beyond 01 | 2025

Internationale Impulse für die Jugendarbeit

2025 01

INTERNATIONALE IMPULSE FÜR DIE JUGENDARBEIT

IM FOKUS Junge Zivilgesellschaft unter Druck

YOUTH4PEACE STATEMENT BUNDES­ JUGENDMINISTERIN KARIN PRIEN

WEITWINKEL DEMOKRATIEFÖRDERUNG IN ARMENIEN UND GRIECHENLAND

EDITORIAL

Liebe Leser*innen, Mit dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien in Europa und der zunehmenden Verfestigung autokratischer Systeme weltweit wächst das Be- wusstsein dafür, dass Demokratie und Freiheit keine Selbstverständlichkeiten sind. Langjährige internationale Bündnisse geraten durch die außen- politische Ausrichtung der Trump-Administration ins Wanken. Auch in Deutschland steht die demo- kratische Grundordnung unter Druck – nicht zuletzt durch den zunehmenden politischen Einfluss der AfD, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremis­ tischer Verdachtsfall eingestuft wird. Den Lern- und Handlungsräumen für eine frei- heitliche und demokratische Gesellschaft kommt daher eine Schlüsselrolle zu. Jugendorganisatio- nen bieten jungen Menschen die Möglichkeit zur Selbstorganisation – ein wesentliches Element politischer Bildung und demokratischer Teil- habe. Das breite Feld der Jugendarbeit schafft Räume, in denen junge Menschen sich selbstbe- stimmt erproben und wichtige Erfahrungen für ein friedliches, solidarisches Zusammenleben sammeln können. Ein bedeutender Bestandteil ist die Internationale Jugendarbeit: Sie eröffnet Begegnungen über Grenzen hinweg, fördert in- terkulturelles Verständnis und macht Vielfalt als Bereicherung erfahrbar. In einer zunehmend in- stabilen Weltlage, in der sich liberale Demokra- tien zurückziehen und autoritäre Gesellschafts- modelle an Einfluss gewinnen, ist diese Arbeit wichtiger denn je. Doch Jugendstrukturen stehen unter erhebli- chem Druck und „shrinking spaces“ für die jun- ge Zivilgesellschaft sind ein globales Phänomen. Deshalb haben wir Menschen aus ganz Europa und darüber hinaus zu Wort kommen lassen – in Gesprächen und Gastbeiträgen. Ihre Stimmen zeichnen ein eindrucksvolles, aber auch beunru- higendes Bild: In Belarus wird bereits der leiseste Hauch von Opposition kriminalisiert. In Georgien geraten Jugendorganisationen unter Druck und werden als „ausländische Agenten“ diffamiert. Und in anderen Ländern stehen junge Menschen unter dem Einfluss rechtspopulistischer Ideologi -

en, die ihre Lebensrealitäten abwerten und ihnen das Recht absprechen, als Generation politisch gehört zu werden. Doch all das ist nur die sicht- bare Spitze des Eisbergs. Vielerorts fehlt es an öffentlicher Unterstützung – Fördermittel werden gestrichen, Einrichtungen geschlossen und Ju- gendorganisationen gezwungen, ihre Arbeit ganz aufzugeben. Gleichzeitig begegnen wir jungen Menschen, die inmitten von Krieg, Repression und Unsicherheit eine beeindruckende Resilienz zeigen – gerade dort, wo die Lage am aussichtslosesten erscheint: in der Ukraine und in Belarus. Die unabhängi- gen belarusischen Jugendorganisationen führen ihre Arbeit aus dem Exil fort, unbeirrt vom Druck des Regimes. Und in der Ukraine gestalten junge Menschen trotz allem aktiv die Zukunft ihres Lan- des mit – entschlossen, sich ihr Recht auf Mitbe- stimmung nicht nehmen zu lassen. Ihr Mut und ihr Engagement sind mehr als nur ein Zeichen der Hoffnung. Sie sind ein Aufruf an uns alle, Demo­ kratie und Jugendbeteiligung entschlossen zu ver- teidigen und solidarisch zu stärken. Diese Ausgabe von beyond ist erstmals als ge- meinsame Produktion von IJAB und dem Deut- schen Bundesjugendring entstanden – aus gutem Grund. Angesichts weltweit schrumpfender Hand- lungsspielräume für junge Zivilgesellschaft und Jugendarbeit setzen wir damit ein gemeinsames Zeichen der Solidarität, der Aufmerksamkeit und der Hoffnung auf eine offene, demokrati - sche Zukunft, in der junge Stimmen gehört und gestärkt werden.

Daniel Poli, Direktor von IJAB

Wendelin Haag, Vorsitzender des DBJR

Ihr Daniel Poli

Ihr Wendelin Haag

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Inhalt

IM FOKUS: Junge Zivilgesellschaft unter Druck

Youth4Peace – Junge Stimmen für Frieden und Demokratie Der 8. Mai: Ein Tag des Gedenkens und der Verantwortung

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Shrinking Spaces 6 Christina Schneider, Carolin Vogt, Christian Herrmann Der Austausch mit Europa ist wichtig 12 Interview mit Natalia Shevchuk Die Jugend hat keine Stimme im Land 15 Interview mit Josip Miličević und Marin Capan Schwindende Unterstützung 18 Alice Bergholtz Haltung statt Resignation 20

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Karin Prien, Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Junge Stimmen für Frieden und Demokratie Stephanie Bindzus Weitwinkel – internationale Perspektiven

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Ist das Glas halb voll oder halb leer? Grigor Janikyan Tempi, Transparenz und Teilhabe 

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Pia Kamratzki, Lars Reisner, Björn Schreiber Die Zukunft der Jugendinformation in Finnland ist ungewiss 

Interview mit Alexandros Poulakis Forschung

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Jaana Fedotoff Ein Jugendring im Exil 

Jugendinformation öffnet Wege ins Ausland

Johanna Kuchem Neu erschienen

24 Interview mit Dzmitry Herylovich und Katerina Bunina Wir wollen Teil der europäischen Familie sein 26 Interview mit Nini Shakarashvili Zwischen Repression und Resilienz 28

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Forum

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Demokratie durch Teilhabe verwirklichen 

Christian Herrmann Qualitätshandbuch für Projekte der Internationalen Jugendarbeit

Cansu Ceylan, Celal Can Bilgiç Mit Haltung und Förderung

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Lucas Skræddergaard „Europas Zweck ist die Sicherung individueller Rechte und Freiheit aller jungen Menschen“ Interview mit Tobias Flessenkemper, Europarat

#internationalheart

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Termine

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Juli bis Dezember 2025 Impressum 

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Titelbild: Ende 2023 waren laut RADA in Belarus 562 junge politische Gefangene inhaftiert. Sie machten fast 40 Prozent aller von Menschenrechtsgruppen anerkannten politischen Gefangenen aus. Die Organisation hat einen eigenen „Pass“ entworfen, um die internationale Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtsverletzungen in Belarus zu lenken.

