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Udo Kandler
1945 bis 1955 AUFBRUCH IN EINE NEUE ZEIT Auf dem Weg zur Bundesbahn
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Als die Politprominenz noch per Bahn reiste: Konrad Ade- nauer (1876 - 1967) war der erste Bundeskanzler (1949 - 1963) der Bundesrepublik Deutschland. Der Wiederauf- bau Westdeutschlands ist un- trennbar mit seinem Namen verbunden, er war die prä- gende Persönlichkeit der Gründerjahre. Hier sehen wir ihn sichtlich frohgestimmt, wie er aus dem ihm für seine Reisen fest zugewiesenen Sa- lonwagen „10205 Köl“ einen Blick nach draußen wirft. Ne- benbei bemerkt steht der Sa- lonwagen heute als größtes Exponat im Museum Haus der Geschichte Bonn. Foto (1955): Ernst Below, Eisenbahnstiftung
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Vorwort
Vorwort Vor nunmehr 75 Jahren wurde die bis Ende 1993 existente Deutsche Bundesbahn ausgerufen. Am 8. Mai 2025 jährt sich zudem zum 80. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Beides historische Zäsuren der Zeitgeschichte, die einen Blick zurück nahelegen, auf jene Zeit gerichtet, als die Staatsbahn tatsächlich noch gesellschaftspolitisch unverzichtbare Aufgaben erfüllte. Man mag es sich nicht vorstellen wollen, was aus unserem Land nach den Kriegswirren ohne eine gut funktionierende Bahn geworden wäre… Obwohl die von den alliierten Bombardements verursachten Kriegsschäden bei der Bahn gewaltige Aus- maße angenommen hatten und mit der„Stunde Null“ für einen kurzen Augenblick die Räder tatsächlich stillstanden, gab es für die Eisenbahn dennoch keinen wirklichen Stillstand. Vielmehr hatte sie die enorme Last des Wiederaufbaus – gewissermaßen aus dem Stand heraus – zu meistern. Erwähnt sei die Herku- lesaufgabe der entschlossenen Instandsetzung der unzähligen zerstörten Bahnbrücken in Rekordzeit. Kriegsgefangenschaft, Hungerwinter, Hamsterfahrten, Mangelernährung, Schwarzmarkt, Trümmerfrauen und die ausgebombten Städte sind einige Schlaglichter der deutschen Kriegsgeschichte, die für die Kriegsgeneration prägend waren. Woher die Menschen bloß die Kraft schöpften, unter den schwierigen Zeitumständen bei all den Entbehrungen einen Neuanfang derart bravourös zu meistern. Der Inhalt dieses Titels ist auf ein Jahrzehnt Eisenbahngeschichte fixiert, wie sie spannender kaum sein könnte. Neben dem beharrlichen Wiederaufbau der Bahninfrastruktur wurde zugleich mit allerlei neuen Fahrzeugen der modernen Diesel- und Elektrotraktion der Strukturwandel vorangetrieben. Zugleich er- lebte die Dampftraktion mit den ab 1950 beschafften DB-Neubaudampfloks eine letzte Blüte. Zu den großen Ereignissen der ersten Nachkriegsdekade gehörte zuvorderst die „Heimkehr der Zehn- tausend“, als zehn Jahre nach Kriegsende ab Herbst 1955 die letzten Deutschen aus sowjetischer Kriegs- gefangenschaft zurückkehrten – sicherlich der emotionalste Moment in der Amtszeit des „Alten“, wie Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler (1949 - 1963) der Bundesrepublik Deutschland, schon zu Leb- zeiten genannt wurde. Möglich machten den vorliegenden Bildband mit seinen Fotos von authentischer Einmaligkeit maßgeb- lich die seinerzeit von den hauptamtlichen Direktionsfotografen der Deutschen Bundesbahn angefer- tigten (und erhalten gebliebenen) Aufnahmen, abgerundet durch das Bildmaterial weiterer Berufs- und Eisenbahnfotografen. Ein besonderer Dank geht an das Bildarchiv der Eisenbahnstiftung, namentlich an Joachim Bügel und Joachim Schmidt sowie die mit den Scanarbeiten betrauten Personen, auf deren En- gagement im Sinne der Wahrung alter Eisenbahnfotos der wesentliche Teil des Bildmaterials fußt. Aus- drücklich eingeschlossen sind darüber hinaus alle anderen Bildgeber.
