheit, Freiwilligen-

arbeit als Chance für die Entwicklung von Fähigkeiten und zur Bereicherung des Lehr-

plans und Freiwilligenarbeit als Gelegenheit zum Reisen und zum Kennenlernen von Men-

schen aus anderen Kulturkreisen. Insbesondere Zweiteres und Dritteres könnte für SAM

global spannend für die Überzeugung junger Menschen sein.

Darstellung der wissenschaftlich-theoretischen Grundlagen

Um die Fragestellung fundiert zu beantworten, wird im folgenden Kapitel auf die wis-

senschaftlich-theoretischen Grundlagen näher eingegangen.

Bedingungen für einen Freiwilligeneinsatz und der Einfluss des Wertewandels

Freiwilligeneinsätze sind nicht nur für eine Gesellschaft von Bedeutung, das Indivi-

duum profitiert selbst ebenfalls. Wie Wehner et al. (2018) festgestellt haben, wird die Iden-

tität durch Spass , Anerkennung und Impulse während des Freiwilligeneinsatzes geprägt.

Dies wiederum sind gute Voraussetzungen für die Wahl eines Freiwilligeneinsatzes, wie in

Studien festgestellt wurde (Freund, 2019). Denn die Bedeutsamkeit der Tätigkeit, Sinnge-

nerierung, Generativität und Anerkennung sind wichtige Faktoren für das Ausüben der

Freiwilligenarbeit (Wehner & Güntert, 2015). Das Erleben von Sinn und die Wertebasiert-

heit in der Freiwilligenarbeit werden als hohe psychologische Qualität und Merkmale ge-

nannt (Studer & von Schnurbein, 2012).

Wie Grosse (2006) schreibt, hat während der letzten Jahrzehnte ein Wertewandel in

reichen Gesellschaften stattgefunden. Pflicht- und gemeinschaftsbezogene Werthaltungen

haben abgenommen, individuell-hedonistische hingegen haben zugenommen. Hedonisti-

sche Lebensweisen werden als eher egoistisch betrachtet. Diese Werthaltungen erheben

den Anspruch auf Autonomie, Selbstentfaltung und mehr Lebensqualität. In Situationen,

wo sich Menschen für oder gegen eine Tätigkeit entscheiden können, wirkt sich dieser

Wandel gemäss Grosse (2006) besonders stark aus. Gleichzeitig haben empirische

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 11

Studien gezeigt, dass diese Entwicklungen weder soziale Verantwortung noch freiwilliges

Engagement ausschliessen.

Freund (2019) beschreibt den Wertewandel hin zu einer grösseren Individualisierung

und einer Auflösung von traditionellen Milieus, einer gesteigerten beruflichen Mobilität wie

Flexibilität und einer Verdichtung der Schul- und Studienzeiten. Das konsumorientierte

Freizeitverhalten hat zusätzlich zu den erstgenannten Faktoren einen gravierenden Ein-

fluss auf die Freiwilligenarbeit (Freund, 2019). Dieser Wertewandel führt dazu, dass Frei-

willigenarbeit weniger langfristig ausgelegt ist und eher themen- und projektbasiert, geleis-

tet wird. So wurde zusätzlich festgestellt, dass spontane und projektgebundene Engage-

ments an Bedeutung gewinnen. Eigenverantwortung, Gestaltungsmöglichkeiten sowie Fle-

xibilität in der freiwilligen Tätigkeit werden zunehmend gewünscht.

Furrer (2009) weist darauf hin, dass der Wertewandel wohl einen Einfluss hat, je-

doch auch noch andere Faktoren einen Einfluss auf das veränderte Verhalten in Bezug

auf Freiwilligenarbeit haben, beispielsweise die zunehmende Flexibilisierung der Erwerbs-

tätigkeit und der damit verbundenen erschwerten langfristigen Planbarkeit der individuellen

Ressourcen. So scheint weniger der Wertewandel an sich für die Veränderung zu sorgen,

vielmehr ist es ein Perspektivenwechsel, der stattfindet und einen Einfluss hat.

Damit auch in Zukunft Freiwilligenarbeit geleistet wird, muss gemäss Furrer (2009)

auf diesen Wandel eingegangen werden und das Angebot an die neuen Bedingungen und

Bedürfnisse angepasst.