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IM FOKUS

Junge Zivilgesellschaft unter Druck

Kriminalisiert, marginalisiert, finanziell ausgetrocknet – Jugendorganisationen und -strukturen in Europa und darüber hinaus verlieren seit Jahren an Handlungs­ spielraum. Die Ursachen sind vielfältig: Kriege, autoritäre Regime, mangelnder staatlicher Dialogwille, geänderte Priorisierungen in öffentlichen Haushalten und der wachsende Einfluss rechter Parteien in Regierungen. Das Recht junger Menschen auf Selbstorganisation und politische Teilhabe sowie die staatliche Pflicht, dies zu unterstützen, sind in manchen Ländern ein Beitrag zur Verteidigung, in anderen zur Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Die Redaktion von beyond hat mit jungen Menschen in unterschiedlichen Ländern gesprochen oder sie um Gast­ beiträge gebeten. Gut, dass wir dabei ab und an auch auf hoffnungsvolle Beispiele gestoßen sind.

IM FOKUS – Junge Zivilgesellschaft unter Druck

Shrinking Spaces

Christina Schneider, Carolin Vogt, Christian Herrmann

Wachsender Druck auf Jugendarbeit und junge Zivilgesellschaft

Der Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Organisationen in Europa wird seit mehreren Jahren zunehmend eingeschränkt. Regierungen ergreifen gezielt Maßnahmen, um kritische Stimmen und unabhängige Organisationen zu schwächen. Dieses Phänomen ist als „shrinking spaces“ bekannt. Besonders betroffen sind Jugendringe und Jugendorganisationen. Sie geraten zunehmend unter Druck, sei es durch restriktive Gesetzgebungen, finanzielle Kürzungen oder direkte Eingriffe in ihre Arbeit.

schaftliche Raum zudem erneut durch ein geplantes „Agenten-Gesetz“ 1 erheblich eingeschränkt zu werden.

Dabei sind Jugendringe und ihre Mitgliedsorganisationen essenziell für eine lebendige Demokratie. In den Jugend- verbänden als „Werkstätten der Demokratie“ erlernen junge Menschen politische Teilhabe, bilden Meinungen und stoßen gesellschaftliche Veränderungsprozesse an. Mangelnde politische Anerkennung In mehreren Ländern erkennen nationale Regierungen und Behörden den Vertretungsanspruch von Jugend- ringen für die Interessen von Kindern und Jugendlichen nicht an. Diese Anerkennung ist jedoch essenziell, um jungen Menschen eine wirksame Beteiligung an politi- schen Prozessen und Entscheidungen zu ermöglichen. Ohne offizielle Anerkennung fehlt es Jugendringen oft an finanziellen Mitteln, rechtlicher Absicherung und direk - tem Zugang zu politischen Entscheidungsträger*innen. Ein Beispiel hierfür ist der unabhängige türkische Jugend- ring GoFor (Gençlik Örgütleri Forumu). Die türkische Regierung erkennt ihn weder als Interessensvertretung junger Menschen noch als nationalen Jugendring an. Infolgedessen erhält GoFor keine staatliche Förderung und hat nur eingeschränkte Möglichkeiten, jugendpoli- tische Anliegen in die öffentliche Debatte auf nationaler Ebene einzubringen. In der Türkei droht der zivilgesell-

In Kroatien ist der unabhängige nationale Jugendring (Croatian Youth Network, Mreža mladih Hrvatske, MMH) von der Regierung nicht offiziell als Nationaler Jugendring Kroatiens anerkannt. Stattdessen hat die Regierungs- partei kürzlich ein Nationales Jugendberatungsforum eingesetzt, um Mitglieder ihrer eigenen Jugendorganisa- tion als vermeintlich legitime Vertreter der kroatischen Jugend zu etablieren.

Kriminalisierung von Jugendorganisationen

Der selbstorganisierte belarusische nationale Jugendring RADA wurde 1992 gegründet und vertrat belarusische Jugendorganisationen bis zu seiner Auflösung durch das Oberste Gericht im Jahr 2006. Seitdem wurde RADA nicht mehr von den nationalen Behörden anerkannt. Aufgrund seines bedeutenden Einsatzes für die Rechte junger Menschen und demokratische Werte sieht sich RADA ständiger staatlicher Unterdrückung ausgesetzt. Nach der Niederschlagung der Revolution 2020 wurde RADA ins Exil gezwungen. Der Generalsekretärin von RADA und weiteren Aktiven droht eine mehrjährige Haft-

1 Die vorgeschlagene Änderung des türkischen Strafgesetzbuches sieht Haftstrafen von drei bis sieben Jahren vor. Sie richtet sich gegen Einzel­ personen oder Organisationen, die im angeblichen Auftrag eines ausländischen Staates oder im Interesse ausländischer Organisationen handeln. Kritiker*innen befürchten, dass sich die Gesetzesänderung auch gegen zivilgesellschaftliche Organisationen richten könnte, die Teile ihres Budgets aus dem Ausland beziehen.

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strafe, sollten sie nach Belarus zurückkehren. In Geor- gien stehen Jugendorganisationen unter erheblichem Druck der Regierung, was ihre Arbeit und die Einbindung junger Menschen in gesellschaftliche Aktivitäten stark erschwert. Neben dem sogenannten „Agenten-Gesetz“ 2 , das NGOs mit ausländischer Finanzierung stigmatisiert und strengen Auflagen unterwirft, sind diese Organisa - tionen politischer Schikane, Überwachung und rechtli- chen Drohungen ausgesetzt. Existenzgefährdung durch Haushaltskürzungen In den vergangenen Jahren haben Kürzungen im Jugend- sektor weltweit Organisationen an den Rand der Exis- tenz gebracht. Besonders betroffen sind Einrichtungen, die auf langfristige Förderung angewiesen sind, da pro- jektgebundene Mittel oft nicht ausreichen, um grundle- gende Betriebskosten wie Mieten, Personal oder laufen- de Programme zu decken.

Ein besonders alarmierendes Beispiel für die Unterfinan - zierung der jungen Zivilgesellschaft ist die jüngste Insol- venz des britischen nationalen Jugendrings British Youth Council (BYC). Nachdem die Jugendarbeit in Großbritan- nien seit Jahren von einer Unterfinanzierung geprägt war, musste der BYC im März 2024 nach 75 Jahren aktiver Tätigkeit seine endgültige Auflösung bekanntgeben. Als Hauptursache nannte die Organisation die anhaltend schwierige wirtschaftliche Lage, die durch den finanziel - len Zusammenbruch eines langjährigen privatwirtschaft- lichen Förderers zusätzlich verschärft wurde. Unter der neuen Mitte-rechts-Koalition in Finnland wurden die Mittel für die Jugendarbeit für 2025 im Vergleich zu 2024 um etwa 5,5 Prozent gekürzt, im Vergleich zu 2023 sogar um 15 Prozent. Die unzureichende Struktur- und Projektfinanzierung bei gleichzeitig steigenden Kosten beeinträchtigt die Arbeit des finnischen Jugendrings Nuorisoala erheblich. Infolgedessen musste die Organisation Mitarbeitende entlassen und ihre Aktivitäten einschränken.