Wachtberg, im August 2024 Udo Kandler
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Inhalt
Inhalt
Vorwort
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Kapitel 1 – Ein steiniger Weg
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Leben zwischen Zerstörung und Wiederaufbau
Kapitel 1.1 – Kohlenklau – aus der Not geboren
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Kapitel 1.2 – Hilfe für den Wiederaufbau
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Kapitel 1.3 – Berlin-Blockade
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Kapitel 1.4 – North-West Goodwill-Train
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Kapitel 2 – Jahre des Wiederaufbaus
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Beschwingtes Sommerglück anno dazumal: Kein anderer als Toni Schneiders, einer der profiliertesten Fotografen der deutschen Nachkriegszeit und anerkannter Meister der Schwarzweiß-Fotografie, inszenierte im Juli 1951 diese Szene treffsicher in der für ihn typi- schen Bildsprache. Schneiders, der 1938 in Koblenz seine Fotografenlehre mit der Meis- terprüfung erfolgreich beschloss, war wäh- rend des Zweiten Weltkriegs bei der Wehrmacht als Kriegsberichterstatter tätig. Nach dem Krieg ließ er sich als Fotograf re- spektive Fotojournalist zunächst in Meersburg und alsbald in Lindau (Bodensee) nieder. Folg- lich ist der Schauplatz des Schnappschusses nicht zufällig oberhalb von Lindau am Halte- punkt Schönau zu verorten, wo die beiden jungen Damen mit ihrem Fiat Topolino dann auch die Vorbeifahrt der gen München stre- benden 39 153 (Bw Lindau) fröhlich winkend abwarten. Foto: Sammlung Eisenbahnstiftung
Kapitel 3 – Unfallprävention mit Bildern
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Kapitel 4 – Auf Kollisionskurs
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Kapitel 5 – Schiene und Straße
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Kapitel 6 – Bahnausflüge
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Kapitel 7 – Auf kleiner Spur
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Kapitel 8 – Vorsicht an der Bahnsteigkante!
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Kapitel 9 – Der Beruf des Eisenbahners
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Kapitel 10 – Strukturierter Neuanfang
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Kapitel 11 – Doppelstock und Co.
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Kapitel 12 – Elektrobetrieb auf dem Vormarsch
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Kapitel 13 – Sanierungsbedarf ohne Ende
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Quellenverzeichnis – Bildnachweis – Impressum
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Kapitel 1 Ein steiniger Weg Leben zwischen Zerstörung und Wiederaufbau
Die Herausforderungen des Wiederaufbaus erforderten die Mobilisierung aller verfüg- baren Arbeitskräfte. Generell waren diese in den frühen Nachkriegsjahren nur sehr be- grenzt verfügbar. Viele deutsche Soldaten waren im Krieg gefallen oder waren auf- grund ihrer Verletzungen entweder gar nicht oder nur stark eingeschränkt arbeitsfähig. Auch kamen viele Soldaten ausgemergelt aus der Kriegsgefangenschaft zurück und mussten erst zu Kräften kommen, bevor sie für schwere körperliche Arbeit – wie sie beim Wiederaufbau der Bahn zur Genüge anfiel – überhaupt einsatzfähig waren. Hinzu kam die prekäre Versorgungslage der Bevölke-
