beyond 01 | 2025

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beyond: Was macht der Krieg mit den jungen Menschen in der Ukraine?

Wladyslaw Rudenko, der von den russischen Besatzern aus Cherson verschleppt wurde, erzählte von seinen Widerstandserfahrungen während seiner Zeit in einem so genannten Umerziehungslager. Eines Abends klet- terte er auf einen Fahnenmast, entfernte die russische Flagge und ersetzte sie durch seine Unterwäsche – ein mutiger Akt des Widerstands. 4 In den vorübergehend besetzten Gebieten der Ukrai- ne verfolgt Russland eine systematische Strategie zur Umprogrammierung der ukrainischen Jugend. Über Agenturen wie Rosmolodezh verbreitet es Propaganda, kontrolliert das Bildungswesen und integriert die Kinder gewaltsam in das russische ideologische und administra- tive System. Tausende von ukrainischen Kindern wurden unter dem Deckmantel der „Erholung“ illegal deportiert und unter Verletzung des Völkerrechts von ihren Fami- lien getrennt. Das Ziel ist klar: die ukrainische Identität auszulöschen und eine neue, Kreml-treue Generation zu schaffen. Arbeit mit Vertriebenen aus den besetzten Gebieten Das Zentrum für politische Bildung „Almenda“ 5 hat mit Binnenvertriebenen von der Krim und später aus ande- ren Teilen der besetzten Gebiete gearbeitet, die noch Kontakt zu ihren Angehörigen haben. Es ging um den Zu- gang zu Information, alle Formalitäten, die Integration in Schulen und Universitäten. Nach der Besetzung der Krim im Jahr 2014 spielte Almenda eine Schlüsselrolle bei der Forderung nach vereinfachten Verfahren, die es mehr als 20.000 Studenten ermöglichten, aus den besetzten Ge- bieten an ukrainische Universitäten zu wechseln. Die Or- ganisation leistete einen Beitrag zur nationalen Bildungs- politik, u. a. durch vereinfachte Hochschulzulassungen für Bewohner der besetzten Gebiete und die Entwicklung eines Webportals zur Unterstützung von jungen Men- schen. Almenda setzt sich auch auf internationaler Ebe- ne für das Ende der Besatzung der Krim und den Schutz der Menschenrechte ein. Seit der russischen Invasion im Februar 2022 dokumentiert Almenda schwerwiegende Menschenrechtsverstöße gegen Kinder in bewaffneten Konflikten.

Natalia Shevchuk: Ich möchte diese Frage auf eine sehr persönliche Weise beantworten. Vor zwei Jahren habe ich dir einen jungen Mann als Interviewpartner emp- fohlen, Ivan Paramonov. Jetzt ist er tot, gefallen an der Front in der Region Charkiw. Das ist es, was der Krieg mit jungen Menschen macht. Er war ein engagierter Führer der ukrainischen Zivilgesellschaft, Mitbegründer und Geschäftsführer der NGO Shtuka 1 . Die Organisation ini- tiierte Projekte wie den Bau eines Skateparks in Popasna in Zusammenarbeit mit lokalen Jugendlichen und Mili- tärveteranen und die Produktion von Medieninhalten, die sich mit sozialen Fragen befassen. Nach der vollstän- digen Invasion Russlands verlagerten Paramonov und sein Team ihren Schwerpunkt auf humanitäre Hilfe. Im Februar 2024 meldete er sich mit mehreren Kollegen aus tiefem Pflichtbewusstsein freiwillig zu den ukrainischen Streitkräften. Ivan hatte großes Mitgefühl für die Men- schen, die vom Krieg in der Ostukraine betroffen waren. Er wollte Vorurteile abbauen und Menschen zusammen- bringen. Jetzt wurde er von russischen Soldaten getötet. Junge Menschen leisten Widerstand ge­ gen die russische Besatzung beyond: Wie viel ist über die Situation junger Menschen in den von Russland besetzten Gebieten bekannt? Natalia Shevchuk: Wir hören von Überlebenden, die es irgendwie geschafft haben, in die Ukraine zurückzu - kehren, von Vertreibungen und Umerziehungslagern. Wir wissen von jungen Menschen, die sich in anonymen Leseclubs treffen, um ukrainische Literatur zu lesen und darüber zu diskutieren. 2 Das ist natürlich streng verbo- ten. Bemerkenswert ist der Fall von Ivan Saransha, einem 18-Jährigen, der fast zwei Drittel seines Lebens im rus - sisch besetzten Luhansk verbracht hatte. Er war gerade 7 Jahre alt, als Russland die Stadt 2014 besetzte. Seitdem lebte er in einer Umgebung, die von russischer Propa- ganda durchtränkt war. Erst vor kurzem gelang es ihm, auf eigene Faust zu fliehen. 3 Der ukrainische Teenager

1 Website der NGO „Shtuka“ https://shtuka.media/ 2 Jugendliche in den besetzten Gebieten gründen geheime Buchklubs, in denen sie ukrainische Literatur lesen: https://detector.media/infospace/ article/239316/2025-03-23-pidlitky-v-okupatsii-organizovuyut-taiemni-knyzhkovi-kluby-na-yakykh-chytayut-ukrainsku-literaturu-the-guardian/ 3 Wie ein Teenager aus dem besetzten Luhansk entkam: https://www.dw.com/uk/ak-pidlitok-vtik-iz-luganska-pisla-11-rokiv-zitta-v-oku- pacii-21032025/video-71998896 4 Er nahm die russische Flagge herunter und hängte seine Unterwäsche auf. Wie ein ukrainischer Teenager in einem „Umerziehungslager“ protestierte: https://life.pravda.com.ua/society/ukrajinskiy-pidlitok-vivisiv-spidnye-zamist-rosiyskogo-prapora-307183/ 5 Website der NRO Almenda: https://almenda.org/

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