2 Das „Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme“ sieht vor, dass sich Medien und Nichtregierungsorganisationen, die sich zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanzieren, behördlich registrieren lassen müssen. In ihrer Akte wird dann festgehalten, dass sie „Interessen ausländischer Mächte“ verfolgen. Mit dem Gesetz kann das Justiz- und Finanzministerium ohne zusätzlichen Gerichtsbeschluss Informationen von NGOs und Personen, die mit ihnen zusammenarbeiten, einfordern.

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Aktives Entziehen von staatlicher Förderung

Nicht nur Jugendringe sind betroffen Die Situation vieler Jugendringe spiegelt wieder, wie mit den Bedürfnissen und Interessen junger Menschen in einer Gesellschaft umgegangen wird. Dies trifft auch auf das breite Feld der Jugendarbeit insgesamt zu. In einigen europäischen Ländern gibt es keine oder nur eine inkonsistente Jugendpolitik. Entsprechend man- gelt es an bedarfsgerechter finanzieller Ausstattung für Jugendarbeit und qualifizierter Ausbildung für Jugendarbeiter*innen. Jugendzentren, Jugendsozialar- beit oder die Arbeit mit jungen Geflüchteten sind bis - weilen ausschließlich auf Ehrenamtler*innen und Spen- den angewiesen. Zudem gilt Jugendarbeit häufig als ein „Nice-to-have“, das schnell auf allen staatlichen Ebenen gekürzt werden kann. Das betrifft auch Strukturen und Dienstleistungen, die Jugendarbeit unterstützen – bei- spielsweise Jugendinformationszentren. Hinzukommen politische Interventionen. Ein besonders drastisches

Der nationale Jugendring Polens (Polska Rada Organi- zacji Młodzieżowych, PROM) hat seit 2018 keine staat - liche Förderung mehr erhalten, da die Mittel für den EU-Jugenddialog einem anderen regierungsnäheren Träger übertragen wurden. PROM ist daher auf alterna- tive Wege der Finanzierung angewiesen und verrichtet einen großen Teil seiner Arbeit ehrenamtlich. Trotz eines Regierungswechsels und einer damit verbundenen Auf- bruchsstimmung ist bisher keine Änderung in Sicht. In Flandern, Belgien, sind der Flämische Jugendring (Vlaamse Jeugdraad, VJR) und die flämische Jugendarbeit von Plänen der rechtsextremen Partei Vlaams Belang bedroht. Vlaams Belang plant, die Finanzierung von Jugendprojekten zu kürzen, die sie als „getarnte links­ extreme Propaganda“ betrachten.

Auch Budgetkürzungen gefährden Jugendorganisationen massiv und haben in mehreren Ländern bereits zur Auflösung von Jugend - strukturen geführt

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Offizielle Eröffnung der „Europäischen Jugendhauptstadt 2025“ in der Oper von Lwiw

dass sie ihre Arbeit nur mit umso größerem Kraftauf- wand leisten können. Gerade unter schwierigen politi- schen Bedingungen wird ihre Arbeit zu einer tragenden Säule demokratischer Resilienz und gesellschaftlicher Teilhabe.

Beispiel: In Georgien wurden die Mitarbeiter*innen des europäischen Beratungsnetzwerks Eurodesk von einem auf den anderen Tag entlassen – offenbar weil die Regie - rung den nationalen Zweig des von der EU kofinanzier - ten Netzwerks künftig einer stärkeren staatlichen Kont- rolle unterwerfen möchte. Über politische Eingriffe hinaus werden die Gestaltungs - räume junger Menschen durch Konflikte und geopoliti - sche Krisen eingeschränkt. Ein Beispiel für die Resilienz junger Menschen unter widrigsten Bedingungen bietet die westukrainische Kulturmetropole Lwiw, die in die- sem Jahr trotz Belastungen von Krieg und Kriegsrecht als Europäische Jugendhauptstadt ausgewählt wurde. Junge Menschen konzipieren und gestalten das Pro- gramm eigenständig für Jugendgruppen aus allen Tei- len der Ukraine. Die Stadtverwaltung unterstützt das Engagement mit den notwendigen Ressourcen und verleiht damit dem Vertrauen in die Kompetenz junger Menschen Ausdruck. Dieses Beispiel zeigt: Selbst unter schwierigsten Bedingungen können junge Menschen gestalten und Strukturen schaffen. Notwendig sind dafür politische Unterstützung und geeignete Rahmenbedin- gungen. Gleichzeitig bedeutet dies für Jugendstrukturen, die im politischen Umfeld ohne Rückhalt oder klaren politischen Willen der staatlichen Strukturen agieren,

Kontakt Christina Schneider Referentin für internationale Jugendpolitik Deutscher Bundesjugendring e.V. Mail: christina.schneider@dbjr.de Carolin Vogt Leitung des Referats für europäische und internationale Jugendpolitik Deutscher Bundesjugendring e.V. Mail: Carolin.vogt@dbjr.de

Christian Herrmann IJAB / Referent Öffentlichkeitsarbeit Mail: herrmann@ijab.de

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IM FOKUS – Junge Zivilgesellschaft unter Druck

„Jugendstrukturen stehen unter erheblichem Druck und „shrinking spaces“ für die junge Zivilgesellschaft sind ein globales Phänomen. Deshalb haben wir Menschen aus ganz Europa und darüber hinaus zu Wort kommen lassen – in Gesprächen und Gastbeiträgen. Ihre Stimmen zeichnen ein eindrucksvolles, aber auch beunruhigendes Bild.“

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Finnland Nationale Kompetenzzentren für Jugendarbeit wurden geschlossen » Seite 23

Schweden Jugendorganisationen stehen unter finanziellem und politi - schen Druck » Seite 18

Dänemark Jugendorganisationen sind solide finanziert und engagieren sich für die Demokratie » Seite 31

Belarus Der Nationale Jugendrat gilt als „extremistische Organisation“ und ist im Exil » Seite 24

Deutschland In einigen Bundesländern drohen politisch motivierte Budgetkürzungen » Seite 20

Ukraine Jugendarbeit geht trotz des Krieges weiter – aber mit zu wenig Ressourcen » Seite 12

Georgien Jugendorganisationen können zu „ausländischen Agenten“ erklärt und ihre Konten einge- froren werden » Seite 26

Schwarzes Meer

Kroatien Der Nationale Jugendring wird von der Regierung nicht anerkannt » Seite 15