rung. Die Kalorienzufuhr, besonders bei schwerer körperlicher Arbeit, war mitunter völlig unzureichend. Zugleich musste der darniederliegenden Reichsbahn eine neue Struktur gegeben werden, eine zuverlässige Bahn war für den erfolgreichen Wiederauf- bau des Landes von elementarer Bedeutung. Mit dem Neuanfang stand die Gesellschaft vor scheinbar unüberwindbaren Aufgaben. Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 hörte das nationalsozialistische Deutsche Reich de facto auf zu existieren – eine neue Zeitrech- nung nahm ihren Anfang. Ein Überblick über das Ausmaß der Zerstörung in den einzelnen
Eine bittere Bilanz! Die Zeit des Nationalsozialismus, von der Machtergreifung Hitlers bis zur bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht: Nach gut zwölf Jahren Gewaltherrschaft liegt Deutschland buchstäblich in Trüm- mern. Nach den schweren Bom- benangriffen vom 3. und 7. Januar sowie vom 13. März 1945 ging mit dem Einmarsch der Ame- rikaner am 20. März 1945 für Zweibrücken der Krieg zu Ende. Die Zerstörungen waren all- gegenwärtig, so auch in Zweibrü- cken Hbf, wo sich ein Soldat der US-Army auf der dort stehenden 95 002 oder 95 013 des Bw Zwei- brücken ablichten ließ. Foto: US-Army, Eisenbahnstiftung
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Kapitel 1 – Ein steiniger Weg
Am 7. April 1945 fügte die United States Air Force (USAF) mit insgesamt 268 Bombern der nördlich von Göttingen gelegenen Stadt Northeim mit ihren Bahnanlagen massive Schäden zu. Die tonnenschweren Dampfloks wurden teilweise von den Bomben regelrecht zerfetzt und wie Spielzeug durch die Luft geschleudert. Tiefe Bombenkrater lassen die mitunter gewaltigen Detonationen erahnen. Foto: US-Army, Sammlung Dr. Brian Rampp
Landesteilen sollte sich erst nach und nach einstellen. In den Städten verursachte der Bombenkrieg kaum in Worte zu fassende Schäden. Die Menschen bewegten sich zwi- schen den Trümmermassen von ehedem 920 Millionen Kubikmetern umbauten Wohn- raums und 380 Millionen Kubikmetern öf- fentlicher Gebäude sowie Fabrikanlagen. Alle Verkehrswege waren mehr oder weniger un- terbrochen. Fahrzeuge der Schiene, Straße
und zu Wasser waren im erheblichen Um- fang verbrannt, zerschossen oder versenkt worden. Auf den Gleisen waren weit über 100.000 beschädigte Personen- und Güter- wagen abgestellt. Gut 40 Prozent der Bahn- anlagen lagen in Schutt und Asche. Allein in der britischen und amerikanischen Zone be- liefen sich die Schäden bei der Bahn auf rund drei Milliarden Mark – vor nun fast acht Jahr- zehnten eine horrende Summe.
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Bei dem vorherrschenden Chaos galt es, das Verkehrswesen unter allen Umständen we- nigstens behelfsmäßig wieder in Gang zu setzen. Rund 70 Prozent der benötigten Transportkapazität hatte die Bahn zu schul- tern. Es ging um nicht weniger, als eine mög- liche humanitäre Katastrophe zu vermeiden und die Menschen mit dem Allernötigsten zu versorgen; das Leben von Millionen von Menschen hing gewissermaßen am Tropf der Bahn. In der größten Not kam es beim Aufbau der Bahn entscheidend darauf an, dass die Eisen- bahner aufgrund ihrer fachlichen Expertise
Relativ spät erst sollte die beschauliche Dreiflüssestadt Passau am Rande des Bayerischen Waldes von der zerstörerischen Last der alliierten Bomber heimgesucht werden. Ein erster Bombenangriff wurde am 29. Dezember 1944 geflogen, ein weiterer am 19. März 1945 auf den Bahn- hof und am 18. April 1945, bei dem abermals die Bahn, nun der Rangier- bahnhof und das Bahnbetriebswerk, stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Sechs Tage vor Kriegsende marschierten die Amerikaner in Pas- sau ein. Am 15. Juni 1945 war man im Bereich des Bahnbetriebswerks be- reits wieder dabei, ein wenig Ordnung in das Chaos zu bringen. Neben einigen stark beschädigten Kriegslokomotiven der Baureihe 52 ist rechts die Lok 98 684 zu sehen. Foto: US-Army, Sammlung Dr. Brian Rampp