Somit gilt es, entsprechende Werthaltungen zu verstehen. Wie Huxhold und Müller

(2016) festgehalten haben, wirken Werte allgemeiner als Motive. Menschen richten an

Werten situationsübergreifend ihre Handlungen aus. So zeigen sie sich in mehr oder weni-

ger konkreten Zielen und Verhaltensweisen und ordnen diese in gut und schlecht ein.

Werte enthalten zudem eine normative Komponente und werden durch verschiedene Kul-

turen und Institutionen unterschiedlich vermittelt und geformt.

In Tabelle 1 sind Werthaltungen zusammengefasst, die gemäss Huxhold und Müller

(2016) einen grossen Einfluss auf den Entscheid und der Beibehaltung des freiwilligen En-

gagements haben:

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 12

Tabelle 1

Werthaltungen und Engagement nach Huxhold und Müller (2016)

Werthaltung

Engagement

Solidarität

Engagement wird häufiger ausgeführt; Unterschiede hinsichtlich Bildung und

finanziellen, sozialen und gesundheitlichen Ressourcen

Kreativität

Engagement wird häufiger ausgeführt; Bildung und finanziellen, sozialen und

gesundheitlichen Ressourcen sind davon unabhängig

Sicherheit

Engagement wird seltener ausgeführt; Bildung und finanziellen, sozialen und

gesundheitlichen Ressourcen sind davon unabhängig

Picot (2012) stellte fest, dass die Werthaltung weniger wichtig dafür ist, ob sich Ju-

gendliche freiwillig engagieren. Zu diesem Fazit sind auch Huxhold und Müller (2016) ge-

langt. Sie stellten fest, dass Werthaltungen von Menschen im Alter zwischen 14 und 29

Jahren schwach mit einem freiwilligen Engagement zusammenhängen. Gelegenheiten,

die über das soziale Netz an sie herangetragen werden, wirken hingegen stark auf den

Entscheid. Motivlagen wie das Bedürfnis, Teil einer Gruppe zu sein, können ebenfalls

stark einwirken. Sozialstrukturelle Merkmale seien für die tatsächliche Entscheidung aus-

schlaggebend. Das heisst zentral für die Entscheidung ist, warum und wo sie sich potenzi-

ell engagieren. Interessanterweise könne das Engagement in diesem Alter auf die Wert-

haltungen einen Einfluss haben, da diese individuellen Werthaltungen noch nicht ab-

schliessend geformt sind (Huxhold & Müller, 2016).

Was junge Menschen motivieren kann

Motive werden gemäss Huxhold und Müller (2016) häufig als Begründungen für eine

konkrete Verhaltensweise angesehen. Wehner et al. (2018) zitieren den freiwilligen Survey

(FWS, 2019) folgendermassen, bei dem abgefragt wurde, warum Freiwilligenarbeit geleis-

tet wird:

Freiwillige Arbeit erfolgt 2014 zu 47 % aus Eigeninitiative, deren Anteil liegt deutlich

höher als 1999 (damals 39 %). Bei den Motiven überwiegt ganz klar das „Spass ha-

ben“ (80 % stimmen voll und ganz zu). Danach folgen Motive des Gemeinsinns: „mit

anderen Menschen zusammenkommen“, „Gesellschaft mitgestalten“, „mit anderen

Generationen zusammenkomm en“ (je etwa 60 % volle Zustimmung). Instrumentelle

Motive wie „Qualifikationen erwerben“ (34 %), „Ansehen und Einfluss gewinnen“ (15

%) oder „beruflich vorankommen“ (15 %) spielen keine unbedeutende, aber eine un-

tergeordnete Rolle. Aus dem FWS lässt sich schliessen, dass es der Gemeinsinn

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 13

der Freiwilligen ist, der das stärkste motivierende Moment entfaltet. Dies gilt es zu

betonen, weil üblicherweise die Motivation von Freiwilligen im Altruismus oder ver-

meintlichen Egoismus der Freiwilligen vermutet wird.

