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Sie ging 1930 nach Stuttgart, vielleicht als Dienstmädchen oder Bedienung, und ab 1933 ist sie auch offiziell in der schwäbischen Hauptstadt gemeldet. Ihre Adres- sen wie etwa Klosterstraße 11 oder Wagnerstraße waren alle- samt die bekannten Orte der da- malige Prostitutionsszene unweit der Leonhardskirche in der dama- ligen Altstadt, wo auch heute noch das »Gewerbe« ansässig ist. Vielleicht bei ihrer Tätigkeit als

Hier in der Kloster- straße in Stuttgart war Margarete Reinhardt in den 1930er-Jahren gemeldet.

Kellnerin und Mädchen für alles lernte sie den gutaussehenden Sinto Gabriel Reinhardt kennen, der in einer sogenannten deutsch-ungari- schen Attraktionskapelle unterwegs war. Margarete schloss sich die- ser Kapelle an und trat mit der Gruppe auf, im Dritten Reich kein unge- fährliches Unterfangen. Noch gefährlicher war die 1939 in Dortmund geschlossene Ehe mit Gabriel, der aus einer berühmten Musikerfami- lie stammte und die Rätsel aufgibt. Wie war sie überhaupt möglich und wer hielt die Hand über dem jungen Paar? 1941 wurde die Ehe geschie- den und Gabriels Schicksal nahm eine andere tragische Wendung. Margarete hielt sich bis 1944

wieder in Stuttgart auf, wo sie – laut ihrem Entnazifizierungsbogen – Geschäftsführerin »Gold und Sil- ber« war, ein Begriff, der stutzen lässt und auf Vorteilnahme durch die Enteignung jüdischer Geschäfte hinweisen könnte. Hier wäre sie nicht die Einzige gewesen. 1944 wurde die Innenstadt von Stuttgart in Schutt und Asche gelegt, und Margarete verlegte ihren Lebensmittelpunkt nach Karlsruhe, wo sie sich bald schon im Dörfle, dem Rotlichtviertel, wiederfand und dem Schwarz- handel frönte, wofür sie mehrmals in Untersuchungshaft landete.

Pitt Reinhardt mit seiner deutsch-

ungarischen Attraktions- kapelle.

Lahrer Hinkender Bote 2021

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