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Kapitel 2 Jahre des Wiederaufbaus Brücken, Brücken und nochmals Brücken
Die Wiedererrichtung der zerstörten Eisenbahnbrü- cken gehörte zu den vordringlichen Aufgaben auf dem Weg zurück zu einem halbwegs geordneten Bahnbetrieb. Im Bereich der amerikanischen und bri- tischen Besatzungszone waren bei Kriegsende 20.096 Eisenbahnbrücken vorhanden. Davon waren 2.472 Brücken beschädigt oder zerstört. Im Verlauf der Hauptabfuhrstrecken waren beinahe alle großen Tal- brücken und Flussquerungen betroffen, was einen schnellen Wiederaufbau mitunter erheblich ver- zögerte. Die Trümmer der eingestürzten Brücken be- hinderten gleichzeitig die Schifffahrt auf den Flüssen und Kanälen. Außerdem waren viele Bahnstrecken durch die Trümmer zahlloser Straßenüberführungen und Kreuzungsbauwerke blockiert. Neben den Personen- und Güterbahnhöfen waren die großen und wichtigen Eisenbahnbrücken das Ziel un- zähliger Luftangriffe; ganz zu schweigen von den Fol- gen der sinnlosen Sprengungen durch die deutsche Wehrmacht in den letzten Kriegswochen. Dabei wurde gezielt auch eine große Zahl kleiner und kleinster Brü- cken über Bäche und Rinnsale gesprengt, was oft zu deren völliger Zerstörung führte. Die umfangreichsten Schäden wies der Bezirk Köln auf, mehr als ein Drittel der Brücken (34,4 %) war nicht mehr befahrbar. Stark betroffen war auch der Bezirk Essen, wo 20 Prozent der Brücken beschädigt oder zerstört waren. Am glimpflichsten kam der Bezirk Kassel davon, mit nur 5,8 Prozent unbrauchbarer Eisenbahnbrücken. Zunächst waren es die amerikanischen und britischen Pioniertruppen, die sich unmittelbar nach Ende der Kampfhandlungen daran machten, auf den für den ei- genen Nachschub wichtigen Strecken im Eiltempo Be- helfsbrücken über die großen deutschen Flussläufe zu legen. Zu den unbefahrbaren Brücken zählten alle 14 in den vereinigten Zonen gelegenen Eisenbahnbrücken
über den Rhein. Zerstört waren alle elf Eisenbahnbrü- cken über die Weser, 23 Mainbrücken und alle 13 Do- naubrücken. Hinzu kamen die zerstörten Elbebrücken bei Dömitz und Lauenburg. Durch Luftangriffe nur leicht beschädigt blieben die beiden Brücken über die Norder- und Süderelbe nahe Hamburg. Gänzlich unbe- schädigt davon kamen die vier großen Eisenbahn- brücken (Hochbrücken Grünental und Levensau, Rendsburger Hochbrücke und Hochbrücke Hochdonn) über den Nord-Ostsee-Kanal. Für den Güterverkehr wichtige Strecken hatten Priorität gegenüber vorwiegend dem Personenverkehr dienen- den Verbindungen, weil vorrangig die Kohlen- und Lebensmitteltransporte in Gang gebracht werden mussten. Die Wiederaufnahme des Eisenbahnverkehrs hing entscheidend von der Wiedererrichtung der Brü- cken ab. In den frühen Nachkriegsmonaten war daher schnelles Handeln gefragt. Der organisatorische Druck war beträchtlich. Es mangelte an Arbeitskräften, Bau- stoffen und Baumaschinen jedweder Art. Benötigte Brü- ckenbaustoffe waren einfach nicht verfügbar. Die vor Ort vorgefundenen Brückenteile galt es unter allen Um- ständen wiederzuverwerten. Es musste nach Kräften improvisiert werden, so dass mitunter abenteuerliche Behelfskonstruktionen herhalten mussten, Hauptsache, sie waren – und sei es im Schritttempo – befahrbar. Beim Wiederaufbau gelangten zur Hebung der abge- stürzten Überbauten feste Hubgerüste oder schwim- mende Hubgeräte zum Einsatz. Für eine rasche behelfsmäßige Wiederherstellung der Brücken kam überwiegend die Stahlbauweise zur Anwendung, weil sie große Spannweiten im Freivorbau ohne Behin- derung der Schifffahrt ermöglichte. Die Holzbauweise schied schon wegen des eklatanten Holzmangels von vornherein aus. Holz wurde allenfalls für vorüber- gehende Abstützungen verwendet.