Türkei Die Erosion der Demokratie und wirtschaftliche Instabilität setzen Jugendorganisationen unter Druck » Seite 28

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Mittelmeer

IM FOKUS – Junge Zivilgesellschaft unter Druck

INTERVIEW

Der Austausch mit Europa ist wichtig Jugendarbeit in Zeiten des Krieges Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als elf Jahren gegen die russische Aggression, seit Russland zum ersten Mal Gebiete der Ukraine annektierte, und seit mehr als dreieinhalb Jahren gegen den vollumfänglichen Angriffskrieg. Die jungen Menschen zahlen dafür einen hohen Preis, aber sie zeigen auch ein bemerkenswertes Maß an Widerstandskraft. Jugendorganisationen sind ein wichtiger Teil dieses Kampfes und der Gestaltung der demokratischen Zukunft der Ukraine. „Gleichzeitig“, so Natalia Shevchuk vom Nationalen Jugendrat der Ukraine, „muss die Qualität der Jugendarbeit verbessert, die Professionalisierung vorangetrieben, in mehr Ressourcen investiert und der Zugang für junge Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen erleichtert werden“.

Natalia Shevchuk (Mitte) beim Y7-Jugendgipfel 2022 in Berlin

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beyond: Was macht der Krieg mit den jungen Menschen in der Ukraine?

Wladyslaw Rudenko, der von den russischen Besatzern aus Cherson verschleppt wurde, erzählte von seinen Widerstandserfahrungen während seiner Zeit in einem so genannten Umerziehungslager. Eines Abends klet- terte er auf einen Fahnenmast, entfernte die russische Flagge und ersetzte sie durch seine Unterwäsche – ein mutiger Akt des Widerstands. 4 In den vorübergehend besetzten Gebieten der Ukrai- ne verfolgt Russland eine systematische Strategie zur Umprogrammierung der ukrainischen Jugend. Über Agenturen wie Rosmolodezh verbreitet es Propaganda, kontrolliert das Bildungswesen und integriert die Kinder gewaltsam in das russische ideologische und administra- tive System. Tausende von ukrainischen Kindern wurden unter dem Deckmantel der „Erholung“ illegal deportiert und unter Verletzung des Völkerrechts von ihren Fami- lien getrennt. Das Ziel ist klar: die ukrainische Identität auszulöschen und eine neue, Kreml-treue Generation zu schaffen. Arbeit mit Vertriebenen aus den besetzten Gebieten Das Zentrum für politische Bildung „Almenda“ 5 hat mit Binnenvertriebenen von der Krim und später aus ande- ren Teilen der besetzten Gebiete gearbeitet, die noch Kontakt zu ihren Angehörigen haben. Es ging um den Zu- gang zu Information, alle Formalitäten, die Integration in Schulen und Universitäten. Nach der Besetzung der Krim im Jahr 2014 spielte Almenda eine Schlüsselrolle bei der Forderung nach vereinfachten Verfahren, die es mehr als 20.000 Studenten ermöglichten, aus den besetzten Ge- bieten an ukrainische Universitäten zu wechseln. Die Or- ganisation leistete einen Beitrag zur nationalen Bildungs- politik, u. a. durch vereinfachte Hochschulzulassungen für Bewohner der besetzten Gebiete und die Entwicklung eines Webportals zur Unterstützung von jungen Men- schen. Almenda setzt sich auch auf internationaler Ebe- ne für das Ende der Besatzung der Krim und den Schutz der Menschenrechte ein. Seit der russischen Invasion im Februar 2022 dokumentiert Almenda schwerwiegende Menschenrechtsverstöße gegen Kinder in bewaffneten Konflikten.

Natalia Shevchuk: Ich möchte diese Frage auf eine sehr persönliche Weise beantworten. Vor zwei Jahren habe ich dir einen jungen Mann als Interviewpartner emp- fohlen, Ivan Paramonov. Jetzt ist er tot, gefallen an der Front in der Region Charkiw. Das ist es, was der Krieg mit jungen Menschen macht. Er war ein engagierter Führer der ukrainischen Zivilgesellschaft, Mitbegründer und Geschäftsführer der NGO Shtuka 1 . Die Organisation ini- tiierte Projekte wie den Bau eines Skateparks in Popasna in Zusammenarbeit mit lokalen Jugendlichen und Mili- tärveteranen und die Produktion von Medieninhalten, die sich mit sozialen Fragen befassen. Nach der vollstän- digen Invasion Russlands verlagerten Paramonov und sein Team ihren Schwerpunkt auf humanitäre Hilfe. Im Februar 2024 meldete er sich mit mehreren Kollegen aus tiefem Pflichtbewusstsein freiwillig zu den ukrainischen Streitkräften. Ivan hatte großes Mitgefühl für die Men- schen, die vom Krieg in der Ostukraine betroffen waren. Er wollte Vorurteile abbauen und Menschen zusammen- bringen. Jetzt wurde er von russischen Soldaten getötet. Junge Menschen leisten Widerstand ge­ gen die russische Besatzung beyond: Wie viel ist über die Situation junger Menschen in den von Russland besetzten Gebieten bekannt? Natalia Shevchuk: Wir hören von Überlebenden, die es irgendwie geschafft haben, in die Ukraine zurückzu - kehren, von Vertreibungen und Umerziehungslagern. Wir wissen von jungen Menschen, die sich in anonymen Leseclubs treffen, um ukrainische Literatur zu lesen und darüber zu diskutieren. 2 Das ist natürlich streng verbo- ten. Bemerkenswert ist der Fall von Ivan Saransha, einem 18-Jährigen, der fast zwei Drittel seines Lebens im rus - sisch besetzten Luhansk verbracht hatte. Er war gerade 7 Jahre alt, als Russland die Stadt 2014 besetzte. Seitdem lebte er in einer Umgebung, die von russischer Propa- ganda durchtränkt war. Erst vor kurzem gelang es ihm, auf eigene Faust zu fliehen. 3 Der ukrainische Teenager

1 Website der NGO „Shtuka“ https://shtuka.media/ 2 Jugendliche in den besetzten Gebieten gründen geheime Buchklubs, in denen sie ukrainische Literatur lesen: https://detector.media/infospace/ article/239316/2025-03-23-pidlitky-v-okupatsii-organizovuyut-taiemni-knyzhkovi-kluby-na-yakykh-chytayut-ukrainsku-literaturu-the-guardian/ 3 Wie ein Teenager aus dem besetzten Luhansk entkam: https://www.dw.com/uk/ak-pidlitok-vtik-iz-luganska-pisla-11-rokiv-zitta-v-oku- pacii-21032025/video-71998896 4 Er nahm die russische Flagge herunter und hängte seine Unterwäsche auf. Wie ein ukrainischer Teenager in einem „Umerziehungslager“ protestierte: https://life.pravda.com.ua/society/ukrajinskiy-pidlitok-vivisiv-spidnye-zamist-rosiyskogo-prapora-307183/ 5 Website der NRO Almenda: https://almenda.org/