Es wirken aber weit mehr als Motive, damit es zu Freiwilligenarbeit kommt. Wie

Clary et al. (1998) herausgefunden haben, erfüllt der gleiche Freiwilligeneinsatz für ver-

schiedene Personen unterschiedliche Funktionen. Zu dieser Erkenntnis kamen sie auf-

grund der Einstellungsforschung zur Frage der Funktion der Einstellung in Bezug auf Frei-

willigeneinsätze (Katz, 1960). Mehrere Funktionen weisen in unterschiedlicher Gewichtung

Relevanz auf. So wird die Freiwilligenarbeit als multifunktional beschrieben, da wohl altru-

istische sowie egoistische Motive wirken (Oostlander et al., 2015). Clary et al. (1998) ha-

ben sechs Funktionen identifiziert, die Freiwilligenarbeit erfüllen kann, wie Tabelle 2 zu

entnehmen ist:

Tabelle 2

Sechs Funktionen Freiwilligeneinsatz, in Anlehnung an Clary et al. (1998)

Funktion

Beschreibung

Erfahrungsfunktion

Erwerb von Wissen und Erfahrung über andere Menschen, Situationen und

sich selbst, sowie neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten

Karrierefunktion

Erwerb von Vorteilen für Beruf und Karriere

Schutzfunktion

Vermeidung von negativen Emotionen und Selbstzuschreibungen wie

Schuldgefühlen

Selbstwerterhöhungs-

Verbesserung des Selbstwertgefühls

funktion

Sozialfunktion

Eingebundenheit in eine wichtige Gruppe

Wertefunktion

Ausdruck persönlicher, altruistischer oder humanistischer Wertvorstellungen

Je nach Tätigkeit, Feld, Zielgruppe oder Stichprobe kann Freiwilligenarbeit weitere

Funktionen erfüllen (Freund, 2019). Folgende Funktionen erwiesen sich als sinnvolle Er-

weiterung:

1. Soziale Gerechtigkeit fördern

2. Soziale und politische Verantwortung übernehmen

In empirischen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass Freiwillige zufriedener sind,

wenn die Funktionen, die ihnen wichtig sind, bei der Freiwilligenarbeit befriedigt werden.

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 14

Nur ähnliche beziehungsweise weniger wichtige Funktionen abzudecken, reicht gemäss

Clary et al. (1998) nicht. Wie Wehner und Güntert, 2015 herausgefunden haben, erweist

sich zusätzlich die Erlebnisfunktion bei jüngeren und kurzfristig Engagierten als wesent-

lich. Somit wird das Problem der Dichotomie von Altruismus und Egoismus überwunden.

Dieser funktionale Ansatz von Clary et al. (1998) wurde aufgrund der losen theoreti-

schen Fundierung der Funktionen kritisiert. Für eine ausführliche Diskussion der Kritik wird

auf Clary et al. (1998) verwiesen.

Zusätzlich und abschliessend wird darauf hingewiesen, dass Freiwilligenarbeit inner-

halb der psychologischen Forschungsparadigmas lange als spezifische Form pro-sozialen

Verhaltens verstanden wurde. Jedoch konzentrierte sich die Forschung zu prosozialem

Verhalten vermehrt auf spontanes Hilfeverhalten, was von der Freiwilligenarbeit klar abzu-

grenzen ist (Bierhoff, 2009).

Entscheidend für die Dauer und Häufigkeit eines Freiwilligeneinsatzes

Wie Davis et al., (2003) festgestellt haben, kann Zufriedenheit die Zahl der geleiste-

ten Stunden vorhersagen, nicht aber die längerfristige Dauer der Freiwilligenarbeit.

Chacón et al. (2007) nehmen an, dass Zufriedenheit vor allem zu Beginn entscheidend für

das Weiterführen der Freiwilligenarbeit ist. Zu wichtigen Befunden kamen Chacón et al.

(2007). Sie fanden heraus, dass das organisationale Commitment zusammen mit der Rol-

lenidentität wichtige Variablen für die Dauer eines Einsatzes sind. Kelle et al. (2021) halten

fest, dass die zeitliche Einbindung in die Freiwilligenarbeit stark mit den persönlichen Le-

bensumständen, der Lebensphase und den Anknüpfungspunkten für die Freiwilligenarbeit

zusammenhängen. Geschlecht, Alter, Bildung und Familien- und Berufs-leben spielen da

eine wichtige Rolle. Auch die Lebensphase ist entscheidend für die zeitliche Gestaltung.