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Kapitel 2 – Jahre des Wiederaufbaus
Nach der Einnahme von Mainz am 29. März 1945 durch die Amerikaner gehörte es zu den vorrangigen Aufgaben, die von der Wehrmacht zehn Tage zuvor gesprengte Mainzer Südbrücke durch ein Provisorium zu ersetzen. Die Behelfskonstruktion hatte man in einer Rekordzeit von gerade einmal knapp zehn Tagen errichtet. So ließen es sich US-Gene- ral George Patton und sein aus hochrangigen Offizieren gebildetes Ge- folge nicht nehmen, die „Franklin D. Roosevelt Memorial Bridge“ am 14. April 1945 mit dem ersten von 50 905 (Bw Mainz-Bischofsheim) ge- führten Zug zu bereisen. Foto: US-Army, Sammlung Dr. Brian Rampp
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Der aberwitzigen„Kriegstaktik der verbrannten Erde“ folgend, den heranrückenden Alliierten keine intakte Verkehrsinfrastruktur zu überlassen, fiel am 3. April 1945 die Werrabrücke Oberrieden, wie viele andere Eisenbahnbrücken auch, der Sprengung durch die Wehrmacht zum Opfer. Die fast schon abenteuerlich anmutende eingleisige Notbrücke vermochten US-Pioniere im August 1945 fertig- zustellen. Bei der Überfahrt im September 1948 einer teilent- stromten 01.10 sind Maurer bereits dabei, für den Brückenneubau einen der Pfeiler hochzuziehen; eingeweiht wurde das neue Bau- werk am 10. Mai 1949. Foto: Helmut Först, Eisenbahnstiftung
Fünfeinhalb Jahre Wie- deraufbau: Stand der Instandsetzung der Ei- senbahnbrücken bei den Eisenbahndirek- tionen mit Datum vom 31. Dezember 1950. Abbildung: Sammlung Udo Kandler Die wiederhergestellte Werrabrücke Oberrie- den im Zuge der Nord- Süd-Strecke in einer Anzeige aus dem Jahr 1951. Unverkennbar zeichnete die renom- mierte Stahlbauanstalt Aug. Klönne aus Dort- mund für die Ferti- gung der Überbauten verantwortlich. Abbildung: Sammlung Udo Kandler
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Kapitel 2 – Jahre des Wiederaufbaus
Für die Instandsetzung der Eisenbahnbrücken waren nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der immensen Schäden zahlreiche im Stahlbau versierte Unternehmen gefragt. Die Wiederherstel- lung der Kölner Südbrücke lag beispielsweise im Wesentlichen in Händen des zum Krupp-Konzern gehörenden Stahlbau Rheinhausen in Duisburg. Für die übrigen Arbeiten, u.a. die Maurerarbeiten, zeichnete das Bauunternehmen Grün & Bilfin- ger in Mannheim verantwortlich. Die Anzeige schaltete Krupp im Jahr 1951 in der einschlägigen Fachpresse. Abbildung: Sammlung Udo Kandler Zerstört wurde die Kölner Südbrücke am 6. Januar 1945 bei einem Luftangriff durch amerikanische Bomber. Die provisori- sche, eingleisige Instandsetzung der Brücke konnte am 31. Mai 1946 mittels Einbaus eines SKR-(Scharper-Krupp-Reichsbahn-) Brückengeräts dem Betrieb übergeben werden. Erst danach er- folgte die ursprüngliche, zweigleisige Wiederherstellung mit der Inbetriebnahme am 1. Oktober 1950. Dabei fungierte das dop- pelstöckige SKR-Brückengerät als Hilfsgerüst beim Einfügen der neuen Überbauten. Foto (1949): RBD Köln, Eisenbahnstiftung
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Zugbetrieb während der laufenden Instand- setzungsarbeiten am mittleren Stromüberbau der zwischen dem linksrheinischen Kölner Hauptbahnhof und dem rechtsrheinischen Bahnhof Köln-Deutz befindlichen Hohenzol- lernbrücke mit einer preußischen P 8. Im Vor- dergrund einer der für den Wiederaufbau unerlässlichen Schwimmkräne. Foto (März 1950): Fischer, Eisenbahnstiftung
