Preview: Aufbruch in eine neue Zeit

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Kapitel 2 Jahre des Wiederaufbaus Brücken, Brücken und nochmals Brücken

Die Wiedererrichtung der zerstörten Eisenbahnbrü- cken gehörte zu den vordringlichen Aufgaben auf dem Weg zurück zu einem halbwegs geordneten Bahnbetrieb. Im Bereich der amerikanischen und bri- tischen Besatzungszone waren bei Kriegsende 20.096 Eisenbahnbrücken vorhanden. Davon waren 2.472 Brücken beschädigt oder zerstört. Im Verlauf der Hauptabfuhrstrecken waren beinahe alle großen Tal- brücken und Flussquerungen betroffen, was einen schnellen Wiederaufbau mitunter erheblich ver- zögerte. Die Trümmer der eingestürzten Brücken be- hinderten gleichzeitig die Schifffahrt auf den Flüssen und Kanälen. Außerdem waren viele Bahnstrecken durch die Trümmer zahlloser Straßenüberführungen und Kreuzungsbauwerke blockiert. Neben den Personen- und Güterbahnhöfen waren die großen und wichtigen Eisenbahnbrücken das Ziel un- zähliger Luftangriffe; ganz zu schweigen von den Fol- gen der sinnlosen Sprengungen durch die deutsche Wehrmacht in den letzten Kriegswochen. Dabei wurde gezielt auch eine große Zahl kleiner und kleinster Brü- cken über Bäche und Rinnsale gesprengt, was oft zu deren völliger Zerstörung führte. Die umfangreichsten Schäden wies der Bezirk Köln auf, mehr als ein Drittel der Brücken (34,4 %) war nicht mehr befahrbar. Stark betroffen war auch der Bezirk Essen, wo 20 Prozent der Brücken beschädigt oder zerstört waren. Am glimpflichsten kam der Bezirk Kassel davon, mit nur 5,8 Prozent unbrauchbarer Eisenbahnbrücken. Zunächst waren es die amerikanischen und britischen Pioniertruppen, die sich unmittelbar nach Ende der Kampfhandlungen daran machten, auf den für den ei- genen Nachschub wichtigen Strecken im Eiltempo Be- helfsbrücken über die großen deutschen Flussläufe zu legen. Zu den unbefahrbaren Brücken zählten alle 14 in den vereinigten Zonen gelegenen Eisenbahnbrücken

über den Rhein. Zerstört waren alle elf Eisenbahnbrü- cken über die Weser, 23 Mainbrücken und alle 13 Do- naubrücken. Hinzu kamen die zerstörten Elbebrücken bei Dömitz und Lauenburg. Durch Luftangriffe nur leicht beschädigt blieben die beiden Brücken über die Norder- und Süderelbe nahe Hamburg. Gänzlich unbe- schädigt davon kamen die vier großen Eisenbahn- brücken (Hochbrücken Grünental und Levensau, Rendsburger Hochbrücke und Hochbrücke Hochdonn) über den Nord-Ostsee-Kanal. Für den Güterverkehr wichtige Strecken hatten Priorität gegenüber vorwiegend dem Personenverkehr dienen- den Verbindungen, weil vorrangig die Kohlen- und Lebensmitteltransporte in Gang gebracht werden mussten. Die Wiederaufnahme des Eisenbahnverkehrs hing entscheidend von der Wiedererrichtung der Brü- cken ab. In den frühen Nachkriegsmonaten war daher schnelles Handeln gefragt. Der organisatorische Druck war beträchtlich. Es mangelte an Arbeitskräften, Bau- stoffen und Baumaschinen jedweder Art. Benötigte Brü- ckenbaustoffe waren einfach nicht verfügbar. Die vor Ort vorgefundenen Brückenteile galt es unter allen Um- ständen wiederzuverwerten. Es musste nach Kräften improvisiert werden, so dass mitunter abenteuerliche Behelfskonstruktionen herhalten mussten, Hauptsache, sie waren – und sei es im Schritttempo – befahrbar. Beim Wiederaufbau gelangten zur Hebung der abge- stürzten Überbauten feste Hubgerüste oder schwim- mende Hubgeräte zum Einsatz. Für eine rasche behelfsmäßige Wiederherstellung der Brücken kam überwiegend die Stahlbauweise zur Anwendung, weil sie große Spannweiten im Freivorbau ohne Behin- derung der Schifffahrt ermöglichte. Die Holzbauweise schied schon wegen des eklatanten Holzmangels von vornherein aus. Holz wurde allenfalls für vorüber- gehende Abstützungen verwendet.

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