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IM FOKUS – Junge Zivilgesellschaft unter Druck

Was brauchen Jugendorganisationen? beyond: Es gibt kritische Stimmen, die sagen, dass Jugendbeteiligung unter den Bedingungen des Kriegs- rechts nicht wirklich möglich ist. Was denkst du darüber? Natalia Shevchuk: Ich stimme dieser Aussage teilweise zu. Aufgrund des Kriegsrechts gibt es keine Möglichkeit, Wahlen abzuhalten, daher ist politische Partizipation überhaupt nicht möglich. Andererseits steht Freiwilligen- arbeit ganz oben auf der Agenda der Regierung. Diese einfache Form der Beteiligung funktioniert, ermöglicht es jungen Menschen, die Dinge selbst in die Hand zu neh- men und zu erkennen, dass sie etwas bewirken können. Andere Dinge sind schwieriger, zum Beispiel die Konfe- renzen und Programme für den Wiederaufbau der Ukra- ine. Junge Menschen wurden nicht gehört, obwohl wir Ju- gend-NGOs wie „BUR – Building Ukraine Together“ 6 und „Brave to rebuild“ 7 haben, die den Wiederaufbau bereits praktizieren und von Zeit zu Zeit vom Staat zu einigen der Konferenzen eingeladen werden. Das muss man kritisch sehen, aber es hat nichts mit Kriegsrecht zu tun. Denn komplexere Formen der Partizipation auf partnerschaft- licher Ebene erfordern den politischen Willen, Räume für eine sinnvolle Konsultation mit jungen Menschen und ei- nen Dialog zu schaffen, in denen ihre Stimmen nicht nur gehört, sondern auch in Entscheidungsprozessen prak- tisch eingebunden werden.

beyond: Was brauchen Jugendorganisationen, um wirksam handeln zu können?

Natalia Shevchuk: Sie brauchen institutionelle Unter- stützung, Ressourcen und professionelle, bezahlte Mit- arbeitende, um eine nachhaltige und effektive Jugend - beteiligung zu gewährleisten. Schließlich muss man von irgendetwas leben, und wer glaubt, dass alles auf frei- williger Basis gemacht werden kann, öffnet eine neue Tür für Korruption. Wir brauchen auch mehr Dialog mit Partnern in Europa, damit wir Erfahrungen austauschen und voneinander lernen können. Es wäre wichtig, unse- re Arbeit zu professionalisieren. Die Universität in Lutsk hat jetzt ein erstes Ausbildungsprogramm dafür aufge- legt – einen Masterstudiengang für den Schwerpunkt „Jugendarbeit“. Wir haben eine kleine Vereinigung von Jugendarbeiter*innen in der Ukraine – etwa 50 Perso- nen. Für sie und andere NGOs wären Verbindungen nach Europa wichtig. Eine Langfassung dieses Interviews fin - den Sie auf www.ijab.de.

Kontakt Natalia Shevchuk

war von Dezember 2021 bis April 2025 Vorsitzende des Nationalen Jugendrats der Ukraine (National Youth Council of Ukraine) Mail: shevchuk.nathalia@gmail.com

6 Webseite der NGO Building Ukraine Together: https://www.bur.org.ua/en/ 7 Webseite der NGO Brave to rebuild: https://bravetorebuild.in.ua/

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INTERVIEW

Die Jugend hat keine Stimme im Land

In Kroatien denken viele junge Menschen über Auswanderung nach

Kroatien hat keine hohe Arbeitslosigkeit und dennoch denken viele junge Menschen über Aus- wanderung nach. Zu den Gründen gehören Korruption und Klientelismus, ein damit verbundenes Misstrauen gegenüber Institutionen und eine konservative Familienpolitik, in der sich viele junge Menschen nicht wiederfinden. beyond hat mit Josip Miličević und Marin Capan vom Kroatischen Jugendnetzwerk darüber gesprochen.

beyond: Wie geht es jungen Menschen in Kroatien?

riere als wirklicher Beteiligung und werden zudem durch eine exzessive Verwaltung und Bürokratie blockiert. Das gibt vielen jungen Menschen das Gefühl, dass ihnen oh- nehin niemand zuhört und ihre Interessen nicht berück- sichtigt werden. Das führt zu einer geringen Bereitschaft, sich freiwillig zu engagieren. Dazu verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für Studierende. Seit 12 Jahren sind die Leistungen, die sie erhalten, nicht erhöht wor- den. Das Gleiche gilt für Jugendbeiräte auf lokaler Ebene, die ihre Gemeinden beraten sollen, aber auch für Alibi- veranstaltungen und billige politische Aktionen genutzt werden. Keine konsistente Jugendpolitik beyond: Die Regierung müsste doch aber ein Interesse haben, dass junge Menschen im Lande bleiben. Tut sie zu wenig? Josip Miličević: Wir haben keine wirkliche Jugendpolitik, weil wir kein Gesetz haben, das junge Menschen in den Mittelpunkt stellt. Jugend spielt zwar in allen möglichen Gesetzen eine Rolle, aber eine konsistente Politik fehlt. Seit einiger Zeit bemüht sich die Regierung um die Rückkehr der 2. Generation der Ausgewanderten der 70er und 80er Jahre – ohne nennenswerten Erfolg. Wir haben eine Jugendgarantie, aber Geld gibt es vor allem für diejenigen, die sich als Unternehmer*innen selbstständig machen möchten. Die Regierung besteht

Josip Miličević: Seit dem EU-Beitritt Kroatiens verlassen immer mehr Menschen das Land, etwa 500.000 inner- halb von 10 Jahren. Wir haben jetzt eine Bevölkerung von unter 4 Millionen. 15 % von ihnen sind junge Menschen bis 30 Jahre und auch sie denken über Auswanderung nach. Eine Studie von 2024 zeigt, dass nur 22% der jun - gen Menschen bleiben wollen. Die übrigen haben ent- weder einen schwach, mittel oder stark ausgeprägten Wunsch, Kroatien zu verlassen. Wir haben keine hohe Arbeitslosigkeit und auch die Be- zahlung ist okay, aber viele Jobs bieten keine langfristi- ge Sicherheit, die junge Menschen brauchen. Das führt dazu, dass viele junge Menschen lange bei ihren Eltern wohnen bleiben und im Durchschnitt erst mit 33 Jahren das Elternhaus verlassen und auf eigenen Beinen stehen. Das ist der höchste Altersdurchschnitt in der EU. Dazu kommen die Probleme, die es auch in anderen Ländern in Europa gibt: hohe Lebenshaltungskosten und hohe Mieten. Als größtes Problem nehmen junge Menschen aber Korruption und Klientelismus wahr. Wer einen gu- ten Job bekommen möchte, muss Verbindungen haben. Marin Capan: Dazu kommt, dass es keine funktionieren- den Strukturen für Jugendbeteiligung gibt. Zwar gibt es Schüler*innen- und Studierenden-Räte in Schulen und Hochschulen, aber sie dienen eher der beruflichen Kar -