Eine höhere zeitliche Einbindung in die Freiwilligenarbeit lässt sich für Personen, die sich

noch in der schulischen oder beruflichen Ausbildung befinden, erwarten (Simonson et al.,

2021). Wie Alscher et al. (2021) herausfanden, hat jeder zweite Verein Schwierigkeiten,

Engagierte für längerfristige Einsätze zu finden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die oben erwähnten Ergebnisse sich

zwar auf Freiwilligenarbeit im Heimatland beziehen, ein allgemeiner Wandel der Zeit-ver-

wendung dennoch ganzheitlich festzustellen ist. So wird angenommen, dass dies auch auf

Organisationen, die im Ausland tätig sind, zutrifft.

Nachfolgend eine Übersicht in der Abbildung 3 zu genannten Gründen, weshalb Frei-

willigenarbeit nicht geleistet wird (Arriagada & Karnick, 2021):

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 15

Abbildung 3

Hinderungsgründe Freiwilligenarbeit, (Arriagada & Karnick, 2021)

Basis: bislang noch nie engagierte Personen ( n =8526-8639) Mehrfachnennungen möglich

Interessanterweise werden berufliche Gründe am häufigsten als Beendigungsgründe

genannt. Bei den 14-29-Jährigen waren es 43,7 % der ehemalig Engagierten, die aus be-

ruflichen Gründen die Freiwilligenarbeit beendeten (Arriagada & Karnick, 2021).

Menschen im Jugendalter und frühen Erwachsenenalter verstehen

In der Entwicklungspsychologie werden die unterschiedlichen Lebensphasen des

Menschen unterteilt. Wie sich Individuen in diesen Phasen (weiter)entwickeln, sind sich

die Forschenden bis heute noch nicht einig. Havinghurst, ein Erziehungswissenschaftler

und Soziologe, hat 1981 Lebensabschnitte in neun Phasen eingeteilt und entsprechende

Entwicklungsaufgaben zugeteilt. Eine Entwicklungsaufgabe ist nach Havinghurst (1981)

eine Aufgabe, die in einem bestimmten Lebensabschnitt des Individuums entsteht,

deren erfolgreiche Bewältigung zu dessen Zufriedenheit und Erfolg bei der Lösung

nachfolgender Aufgaben beiträgt, während ein Misslingen zu Unglücklichsein des In-

dividuums, zu Missbilligung seitens der Gesellschaft und Schwierigkeiten mit späte-

ren Aufgaben führt.

Somit erstrecken sich die Entwicklungsaufgaben über das ganze Leben.

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 16

Wie Leven (2017) festgehalten hat, hat sich die Lebensphase Jugend (von etwa 12

bis 18 Jahren) seit ihrer Erfindung Mitte des 19. Jahrhunderts zeitlich ausgedehnt. Durch

die Industrialisierung und die damit verbundene Komplexität im Alltag, werden die not-

wendigen Fertigkeiten in der Schule und der Berufsausbildung vermittelt. Somit wird die

nachwachsende Generation länger vom Arbeitsleben freigestellt und widmet sich länger

einer Ausbildung. Wie Havinghurst (1981) postulierte, haben Heranwachsende in ihrer Ju-

gendphase folgende Entwicklungsaufgaben zu bewältigen:

1. Aufbau neuer und reifer Beziehungen zu Gleichaltrigen des eigenen und an-

deren Geschlechts

2. Übernahme der männlichen bzw. weiblichen Geschlechtsrolle

3. Akzeptieren des eigenen Körpers und dessen effektive Nutzung

4. Loslösung und emotionale Unabhängigkeit von den Eltern und anderen Er-

wachsenen

5. Ökonomische Unabhängigkeit

6. Berufswahl und -ausbildung

7. Vorbereitung auf Heirat und Familienleben

8. Erwerb intellektueller Fähigkeiten, um eigene Rechte und Pflichten ausüben

zu können

9. Entwicklung sozialverantwortlichen Verhaltens

10. Erlangen von Werten und eines ethischen Systems, das einen Leitfaden für

das eigene Verhalten darstellt

Diese Entwicklungsaufgaben haben sich gemäss Leven (2017) im Vergleich zu vo-

rangegangenen Jugendgenerationen nicht gewandelt. Es sei die Art und Weise, wie die

Jugendlichen diese Entwicklungsaufgaben wahrnehmen und bewältigen, die sich verän-

dert hat. Das gesellschaftliche Umfeld hat ebenso einen Wandel durchgemacht und beein-

flusst so das Wahrnehmen der Entwicklungsaufgaben der Jugendlichen. Leven (2017)

geht so weit, dass er von einer Verkürzung der Lebensphase Jugend spricht. Somit wird

Jugendlichen weniger Zeit eingeräumt, um die Entwicklungsaufgabe der Qualifikation zu

bewältigen.