Die größte Herausforderung unter den zerstörten Rheinbrücken stellte zweifelsfrei die Instandset- zung der Hohenzollernbrücke in Köln dar, die in mehreren Etappen erfolgte. Auch hier kam unter Federführung und Montage von Fried. Krupp Maschinen- und Stahlbau Rheinhausen – in Zusammen- arbeit mit der Stahlbauanstalt Aug. Klönne Dortmund – für den behelfsmäßigen, zweigleisigen Wie- deraufbau bei der mittleren Stromöffnung ein SKR-Brückengerät zur Ausführung (Inbetriebnahme am 9. Mai 1948). Für deren Ersatz ist hier im freien Vorbau die Montage des neuen Bogens ersichtlich, der am 30. November 1952 in einer gut 27-stündigen Sperrpause eingeschoben wurde (bei gleichzei- tigem Ausschieben des SKR-Elements). In einem letzten Schritt brauchte es für die endgültige vier- gleisige Inbetriebnahme der Hohenzollernbrücke gar weitere sechseinhalb Jahre, ehe sie am 31. Mai 1959 offiziell vollumfänglich viergleisig wieder in Betrieb ging. Foto: Fischer, Eisenbahnstiftung
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Drei Jahre nach Kriegsende war es endlich geschafft, mit der Teilinstandsetzung der Hohenzollernbrücke ließ sich eine ekla- tante Lücke im Schienennetz mit den bis dahin weitreichenden Folgen für den Zug- verkehr schließen. Nach den Eröffnungsfei- erlichkeiten bespannte am 9. Mai 1948 Lok 38 3002 (Bw Deutzerfeld) den mit Girlan- den geschmückten Eröffnungszug auf kur- zem Weg zwischen Deutz und Köln Hbf. Fotos (2): Fischer, Eisenbahnstiftung
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Auch die beiden 50 Rheinkilometer stromabwärts von Köln zwischen Düsseldorf und Neuss gelegenen Brückenzüge der Hammer Ei- senbahnbrücke wurden am 2. März 1945 von deutschen Pionieren gesprengt. Von den beiden Brückenzügen der Baujahre 1870 und 1911 wurde nur der jüngere, nördliche Teil unter Verwendung von SKR-Überbauten wiederhergestellt. Hier ist der Endzustand der Bo- genbrücke nach dem Ausschub des SKR-Überbaus (der hinter den Bogenträgern ansatzweise zu erkennen ist) und Einschub zweier in- standgesetzter Bogenträger des südlichen Brückenzugs zu sehen. Am 18. November 1947 zunächst für den eingleisigen Zugbetrieb ermöglicht, erfolgte wenig später am 20. Dezember des Jahres auch die Freigabe des zweiten Gleises. Im Vordergrund das Traggerüst, das der Quer- und Längsverschiebung der Bogenträger diente. Foto: Walter Eckler, Eisenbahnstiftung
Am 10. August 1946 fanden die offiziel- len Eröffnungsfeierlichkeiten der bereits seit dem 31. Juli befahrbaren, behelfs- mäßig wiederhergestellten Hammer Eisenbahnbrücke statt. Unter reger An- teilnahme der britischen Besatzungs- macht und sonstiger Personen des öffentlichen Lebens wartet die dezent mit Girlanden geschmückte Düsseldorfer 38 1552 die erste Überfahrt nach Neuss ab. Foto: Eisenbahnstiftung
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Kapitel 2 – Jahre des Wiederaufbaus
An einem sonnigen Novembertag des Jahres 1956 dampft die Krefelder 38 3543 mit einem Personenzug auf der Fahrt zwischen Düsseldorf und Neuß über den Rhein hinweg. Auf dem Wasser herrscht unverkennbar ein reger Schiffsverkehr. Foto: Ernst Winter, Eisenbahnstiftung
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Kapitel 11 Doppelstock und Co.