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IM FOKUS – Junge Zivilgesellschaft unter Druck

beyond: Ihr wollt das ändern. Gibt es Versuche der politischen Einflussnahme auf euch oder andere Jugendstrukturen?

aus Parteien des mitte-rechten und rechten Spektrums und beschäftigt sich mit „kroatischer Identität“ und „guten Jobs für Familien“ – nicht mit Jugendpolitik. In Sachen Familienpolitik hat die die Regierung tatsächlich viel getan, das muss man anerkennen – etwa Verbesserungen bei der Elternzeit oder beim Ausbau der Kinderbetreuung. Aber das reicht nicht. Das Thema Korruption wird überhaupt nicht oder nur auf äußeren Druck durch kritische Medienberichterstattung angesprochen und wir erleben immer wieder Skandale. Am Ende stellen sich junge Menschen die Frage, in was für einer Gesellschaft sie leben möchten und dann erscheint vielen das europäische Ausland attraktiver. Marin Capan: Es ist auch eine Frage der Werte. Traditio- nelle Werte, Wohnungen für Familien, Kinder bekommen – nicht alle jungen Menschen finden sich in dieser Rhetorik wieder. Das führt zu Misstrauen gegenüber Institutionen. Wenn junge Menschen ihre Zukunft nicht in Kroatien sehen oder finden, weil sie nicht wirklich sie selbst sein können, wird kein Arbeitsplatz und keine Politik sie hier halten. Schwierige Rahmenbedingungen für Jugendarbeit beyond: Marin, du hast die geringe Bereitschaft zu freiwilligem Engagement angesprochen. Welche Auswirkungen hat das auf euch als Jugendnetzwerk? Marin Capan: Ich bin im Lauf der Jahre in einigen Jugend- organisationen Mitglied gewesen und bin es noch. Meiner Erfahrung nach ist es so, dass unter den gegebenen Be- dingungen junge Menschen zwar bereit sind, sich zu en- gagieren, aber sie tun es nur für einige Stunden, nicht für Wochen, Monate oder langfristig. Das sorgt für ständige Fluktuation in den Organisationen. Diejenigen, die wirk- lich etwas bewegen wollen, die sich für ein Herzenspro- jekt engagieren wollen, finden keine Mitstreiter*innen. Dadurch haben junge Menschen keine starke Stimme im Land und im öffentlichen Raum. Sie machen nicht genug nicht-formale Lernerfahrungen in einem jugendfreundli- chen Umfeld – wodurch sie folglich weniger Möglichkei- ten haben.

Marin Capan: Wir haben Jugendräte auf der kommuna- len Ebene, aber die sind näher an den Stadtverwaltungen als an jungen Menschen, obwohl sie den Titel Jugend im Namen führen. Wer eine Jugend-NGO gründet oder sich ihr anschließt begibt sich auf ein schwieriges Terrain, was Kontinuität und Finanzierung angeht. Es ist eher eine Fra- ge schwieriger Rahmenbedingungen als eine Frage direk- ter Einflussnahme.

beyond: Was müsste sich ändern?

Josip Miličević: Es gibt Dinge, die ganz einfach zu ändern wären, wenn sie politisch gewollt wären. Z. B. Partizipation und Jugendinformation, indem man jun- ge Menschen in Entscheidungsprozessen direkt betei- ligt und Jugendorganisationen. Es gibt sogar Gesetze dafür, aber sie werden ignoriert und für die politischen Entscheidungsträger*innen bleibt das ohne Konsequen- zen. Aber wir sind eine normale Demokratie und daher sind Veränderungen möglich. Die jüngsten Proteste in Serbien haben uns zudem daran erinnert, dass junge Menschen auch rebellisch sein können.

Kontakt Josip Miličević Marin Capan Mreža mladih Hrvatske / Kroatisches Jugendnetzwerk https://mmh.hr Mail: info@mmh.hr

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„Wir haben keine wirkliche Jugendpolitik, weil wir kein Gesetz haben, das junge Menschen in den Mittelpunkt stellt. Jugend spielt zwar in allen möglichen Gesetzen eine Rolle, aber eine konsistente Politik fehlt.“

IM FOKUS – Junge Zivilgesellschaft unter Druck

Schwindende Unterstützung

Alice Bergholtz

Starker Gegenwind für Schwedens Jugendorganisationen

Schwedische Jugendorganisationen blicken auf eine lange Geschichte zurück, in der sie nicht nur Unterstützung, sondern auch Vertrauen genossen. Sie haben dazu beigetragen, Debatten zu gestalten, neue Generationen von Bürger*innen heranzuziehen und Brücken zwischen jungen Menschen und Entscheidungstragenden zu bauen. Doch heute sind sie – wie viele andere in Europa – mit finanziellen Zwängen, einem raueren politischen Klima und einer zunehmenden Bedrohung der grundlegenden Versammlungsrechte konfrontiert. Der Raum für die Teilhabe junger Menschen wird immer enger, sowohl durch Budgetkürzungen als auch durch gezielte Attacken auf Jugendorganisationen und ihre Vertreter*innen.

In Schweden hat sich in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung vollzogen, die sich deutlich in der öffentli - chen Debatte und in den Prioritäten der Regierung wider- spiegelt. Seit der Lancierung eines neuen gemeinsamen politischen Programms der schwedischen Rechtskoaliti- on im Jahr 2022 werden junge Menschen hauptsächlich als gesellschaftliche „Problemgruppe“ beschrieben, die mit Strategien zur Kriminalitätsprävention und härte- ren Strafen in Verbindung gebracht wird 1 – und nicht als aktive Bürger*innen oder Mitgestalter*innen der Gesell- schaft. Gleichzeitig gibt es einen besorgniserregenden Trend zur Diskreditierung zivilgesellschaftlicher Organisatio- nen und ihrer Vertreter*innen. Seit Januar 2025 müs- sen Organisationen, die staatliche Fördermittel bean- tragen, neue „Demokratieanforderungen“ erfüllen und demokratische Werte vor allem durch die Vorlage von Strategiepapieren nachweisen. Diese Auflagen verfolgen

scheinbar eine positive Absicht, aber viele warnen davor, dass sie kleineren, oft ehrenamtlich geführten Organi- sationen zusätzlichen Verwaltungsaufwand aufbürden und sie von der Jugendarbeit ablenken. Andere Beispie- le für die Diskreditierung junger Menschen sind offen - sichtlicher. Eine Umfrage des LSU, des nationalen Rats der schwedischen Kinder- und Jugendorganisationen, aus dem Jahr 2020 ergab, dass 46 % der Vertreter*innen von Jugendorganisationen Hass und Drohungen erlebt haben. Die Stimmen junger Menschen werden von Erwachsenen diskreditiert, verunglimpft und gehasst, nur weil sie jung sind. Die Finanzierung ist eindeutig ein weiterer Bereich, in dem der Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Jugendorganisationen rapide schwindet. Während die Abhängigkeit der Jugendorganisationen von befriste- ten staatlichen Fördermitteln allmählich zugenommen hat, läuft die 2019 eingeführte befristete Finanzierung