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 17

Abbildung 4

Verkürzung der Lebensphase Jugend, (Leven 2017)

In dieser verkürzten Jugendphase (Abbildung 4) ergeben sich gemäss Leven (2017)

Chancen für Organisationen, die auf Jugendliche in der Freiwilligenarbeit angewiesen

sind. Durch die hohe Anerkennung der Freiwilligenarbeit in der Gesellschaft, werden diese

Zeiten im Lebenslauf nicht als Lücke angesehen. So ermöglicht die Freiwilligenarbeit eine

wertvolle Orientierung für die Jugendlichen, was sie in ihrem Leben beziehungsweise aus

ihrem Leben machen wollen.

Gleichzeitig gilt es, die Phase des frühen Erwachsenenalters zu betrachten. In die-

sem Lebensabschnitt, etwa von 18 bis 30 Jahren, fallen folgende Entwicklungsaufgaben

an:

1. Lebenspartner/in finden

2. Mit dem/der Partner/in zusammenleben lernen

3. Gründen einer Familie

4. Kinder aufziehen

5. Ein Zuhause für die Familie schaffen

6. Berufseinstieg

7. Gesellschaftliche Verantwortung übernehmen

8. Aufbau einer gemeinsamen sozialen Gruppe (mit dem/der Lebenspartner/in)

Junge Menschen und Freiwilligenarbeit, 18

Mit dem Wissen, dass sich die Lebensphase Jugend verkürzt und somit die Lebens-

phase frühes Erwachsenenalter früher eintritt, ergeben sich neue Chancen für die Freiwilli-

genarbeit. Beispielsweise aufgrund der Entwicklungsaufgaben Berufseinstieg und Gesell-

schaftliche Verantwortung übernehmen .

Nordstrom et al. (2021) führten eine Studie zu «Was es braucht, um Jugendliche

zu inspirieren sich ehrenamtlich zu engagieren» durch. Sie fanden heraus, dass Jugendli-

che zwar häufig von Non-Profit-Organisationen inspiriert sind, häufig aber nicht inspiriert

werden zu handeln. Was interessant ist, dass viele der Jugendlichen angaben, dass sie

nicht wussten, wie sie sich einsetzen konnten. Sie schätzen ihre Wirkung als zu gering ein.

Nach einem Praktikum, wo man konkrete Wirkungsmöglichkeiten aufzeigte, schätzen sie

ihre Wirkung anders ein und gaben an, dass sie sich engagieren würden. Nordstrom et al.

(2021) fassen ihre Erkenntnisse der qualitativen Studie in fünf Praktiken zusammen, die

einen Motivationsrahmen kultivieren, der zum Handeln anregt:

1. Jugendliche richtig ausstatten

2. Sichere Beziehungsräume schaffen

3. Reflektieren

4. Privilegien aufdecken

5. Vereinfachen

Wie diese fünf Praktiken im Detail auszuführen sind, kann Nordstrom et al. (2021) entnom-

men werden.

Theorien, die das Zielverhalten erklären können

Die Psychologie befasst sich mit dem Verstehen von menschlichem Verhalten. Somit

bietet sie verschiedene Theorien zu Erklärung an. Nachfolgend werden auf zwei Ausge-

wählte, die für diese Arbeit als zentral erachtet werden, eingegangen.

Theorie des geplanten Verhaltens

Die Einstellung findet, wie im funktionalen Ansatz, auch in dem Erklärungsansatz der

Theorie des geplanten Verhaltens (TPB) von Ajzen (1991) ihre Wichtigkeit. Wie die TPB

aufgebaut ist, ist auf Abbildung 5 ersichtlich.

Page 1 Page 2 Page 3 Page 4 Page 5 Page 6 Page 7 Page 8 Page 9 Page 10 Page 11 Page 12 Page 13 Page 14 Page 15 Page 16 Page 17 Page 18 Page 19 Page 20 Page 21 Page 22 Page 23 Page 24 Page 25 Page 26 Page 27 Page 28 Page 29 Page 30 Page 31 Page 32 Page 33 Page 34 Page 35 Page 36 Page 37

Made with FlippingBook - professional solution for displaying marketing and sales documents online