Ab 1950 verfolgte die noch junge Bundesbahn das Konzept doppelstöckiger Reisezug- wagen. Nach den neuesten bautechnischen Grundsätzen kamen für den hochwertigen Reisezugverkehr drei Proto- typen geschweißter Bauart mit einer Länge von 22,4 m und Abteilen der 2./3.-Klasse sowie Gepäck- und Speiseab- teil zur Ausführung. Die bei Wegmann gebauten Wagen waren für eine Höchstge- schwindigkeit von 120 km/h zugelassen. Den Hauptbahn- hof der Mainmetropole verlässt hier 03 1049 (Bw Dortmund Bbf) mit dem planmäßig aus Doppelstockwagen gebildeten E 719 Frankfurt (M) – Dortmund. Foto (1951): Toni Schneiders, Eisenbahnstiftung
Die Bundesbahn stand bei ihren Fahrzeugen auf ganzer Linie vor großen Herausforderun- gen. Nicht nur bei den Triebfahrzeugen be- durfte es einer dringenden Modernisierung des Bestands mit neuentwickelten Lokomo- tiven und Triebwagen, Gleiches galt für den Fahrzeugbedarf bei den Reisezugwagen. Ein deutlich in die Jahre gekommener Wagen- bestand ging einher mit einem eklatanten Mangel, wesentlich hervorgerufen durch das stetig steigende Verkehrsaufkommen. Den Anfang machte die Bundesbahn mit der Beschaffung von sechs Doppelstockwagen,
der markantesten Neuentwicklung unter den Reisezugwagen aus früher Bundesbahnzeit. Entwickelt hatte man die Wagen in enger Zu- sammenarbeit zwischen Eisenbahnzentral- amt Minden (Westf) und der Waggonfabrik Wegmann in Kassel. Bereits Mitte 1950 kamen drei 22,4 m lange Probewagen zur Auslieferung. Gefolgt im Jahr darauf von drei weiteren Doppelstock-Probewagen, nun mit der künftig zum DB-Standard werdenden Länge von 26,4 m. Gegenüber den ersten Probewagen mit Fallfenstern kamen nun Überwurffenster zur Ausführung. Beide Vari-
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Kapitel 11 – Doppelstock und Co.
Als auf der Angertalbahn Ratin- gen West – Wülfrath noch so etwas wie ein bescheidener Per- sonenverkehr vorherrschte und bereits Ende 1952 aufgegeben werden sollte. Im Bahnhof Hofer- mühle wartet die noch mit einem Tarnanstrich versehene 94 719 des Bw Ratingen West eine Zug- Leichtes Spiel hatte am 20. Mai 1951 die 03 1022 (Bw Dortmund Bbf) vor dem aus einem Doppelstockwagen- Pärchen der ehemaligen Lübeck-Bü- chener Eisenbahn gebildeten E 714 Dortmund – Frankfurt (M). Auf- kreuzung ab. Foto (1946): Sammlung Udo Kandler In diesem Zugverband sind sowohl die drei Doppelstock-Probewagen von 1950 als auch (hinter der Lok) einer der drei 1951 beschafften, 26,4 m langen Doppelstock-Probewagen ein- gestellt. Den E 719 Frankfurt (M) – Dortmund bespannt 01 209 des Bw Köln Bbf nordwärts. Im Vordergrund wird in Bacharach an der B 9 gearbei- tet, deren Fertigstellung das idyllische Städtchen am Rhein von der Last des Durchgangsverkehrs befreien wird. genommen vom Altmeister der Eisen- bahnfotografie unterhalb der Burg Rheinstein nahe Trechtingshausen. Fotos (2): Carl Bellingrodt, Eisenbahnstiftung
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Die bei Wegmann in Kassel gebauten Doppelstockwagen der Bundesbahn in der Eigenwerbung. Einer der drei Doppelstock- Probewagen von 1951 verfügte anfangs sogar über eine Küche, einen Speiseraum und einen Gepäckraum, bevor er 1957 zu einem Sitzwagen umgebaut wurde. Beach- tenswert die Beschriftung mit 2. und 3. Klasse. Abbildung: Sammlung Udo Kandler
Ein bisschen Spaß muss sein: Selbst im Oberdeck der Doppelstockwagen ließen sich die Fenster öffnen. Für den klassischen Abschiedskuss am geöffneten Fens- ter bedurfte es allerdings der akrobatischen Einlage. Der Aufsichtsbeamte sorgte frohgemut für die Wahrung des erforderlichen Gleichgewichts. Frankfurt (M) Hbf, 28. Juli 1951. Foto: ACME (Hans Jaeger), Sammlung Stefan Ponzlet
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Kapitel 11 – Doppelstock und Co.