1 24 von 25 Erwähnungen des Begriffs „Jugendliche“ (schwedisch: unga) beziehen sich auf die Bekämpfung krimineller Aktivitäten unter Jugend - lichen. Allerdings ist der Begriff „Jugend“ in Schweden nicht gesetzlich definiert und verschiedene staatliche Stellen verwenden 24, 25 oder 30 Jahre als obere Altersgrenze. Einige Formulierungen des Tidö-Abkommens [Anm. d. Red.: Regierungsabkommen in Schweden vom 14. Oktober 2022] beziehen sich auf „Jugendliche unter 18 Jahren“, die Altersgruppe wird jedoch größtenteils nicht definiert.

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Alice Bergholtz war stellvertretende Vorsitzende des Beirats für Jugendfragen des Europarats

in Höhe von 50 Millionen Schwedischen Kronen (etwa 4,6 Millionen Euro) 2026 aus, wodurch die schwedische Jugendbewegung wieder auf das Finanzierungsniveau von 2011 zurückfällt. Nach Berechnungen des LSU 2 füh- ren die Inflation und die wachsende Zahl von Organisa - tionen, die sich denselben Geldtopf teilen, zu einem rea- len Defizit von 27,3 % im Vergleich zu 2011. Dies ist nicht nur ein nationaler Trend. Kürzungen in der Entwicklungshilfe haben zur Einstellung des Programms Global Action Local Empowerment (GALE) geführt, das seit 1995 Partnerschaften zwischen dem LSU und Jugendorganisationen im Libanon, in Simbabwe, Kenia, Belarus, auf den Philippinen, in Kambodscha, Ägypten und Myanmar gefördert hat. Auch ethnische Organisa- tionen der Zivilgesellschaft sind betroffen – mit Auswir - kungen auf von Jugendlichen geleitete Gruppen. Darüber hinaus ist auch Schwedens Engagement mit der internationalen Jugend rückläufig. Als die schwedi - sche Regierung 2023 ihre finanzielle Unterstützung für Jugenddelegierte zur UN-Generalversammlung einstell- te, beendete sie damit ein Programm, das das Land 1991 mit Stolz ins Leben gerufen hatte. Diese Entscheidung löste eine heftige öffentliche Debatte aus, die nicht nur das Programm, sondern auch die Legitimität des LSU und der Jugendvertretung in internationalen Gremien im Allgemeinen in Frage stellte. Seit 2025 hat der LSU nun seine Sitze für Jugenddelegierte zur UN-Generalver- sammlung, zum Hochrangigen Forum für Nachhaltige Entwicklung und zu den COP-Klimaverhandlungen ver- loren. Dies sendet ein symbolisches Signal, welche politi- schen Prioritäten gesetzt werden – und wessen Stimmen Gewicht haben.

Schwedische Jugendorganisationen bringen rund 650.000 junge Menschen in Communities zusammen, die auf Austausch und Neugier basieren. Themen wie Klimage- rechtigkeit, demokratische Erneuerung, LGBTQIA+-Rech- te und psychische Gesundheit bringen junge Menschen zusammen und mobilisieren sie über traditionelle poli- tische und geografische Grenzen hinweg. Sie beweisen einmal mehr, dass junge Menschen nicht einfach aufge- ben, wenn ihnen ein Platz am Tisch verweigert wird. Die schwedische Erfahrung zeigt deutlich, dass sich die Partizipation junger Menschen nicht automatisch selbst trägt. Sie braucht Investitionen, Schutz und politischen Willen – und zwar kontinuierlich. Die Rechte und Pflich - ten junger Menschen lassen sich nie auf eine Formali- tät reduzieren. Junge Menschen bleiben entschlossen – auch in Zeiten schwindender Unterstützung. Sie bleiben stark, klug und laut. Der Spielraum für die Organisation junger Menschen mag unter Druck stehen, aber der Geist, der dahinter steht, ist gesund und lebendig. Er baut neue Wege, setzt neue Bewegungen in Gang und lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Es liegt in unserer Verantwortung als Erwachsene, den jungen Menschen zuzuhören, aufzustehen und unse- re Solidarität zu zeigen, wenn wir Zeug*innen ihres Kampfes werden.

Übersetzung: Magdalena Lindner-Juhnke

Kontakt Alice Bergholtz Stellvertretende Vorsitzende des Beirats für Jugendfragen

Aber junge Menschen geben nicht auf. Angesichts schwin- dender Handlungsspielräume schaffen sie sich neue.

des Europarats 2022 - 2024 https://alicebergholtz.com/

2 LSU (2024) Ungdomsrörelsen i siffror 2024, S. 22

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IM FOKUS – Junge Zivilgesellschaft unter Druck

Haltung statt Resignation

Pia Kamratzki, Lars Reisner, Björn Schreiber

Jugendverbandsarbeit unter (rechtem) Druck „Ohne Demokrat*innen keine Demokratie“ – eine kompakte These mit viel Gehalt. Doch wie lässt sich sicherstellen, dass junge Menschen zu Demokrat*innen werden? Wie lässt sich sicherstellen, dass sie Demokratie nicht nur abstrakt durch formale Bildungsprozesse zu beschreiben lernen, sondern tat- sächlich erleben und erlernen?

Jugendverbände und -ringe bieten als „Werkstätten der Demokratie“ 1 vor Ort für junge Menschen diese Freiräu- me und sind Ausdruck einer demokratischen Selbstor- ganisation junger Menschen. Die Jugendverbandsarbeit erfüllt auch gemäß ihres gesetzlichen Auftrags nach § 12 SGB VIII zwei zentrale Funktionen in einer demokrati- schen Gesellschaft: Sie bietet Lern- und Erfahrungsräu- me, in denen junge Menschen demokratische Verfahren praktisch erleben können. Sie macht deren Interessen sichtbar und bringt sie in politische Diskurse ein. Doch genau diese wichtigen Funktionen geraten zunehmend unter Druck. Hürden für eine gelingende Jugendverbandsarbeit In mehreren Bundesländern – etwa in Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern 2 – werden derzeit Kürzungen in der Jugend(verbands)arbeit diskutiert. Die- se Debatten setzen Träger und Jugendverbände unter

ständigen Rechtfertigungsdruck. Geplante Einschnitte gefährden die Qualität und Vielfalt der Angebote – und damit zentrale Räume demokratischer Bildung. Jugend- verbände vermitteln jungen Menschen gesellschaftlich relevante Fähigkeiten. Ihr Rückbau untergräbt die Basis einer demokratischen Kultur, was angesichts wachsen- der Demokratiefeindlichkeit und Rechtsextremismus bedenklich ist. Mit den Kürzungen geht häufig ein Personalabbau ein - her. Zugleich leidet die Jugendverbandsarbeit unter akutem Fachkräftemangel, insbesondere im ländlichen Raum. Hohe bürokratische Hürden und starre Förderbe- dingungen erschweren zusätzlich die Arbeit. Dies führt nicht selten zum Rückzug ehrenamtlich Engagierter und destabilisiert kritische zivilgesellschaftliche Strukturen. Mit dem Wegfall außerschulischer Angebote und Projek- te verlieren marginalisierte Jugendliche wichtige Zugän- ge zu gesellschaftlichem Leben.