anten fertigte man in geschweißter Ganz- stahlausführung mit Minden-Deutz-Dreh- gestellen. Die beiden Dreiwagenzüge kamen zunächst auf der Strecke Dortmund – Köln – Frankfurt (Main) zum Einsatz. Durchsetzen konnte sich das doppelstöckige Wagenkon- zept jedoch nicht, so dass es bei den Probe- wagen blieb. Zugleich beschaffte die Bundesbahn bis 1954 allerlei Wagen in der althergebrachten einstöckigen Bauweise, darunter Entwick- lungs- und Probewagen. In größerer Stück-
zahl wurden schließlich die für den Eilzug- und Städteverkehr bestimmten, 26,4 m lan- gen Mitteleinstiegswagen beschafft, die für den Wendezugbetrieb teilweise an einem Ende über Führerstände verfügten. In einem groß angelegten Umbauprogramm sollte die Bundesbahn, nachdem sie 1953 einen Probewagen vorgestellt hatte, ab 1954 dazu übergehen, aus überalterten zwei- und dreiachsigen Wagen, vielfach noch aus Län- derbahnzeiten vor 1920 stammend, die so ge- nannten Dreiachsumbauwagen aufzubauen.
Schulausflug der St.-Ursula-Real- schule Attendorn anno 1954. Auf Reisen geht es mit einer reinras- sigen, aus neuen dreiachsigen Umbauwagen gebildeten Zuggar- nitur. In einem groß angelegten Umbauprogramm, umgesetzt von diversen Ausbesserungswerken, sollten bis 1959 aus alten Länder- bahnwagen insgesamt 6.582 Wagen der Bauarten B3yg, AB3yg und BD3yg entstehen. Übrigens: Die dritte Wagenklasse wurde 1956 abgeschafft. Foto: Willi Marotz, Eisenbahnstiftung
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deten ein fest verbundenes Pärchen. Im Jahr 1955 stellte die Bundesbahn schließlich einen ersten Probewagen der vierachsigen Umbauwagenvariante vor. Die Vierachser- Umbauwagen sollten in den Folgejahren mit 1.822 gebauten Exemplaren zu Buche schla- gen.
Dabei erhielten die alten, aufgearbeiteten Untergestelle neue, geschweißte Aufbauten. Vorgenommen wurden die Umbauten von den DB-eigenen Ausbesserungswerken Han- nover-Leinhausen, Karlsruhe, Limburg, Lud- wigshafen, Neuaubing und Saarbrücken. Jeweils zwei kurzgekuppelte Dreiachser bil-
Im Bahnhof Wuppertal-Elberfeld rollt 64 276 (Bw Wuppertal-Vohwinkel) am 2. August 1954 mit einem aus drei nagelneuen Dreiachser-Pärchen gebildeten Leerwagenzug an den Bahnsteig. Möglicherweise handelte es sich hier um eine Vorstellungsfahrt der neuen Wagen bei der BD Wuppertal. Foto: Carl Bellingrodt, Eisenbahnstiftung
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Kapitel 11 – Doppelstock und Co.
Im Jahr 1955 stellte die Bundesbahn den ersten vierachsigen Probewagen vor. Hier dürfte es sich um den ersten umgebauten Wagen der Bauart B4yg des AW Hannover-Leinhausen han- deln, das (zusammen mit den AW Karlsruhe und Neuaubing) für das Umbauprogramm zuständig zeichnete. Robust und zweckmäßig: Derselbe 2.-Klasse-Wagen in der Innenansicht mit seinen Kunststoff-Polstersitzbän- ken. Man beachte den breiten Mittel- gang. Reichlich Platz boten die über den Fenstern angeordneten Gepäck- ablagen. Fotos (2): Georg Steidl, Eisenbahnstiftung
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