1 Position der DBJR-Vollversammlung „Werkstätten der Demokratie – politische Bildung von Jugendverbänden und Jugendringen stärken und schützen“ https://www.dbjr.de/artikel/politische-bildung-staerken-und-schuetzen 2 Vgl. u.a. Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt (2024): Geringe Einsparungen bei maximalem Schaden für junge Menschen; GEW (2025): Kahlschlag auf Kosten der Zukunft; Stadtjugendring Greifswald (2024): Jugend- und Vereinsarbeit verlässlich fördern – Appell gegen die geplanten Kürzungen im städtischen Haushalt 2024

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Jugendverbandsarbeit braucht Haltung, Widerstands- kraft und Stärkung – gerade jetzt, wo Demokratie unter Druck steht und junge Menschen zunehmend ausgegrenzt werden

Damit gehen auch tragende Beziehungen und Chancen zur Identitätsbildung verloren. Dies kann besonders im ländlichen Raum zu Isolation, Abwanderung oder Per- spektivlosigkeit von jungen Menschen führen. Dabei gilt die junge Generation ohnehin bereits als belastet – durch den Klimawandel, Kriege, die Nachwirkungen der Coronapandemie und aufgrund einer angespannten wirtschaftlichen Lage. 3

Zwar gilt für staatliche Stellen die Verpflichtung, nicht unverhältnismäßig in den Wettbewerb der Parteien ein- zugreifen. Doch Jugendverbände als Teil der Zivilgesell- schaft genießen Grundrechte wie die Meinungsfreiheit – und unterliegen nicht dem Neutralitätsgebot. Auch das Gemeinnützigkeitsrecht gibt zwar Leitplanken vor, die es verbieten, einzelne Parteien gezielt zu unter- stützen. Ein pauschales Verbot (jugend-)politischer Äußerungen geht damit aber nicht einher. Um diesen Mythen und Verunsicherungsstrategien gezielt etwas entgegenzusetzen und Jugendverbände und -ringe in ihrer Arbeit zu stärken, hat der Bundesjugendring kürzlich die Handreichung „Haltung statt Neutralität! – Zum Umgang mit rechtsextremen Anfeindungen der Jugendverbandsarbeit“ 4 veröffentlicht.

Gefährdung durch rechte Verunsicherungsstrategien

Jugendverbände und -ringe treten klar für Demokratie und Menschenrechte ein. Deshalb werden sie von extre- men Rechten als Feinde erkannt und bekämpft, bedroht und eingeschüchtert. Ein Element dieser Strategie ist die gezielte Verbreitung der Behauptung, Jugendverbände müssten sich politisch neutral verhalten – insbesondere aufgrund ihrer öffentlichen Förderung. Doch das ist sachlich falsch und widerspräche dem Selbstverständnis der Jugendverbände.

3 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2024): 17. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lage junger Menschen und die Bestrebungen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe 4 https://www.dbjr.de/haltung-statt-neutralitaet

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IM FOKUS – Junge Zivilgesellschaft unter Druck

Jugendverbandsarbeit mit Haltung Die beschriebenen Herausforderungen zeigen: Immer stärker geraten gerade solche Verbände, Einrichtungen und Institutionen unter Druck, die jungen Menschen Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft ermög- lichen. Dies scheint kaum verwunderlich, denn rechtsextreme Parteien und ihre (Jugend-)organisationen verfolgen eine „Erziehungsdiktatur“: Die Belange junger Menschen, ihr Anspruch, gestaltender Teil einer resilienten und demo- kratischen Gesellschaft zu sein, stehen deren Zielen ent- gegen. Gerade deshalb ist es von zentraler Bedeutung, dass Jugendverbände und Jugendringe genau das tun, was sie am besten können: Räume schaffen für demo - kratische Debatten, für den Austausch, die aktive Mitge- staltung von Gesellschaft und das Leben von Vielfalt und Diversität. Die „DNA“ der Jugendverbandsarbeit heißt Haltung: Haltung gegen die Vereinnahmung junger Menschen, Haltung gegen jede Form der Ausgrenzung – und Hal- tung für eine Demokratie, die die bewusste Staatsferne der Jugend(verbands)arbeit als entscheidenden Aspekt einer unabhängigen und kritischen Jugend anerkennt. Eine Haltung, die Jugendverbandsarbeit nicht nur auf das konkrete Tätigkeitsfeld eines Verbandes herunter- bricht, sondern die einen Vertretungsanspruch für die Interessen junger Menschen wahrnimmt und sich als politischen Akteur versteht.

Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, braucht es finanziell, strukturell und ideell eine umfassende Stär - kung der Jugendverbandsarbeit durch demokratische Parteien und Verwaltung – gerade in Zeiten, in denen unsere Demokratie gefährdet scheint und in denen jun- ge Menschen verstärkt Adultismus begegnen. Zugleich muss Jugendverbandsarbeit angesichts zunehmender Anfeindungen resilientere Strukturen aufbauen. Dazu gehören beispielsweise der Schutz von Ehren- und Hauptamtlichen, die rechtssichere Gestaltung von Sat- zungen und die Stärkung des eigenen zivilgesellschaft- lichen Netzwerkes. Bei aller Verunsicherung gilt es aber, vor allem eines zu vermeiden: den Rückzug der Jugendverbandsarbeit aus dem politischen Raum. Jetzt erst recht!

Kontakt: Björn Schreiber Geschäftsführer Landesjugendring Brandenburg e. V. Pia Kamratzki Referentin Jugend(verbands)arbeit, Jugendpolitik, Jugendbildung Landesjugendring Brandenburg e. V.

Mail: info@ljr-brandenburg.de ljr-brandenburg.de

Lars Reisner Referatsleitung Grundlagenarbeit und jugendpolitische Themen Deutscher Bundesjugendring e. V. Mail: lars.reisner@dbjr.de dbjr.de

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